Süddeutsche Zeitung

Nato:Überraschende Nachricht aus Washington

Eigentlich wollten die Nato-Verteidigungsminister über das Verhältnis der Allianz zur EU debattieren. Doch dann platzen Äußerungen von US-Präsident Biden zu Taiwan in das Treffen.

Von Paul-Anton Krüger, Brüssel

Am Freitag hatten die Nato-Verteidigungsminister in Brüssel einen hohen Gast zu Besuch: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell war in das Hauptquartier der Verteidigungsallianz an der Avenue Leopold III in Brüssel gekommen. Es sollte um das Verhältnis zwischen der Nato und der Europäischen Union gehen - um eine weitere gemeinsame Deklaration, in der die institutionalisierte Zusammenarbeit fortgeschrieben wird.

Nicht erst seit dem überhasteten Abzug aus Afghanistan schwingt dabei aber auch immer die Frage mit, wie eigenständig und unabhängig von den USA die europäischen Verbündeten in der Sicherheitspolitik sein wollen und können. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte schon im September 2017 "strategische Autonomie" für die Europäische Union. Damals saß allerdings im Weißen Haus in Donald Trump ein Verächter der Nato, der die Allianz für ein Mittel der Europäer hielt, sich ihre Sicherheit von den USA garantieren und vor allem finanzieren zu lassen.

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin gab sich alle Mühe, die Irritationen diesseits des Atlantiks weiter zu zerstreuen, die der Afghanistan-Abzug hinterlassen hat. Den hatten die Europäer zwar politisch mit beschlossen, bei der Umsetzung wurden sie vom US-Militär aber allzu oft vor vollendete Tatsachen gestellt. Es blieb nicht viel vom Versprechen von US-Präsident Biden, die Verbündeten zu konsultieren. Auch versuchte Austin, weiter die Turbulenzen zu glätten, die der neue trilaterale Sicherheitspakt der USA mit Australien und Großbritannien im Indopazifik (Aukus) vor allem mit Frankreich hervorgerufen hat. Er bekräftigte die "heilige Verpflichtung der USA", den Verbündeten bei einem Angriff beizuspringen, den vor allem die osteuropäischen Partner aus Russland fürchten, nicht aus China.

Wie positioniert sich die Nato gegenüber der aufstrebenden Großmacht aus Asien?

Doch platzte die Nachricht in das Treffen, dass Biden in der Nacht öffentlich gesagt hatte, die USA seien verpflichtet, Taiwan zu verteidigen, sollte es von der Volksrepublik China angegriffen werden. Das wäre eine klare Abkehr von der bisherigen Haltung Washingtons, Taipeh zwar mit Rüstungsgütern so auszustatten, dass es sich gegen Peking verteidigen kann, sich aber auf eine militärische Reaktion auf einen Angriff nicht festzulegen. Das Weiße Haus stellte in Abrede, dass sich daran etwas geändert habe. Und Austin sagte in Brüssel, niemand wolle eine Eskalation in der Straße von Taiwan sehen, am allerwenigsten Präsident Biden.

Doch damit stand wieder die Frage im Raum, die das Bündnis bei den bevorstehenden Debatten über das strategische Konzept noch mehr umtreiben dürfte als das Verhältnis zwischen den Europäern und den USA: Wie positioniert sich die nordatlantische Allianz gegenüber der aufstrebenden Großmacht aus Asien? Das Grundlagendokument, das die Ausrichtung der Nato auf Jahre vorzeichnet, sollen die Staats- und Regierungschefs wie die Erklärung zur Zusammenarbeit mit Europa bereits im kommenden Sommer auf einem Gipfeltreffen in Madrid verabschieden. Dass China darin angemessen vorkommen müsse, hatte Generalsekretär Jens Stoltenberg jüngst deutlich gemacht.

Vor allem die osteuropäischen Bündnispartner fürchten, dass das Interesse der USA an Europa und der Bedrohung durch Russland wegen China in den Hintergrund treten könne. Zugleich sind sie einer stärkeren Eigenständigkeit der Europäer gegenüber skeptisch - sie sehen ihre Lebensversicherung in der Sicherheitsgarantie der USA, die mit nuklearer Abschreckung untermauert ist. Auch in Paris ist Skepsis zu vernehmen. Wenn die Europäer schon nicht genügend militärische Fähigkeiten hätten, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen, könne sich die Nato nicht leisten, sich auch noch im Indopazifik zu verzetteln, lautet das Argument.

"Das wird aber nur mit höheren Verteidigungsausgaben zu erreichen sein."

Zumindest bei der stärkeren Rolle der Europäer haben Paris und Washington inzwischen zu einer gemeinsamen Sprache gefunden, der sich Nato-Generalsekretär Stoltenberg anschließt. Wenn dies bedeute, dass die Europäer sich neue militärische Fähigkeiten zulegten, sei das gut für alle und gut für die Allianz, heißt es - solange diese Fähigkeiten dann auch dem Bündnis zur Verfügung stehen. "Das wird aber nur mit höheren Verteidigungsausgaben zu erreichen sein", mahnte Stoltenberg einmal mehr.

Parallel zur Debatte in der Nato über das strategische Konzept entwickelt die Europäische Union einen eigenen "strategischen Kompass"; Borrell wird dazu demnächst einen ersten Entwurf präsentieren. Beschlossen werden soll das Dokument dann unter französischer Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr. In Brüssel versicherte man sich gegenseitig, dass die beiden Prozesse synchronisiert ablaufen sollen. Was nicht heißt, dass der Nato wie der EU nicht noch kontroverse Debatten bevorstehen.

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