Süddeutsche Zeitung

Nato-Einsatz in Libyen:Offene Unterstützung und heimliche Hilfe

Das UN-Mandat für den Einsatz in Libyen hat die Nato überschritten. Das Bündnis erfüllte damit nicht nur die Erwartungen der Rebellen, sondern auch die der arabischen Öffentlichkeit. Doch wie es jetzt in Libyen weitergeht, entscheiden die Libyer selbst.

Volker Perthes

Volker Perthes, 53, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und Experte für den Nahen Osten.

Ohne die militärische Hilfe der Nato hätte es länger gedauert, bis das Gaddafi-Regime am Ende gewesen wäre. Die libyschen Rebellen sind den Nato-Staaten dankbar, die die Kampagne getragen haben, und das Image des Bündnisses in der arabischen Welt hat sich verbessert. Bleibender Einfluss auf Libyen, seine Politik und seine Wirtschaft, wie einige europäische Politiker dies offenbar erwarten, ergibt sich daraus allerdings nicht: Ob in Libyen ein demokratisches System, eine Art Stammeskonföderation oder eine neue Diktatur entsteht oder ob das Land in Anarchie zerfällt, werden die Libyer selbst entscheiden.

Nicht nur die Brutalität, mit der Gaddafis Truppen vorgingen, sondern auch der allgemeine Stimmungswechsel in der arabischen Welt nach den erfolgreichen Revolutionen in Tunesien und Ägypten hatten den Bürgerkrieg in Libyen schnell zu einem internationalen Thema gemacht. Am 12. März, während die Rebellen immer stärker in die Defensive gerieten, beschloss die Arabische Liga vom UN-Sicherheitsrat die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen zu verlangen, um die Zivilbevölkerung vor Luftangriffen zu schützen.

Dies war zweifellos ein historisches Ereignis: richtete sich doch die Regionalorganisation der arabischen Staaten hier mit der Bitte an die internationale Gemeinschaft, militärisch gegen ein Mitgliedsland vorzugehen, um dessen Bürger gegen das herrschende Regime zu schützen. Bis dahin waren nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation schon etwa 2000 Menschen ums Leben gekommen.

Die UN-Resolution 1973 verlangte dann einen unmittelbaren Waffenstillstand, autorisierte die Mitgliedstaaten, "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um die Zivilbevölkerung in Libyen zu schützen, verhängte dazu ein Flugverbot und ein Waffenembargo und forderte alle Regierungen auf, die Konten der libyschen Regierung einzufrieren. Eine Besetzung libyschen Territoriums wurde ausdrücklich ausgeschlossen.

Die Nato-geführte Koalition konnte relativ schnell eine Flugverbotszone einrichten, den Vormarsch regimeloyaler Truppen stoppen und damit tatsächlich die Zivilbevölkerung in den von den Rebellen gehaltenen Gebieten schützen. Das Mandat des Sicherheitsrats war damit faktisch erfüllt, der Krieg aber nicht entschieden. Die Rebellen selbst waren überwiegend lokal organisiert: Ihre Truppen bestanden zum großen Teil aus militärisch unerfahrenen Bürgern, die bereit waren, ihre eigene Stadt zu verteidigen, aber weder dazu ausgebildet noch unbedingt daran interessiert waren, andere Landesteile zu erobern.

Die Nato hätte sich theoretisch darauf beschränken können, das Flugverbot und ein militärisches Patt zwischen Gaddafi- und dem Rebellenterritorium aufrechtzuerhalten. Politisch waren die Nato und die meisten arabischen Staaten sich allerdings einig, dass dies nicht reiche, dass Gaddafi vielmehr abtreten müsse. Nur hatte der Sicherheitsrat den Staaten kein Mandat erteilt, selbst einen Regimewechsel in Tripolis herbeizuführen. Zudem war kaum ein Nato-Staat daran interessiert, sich mit Bodentruppen an den Kämpfen zu beteiligen.

In den arabischen Staaten sah das nicht viel anders aus. Die militärische Konsequenz für die Nato hieß, die Rebellen so weit wie möglich zu unterstützen, ohne selbst am Boden aktiv zu werden. Faktisch wurde die Nato so zur Luftwaffe des Übergangsrats. Die Einsätze zielten darauf ab, Gaddafi durch Angriffe auf seine Truppen und auf militärische Einrichtungen so weit zu schwächen, dass ein Vormarsch der Rebellen möglich wurde.

Die Nato überschritt damit zweifellos das Mandat des Sicherheitsrats, entsprach aber den Erwartungen nicht nur der Rebellen, sondern auch zahlreicher arabischer Staaten und des vermutlich überwiegenden Teils der arabischen Öffentlichkeit. So wenig man hier den Motiven der USA oder Frankreichs traute, hoffte man doch, dass der Krieg in Libyen rasch beendet und Gaddafi irgendwie verschwinden würde. Wenn dies nur mit Hilfe der Nato geschehen könne, dann - so der Tenor vieler Gesprächspartner - müsse das eben so sein.

Der Erfolg rechtfertigte gerade auch für die regionalen Beobachter das Vorgehen. Das Gaddafi-Regime endete, wie es geherrscht hatte, gewaltsam und chaotisch. Libyen erlebte, anders als Tunesien und Ägypten, keinen friedlichen Aufstand, sondern die raschest mögliche Eskalation zu einem Krieg, in dem sehr wenig Rücksicht genommen wurde - übrigens auch von den Rebellen nicht. Ende August, nach der Einnahme weiter Teile von Tripolis durch die Rebellen, wurde von insgesamt bis zu 30.000 Kriegstoten gesprochen.

Die Träger des Aufstands waren junge Leute und städtische Gegen-Eliten vor allem, aber nicht nur aus dem Osten des Landes, bald dann auch Mitglieder der Funktionselite des alten Regimes. Diese Gruppen dürften den größten Teil der Macht reklamieren, werden aber darauf achten müssen, andere Interessen nicht zu ignorieren. So werden die Stämme, auch wenn der Aufstand keine Stammesrebellion war, eine Rolle bei einer Befriedung des Landes spielen müssen.

Solange es keine verlässlichen Institutionen gibt, dürften die meisten dieser Kräfte eher daran interessiert sein, Anteile an den Öleinnahmen, Zugänge zu Jobs und zu politischen Positionen auszuhandeln, als dies den Ergebnissen einer Wahl zu überlassen, deren Gewinner geneigt sein könnten, alles zu monopolisieren. Denn wer immer die Einnahmen aus dem Öl kontrolliert, wird sich weder von außen viel sagen lassen noch unbedingt für eine faire Verteilung sorgen.

Das spricht dafür, dass eher eine Art tribale und kommunale Föderation entstehen könnte als ein demokratischer Staat. Allerdings wäre auch dies noch ein positives Szenario: Schließlich lassen sich ein Bürgerkrieg um die Kontrolle der Öl-Infrastruktur und eine längere Spaltung des Landes nicht ausschließen.

Die Europäische Union sollte fragen, was eine libysche Übergangsregierung an technischer und politischer Hilfe braucht. Rat und Expertise beim Neuaufbau staatlicher Institutionen dürften willkommen sein, vielleicht auch Mediation bei erwartbaren innenpolitischen Konflikten. Aber Libyen, dessen Öl bald wieder fließen dürfte, wird nicht von der Hilfe der Europäer abhängig sein. Im Zweifelsfall kann man sich kaufen, was man braucht. Europa wird überzeugen müssen: Die Möglichkeiten, Hilfen für einen Ölstaat an Bedingungen zu knüpfen, sind äußerst begrenzt.

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SZ vom 27.08.2011/sebi
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