Nato-Einsatz in Libyen:Angst vor dem Zermürbungskrieg

Einsatz auf äußerst schwierigem Gelände: Selbst die Nato sieht wenig Chancen, in Libyen militärisch zu gewinnen - und hofft auf eine Verhandlungslösung.

Martin Winter

Nur eine Woche nachdem die Nato die Führung über den Kriegseinsatz in Libyen übernommen hat, beginnt das Militärbündnis bereits, sich auf einen längeren Waffengang einzustellen. Hoffnungen, die Aufständischen seien stark genug, die Truppen Muammar al-Gaddafis zurückzutreiben, wenn gegen dessen Luftwaffe das Flugverbot durchgesetzt worden und wesentliche Teile seiner schweren Artillerie- und Panzerverbände zerstört sind, haben sich nicht erfüllt.

Im Hauptquartier der Allianz wird bereits von einem bevorstehenden "Zermürbungskrieg" geredet. Und der amerikanische General Carter Ham, der die Angriffe gegen Libyen im Auftrag von Frankreich, Großbritannien und den USA leitete, bevor die Nato übernahm, hält einen Sieg der Rebellen für wenig wahrscheinlich, wie er am Donnerstag bei einer Anhörung im Kongress in Washington sagte.

Nach Einschätzung führender Militärs könnte das Blatt nur durch den Einsatz von Bodentruppen gewendet werden. Doch hier zieht die Nato eine klare Grenze: Solch einen Einsatz werde es nicht geben, versicherte am Freitag Konteradmiral Russ Harding vom Nato-Hauptquartier in Neapel, von wo aus der Einsatz geleitet wird. Die Resolution 1973 des Sicherheitsrates der UN, die die völkerrechtliche Basis für den Einsatz ist, sei eindeutig: "Keine Bodentruppen". Das Bündnis betont auch, dass es nicht seine Aufgabe sei, den Krieg für die Rebellen zu führen, sondern die Zivilbevölkerung zu schützen. Und zwar vor Angriffen von wem auch immer. Man werde auch gegen "Rebellen vorgehen, wenn die Zivilisten angreifen", sagte Harding.

Die Nato bewegt sich mit dieser Einstellung auf einem für sie zunehmend schwierigeren Gelände. Wie schnell die Stimmung kippen kann, erlebte sie am Donnerstag, als Kampfflieger der Allianz auf der Straße zwischen Brega und Adschdabija einen Panzer samt Konvoi angriffen. Auf dieser Straße wogt der Kampf zwischen den Rebellen und den Regierungstruppen seit Tagen hin und her. Was die Piloten nicht wissen konnten: Es war ein Panzer der Rebellen, den sie zerstörten, wobei fünf Kämpfer ums Leben kamen.

Bis zu diesem Zwischenfall, sagte Harding, wusste die Nato nicht, dass die Rebellen Panzer haben. Panzer galten als eine Waffe ausschließlich im Besitz der Gaddafi-Truppen. Nach dem Angriff gab es Agenturberichten zufolge offene und wütende Proteste in den Reihen der Rebellen gegen die Allianz. Zusammen mit dem vom Militärchef der Aufständischen, Abdel Fattah Junis, in den vergangenen Tagen erhobenen Vorwurf, die Nato greife nicht oder zu spät ein, ergibt sich das Bild eines offensichtlich schwierigen Verhältnisses.

Den Vorwurf, nicht oder nicht beherzt genug gegen die Gaddafi-Truppen einzugreifen, weist die Nato zurück. Seit sie die Mission "Unified Protector" führt, seien rund 1500 Einsätze geflogen worden, die eine Hälfte zur Absicherung der Flugverbotszone, die andere zum Schutz der Zivilisten vor Angriffen. Doch gerade das gestaltet sich zunehmend schwieriger. Der Vorfall vom Donnerstag zeigt, dass es immer schwerer fällt, aus der Luft zwischen Gaddafi-Truppen und Aufständischen zu unterscheiden. Nachdem er anfangs von den Luftangriffen der französisch-britisch-amerikanischen Koalition überrascht worden war und große Verluste hatte hinnehmen müssen, änderte Gaddafi radikal seine militärische Taktik.

Zum einen bewegen sich seine Truppen nicht mehr in militärischen Kolonnen durchs Land, sondern mit zivilen Kleintransportern und Pkw. Damit sind sie nur noch schwer von den Aufständischen zu unterscheiden. Zum zweiten platziert Gaddafi seine Panzer und schweren Geschütze mitten in den Wohnvierteln, wie die Luftaufklärung der Nato zeigt. Das sind für die Nato schwer anzugreifende Ziele, weil die Wahrscheinlichkeit ziviler Verluste hoch ist. Das ist auch der Grund, warum die Nato im hart umkämpften Misrata weniger eingreifen kann, als sie es sich möglicherweise selbst wünscht.

Drängen auf eine politische Lösung

Angesichts dieser Lage sagte die Nato-Sprecherin Oana Lungescu, dass es "klar ist, dass es keine reine militärische Lösung" für Libyen geben könne. So drängt auch das Bündnis verstärkt auf eine politische Lösung. Sein Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wird beim ersten Treffen der Libyen-Kontaktgruppe am kommenden Mittwoch in Katar vor allem mit den arabischen und afrikanischen Partnerländern Wege zu einem Waffenstillstand und zum Einstieg in den politischen Übergang in Tripolis ausloten. In Katar liegt auch eine Friedensinitiative vor, die der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag veröffentlichte und die sich mit den Zielen der Nato deckt.

Libyen - Freitagsgebet und Trauerfeier

Tausende Menschen nehmen in Bengasi am Freitagsgebet und der Trauerfeier für sechs bei einem Nato-Luftangriff getötete libysche Rebellen teil.

(Foto: dpa)

Mit am Tisch der Nato-Außenminister sitzen dann am kommenden Donnerstag in Berlin die Vertreter jener arabischer Staaten, die sich an dem Einsatz beteiligen: Katar mit 16 Kampfflugzeugen, die Vereinigten Arabischen Emirate mit acht und Jordanien mit sechs; Marokko hat der Allianz Überflugrechte eingeräumt. Mit Libyen beschäftigen sich am Dienstag auch die Außenminister der EU.

Dabei gilt in Brüssel eine klare Arbeitsteilung: Die Nato kümmert sich um das Militärische, die EU um das Humanitäre. Ob die EU humanitäre Einsätze auch militärisch absichert, war am Freitag noch weitgehend offen. Die EU ist zwar grundsätzlich dazu bereit, aber ohne eine ausdrückliche Anforderung durch die UN-Organisation für humanitäre Einsätze (OCHA) wird sie nicht militärisch eingreifen. Solch eine Anfrage liegt bislang nicht vor und es gebe auch noch keine Hinweise darauf, heißt es in diplomatischen Kreisen. OCHA steht militärischem Schutz erfahrungsgemäß skeptisch gegenüber.

Dennoch wird in Rom, in einem der fünf militärischen Hauptquartiere der EU, bereits an "Einsatzkonzepten" gearbeitet. Erst wenn die vorliegen, wird entschieden, ob dafür Kampfeinheiten der EU, sogenannte Battlegroups, eingesetzt werden. Oder ob eine den besonderen Anforderungen dieses Einsatzes angepasste Truppe neu zusammengestellt wird.

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