70 Jahre Verteidigungsbündnis:Warum die Nato ein wiedervereintes Deutschland fürchtete

President Harry Truman signs the North Atlantic Pact on Aug. 24, 1949. Around him diplomats of signatory nations and American officials to witness this signing. Nations represented are United Kingdom, Denmark, Canada, Norway, France, Belgium, Portugal, Ne

Am 4. April 1949 unterzeichnete US-Präsident Harry Truman den Nordatlantikvertrag zur Gründung der Nato.

(Foto: picture alliance / Everett Colle)

Durch die Gründung der Nato 1949 brachen die USA mit einem ehernen Prinzip ihrer Außenpolitik: sich niemals auf verbindliche Sicherheitsallianzen mit unberechenbaren Mächten Europas einzulassen. Der Kalte Krieg führte die USA stattdessen mitten nach Europa hinein.

Von Joachim Käppner

Lionel Baron Ismay hatte es selbst erlebt, wie Freiheit und Demokratie von den Panzern eines übermächtigen Feindes überrollt wurden: 1940 wurde er Stabschef des unbeugsamen britischen Kriegspremiers Winston Churchill.

Als dann Hitlerdeutschland geschlagen war und die Nato als Verteidigungsbündnis des Westens entstand, fasste Baron Ismay, 1952 bis 1957 deren Generalsekretär, ihren Sinn und Zweck prägnant zusammen: "to keep the Americans in, the Russians out and the Germans down" - die Amerikaner in Westeuropa, die Russen draußen und die Deutschen niederhalten, auf dass sie nicht erneut versuchen würden, die Welt in Brand zu setzen.

Durch die Gründung der Nato 1949 brachen die USA mit einem ehernen Prinzip ihrer Außenpolitik: sich niemals auf verbindliche Sicherheitsallianzen mit unberechenbaren Mächten Europas einzulassen. Der schon mit der Berliner Blockade 1948 mit voller Wucht einsetzende Kalte Krieg führte die USA stattdessen mitten nach Europa hinein.

1951 stimmte der Senat der Stationierung von Hunderttausenden US-Soldaten dort zu, die meisten standen in der Bundesrepublik. Für die Deutschen bedeutete dies, wie es der große Publizist Peter Bender einmal nannte, eine "kopernikanische Wende": "Der Konflikt der Sieger bot ihnen die Chance, aus dem Status der Besiegten herauszutreten."

Sie waren nun, in Ost und West und getrennt durch den Eisernen Vorhang, begehrte Bündnispartner; in beiden deutschen Staaten galt das jeweilige Militärbündnis als raison d'etre der eigenen Staatlichkeit.

Noch bis in die Sechzigerjahre hinein schwang bei den Alliierten allerdings die Erinnerung an 1919 mit: Damals, nach dem Versailler Vertrag, war das besiegte Deutschland am Boden; aber nur zwei Jahrzehnte später überrollten seine Panzer Polen, und der nächste Weltkrieg begann.

Als die Sowjetunion 1952 mit der Stalin-Note ein wiedervereinigtes, aber neutrales Deutschland ins Gespräch brachte, reagierten die Regierungen der Nato-Staaten alarmiert: Wie leicht würde ein solches Deutschland sich der Kontrolle der westlichen Demokratien entziehen? Es ist nie so weit gekommen, und der Westen hätte es wohl auch niemals soweit kommen lassen.

Schon 1946 hatte der britische Außenminister Ernest Bevin in einer Kabinettsvorlage geschrieben: "Am schlimmsten wäre ein wiedervereintes Deutschland, das gemeinsame Sache macht mit Russland oder von ihm beherrscht würde." Wie ernst der zunehmend psychotisch agierende sowjetische Tyrann Stalin kurz vor seinem Tod 1953 das Wiedervereinigungs-Angebot wirklich meinte, ist ohnehin fraglich.

Zwischen der Bevölkerung und den Soldaten entstand über die Jahrzehnte ein enges Band

Beide deutsche Staaten stellten bald wieder Streitkräfte von einer Größe auf, die nach dem Untergang des Nazistaates 1945 unvorstellbar gewesen wären. Die Bundeswehr allein hatte Mitte der Achtzigerjahre fast eine halbe Million Soldaten unter Waffen und verfügte über 4500 schwere Kampfpanzer, ihre konventionelle Hauptwaffe.

Noch bis zur Wende 1989 waren Zehntausende Nato-Soldaten bei den jährlichen Herbstübungen in Dörfern, Wäldern und Weinbergen ein gewohnter Anblick. Zwischen der Bevölkerung und den Soldaten der Westmächte entstand über die Jahrzehnte oft ein enges persönliches Band, das bis heute in Städte- und Schulpartnerschaften fortlebt.

Und der zweite Bundeskanzler, Ludwig Erhardt (CDU), ersparte der Bundesrepublik eine Existenzkrise, als er sich hartnäckig und mit Erfolg dem Drängen des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson widersetzte, der Nato-Partner Deutschland solle sich für den Schutz durch die USA bedanken, indem er Soldaten nach Vietnam schickte - wo die Amerikaner jenen brutalen Krieg führten, der sie in Europa und Deutschland sehr viel Sympathie kostete.

Im Westen war die Zustimmung zur Nato anfangs hoch, vor allem aus Furcht vor dem Kommunismus. Für die vernünftigeren der ehemaligen Wehrmachtsoffiziere, das waren keineswegs alle, begann ein neues Zeitalter, in dem man gemeinsam mit den Westalliierten, auf die man 20 Jahre zuvor noch geschossen hatte, nun - wie es hieß - die freie Welt zu verteidigen hatte.

Als Mitte der Fünfzigerjahre das Militär in West und Ost immer spukigere Atomkriegsszenarien entwarf, schreckte es nur wenige wie den deutschen Nato-Verbindungsoffizier Peter von Butler, der einmal sagte, "die Vorstellung, wie Deutschland und Europa zum atomaren Schlachtfeld werden könnten, hat mir nächtelang den Schlaf geraubt".

Im Osten war Kritik am eigenen Militärbündnis eine Todsünde und äußerte sich unter dem Schutz der evangelischen Kirche, vor allem in den letzten Jahren des SED-Regimes. Im Westen erregten die atomaren Abschreckungspläne oftmals Widerstand, der Anfang der Achtzigerjahre während der Nato-Nachrüstungsdebatte zur zivilen Massenbewegung wurde.

Als 1989 dann aber die Mauer fiel, hatte die Nato ihre drei Aufgaben von einst erfüllt: Die Amerikaner waren geblieben, die Russen nicht gekommen, die Deutschen eine zivile Nation geworden. Nun begann ein neues Zeitalter.

Dieser Text erschien zuerst in der SZ-Ausgabe vom 4. April 2019

Anm. d. Red.: In einer früheren Online-Fassung dieses Artikels hieß es, die Nato habe bei ihrer Gründung 1949 Westeuropa vor einem Angriff des Warschauer Paktes schützen sollen. Dieser entstand jedoch erst 1955.

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