Süddeutsche Zeitung

Nato-Erweiterung:Erdoğan lässt sich nicht umstimmen

Der schwedische Premier Ulf Kristersson kommt in der Nato-Frage bei einem Besuch in der Türkei nicht weiter. Der türkische Präsident verweigert weiterhin seine Zustimmung zum Beitritt der Skandinavier. Weil es ihm nützt.

Von Tomas Avenarius und Alex Rühle, Istanbul/Stockholm

Es war ein Besuch, auf den man auch in Washington und im Nato-Hauptquartier in Brüssel mit Spannung geblickt haben dürfte. Ulf Kristersson, der neue schwedische Ministerpräsident, flog am Montag nach Ankara, um sich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu treffen. Thema war der Nato-Beitrittsantrag von Schweden, den mittlerweile alle Mitgliedsländer ratifiziert haben - außer Ungarn und der Türkei. Budapest soll hinter den Kulissen signalisiert haben, noch vor Jahresende zuzustimmen. Bleibt also Ankara.

Doch die türkische Führung sagt, Schweden unterstütze kurdische Terrorgruppen. Erdoğan, der durch seine Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg international an Gewicht gewonnen hat, nutzt das Gesuch, um den Preis für seine Zustimmung hemmungslos hochzutreiben und so auch andere Ziele zu erreichen. Etwa, dass die USA ihm neue F 16-Kampfflugzeuge liefern. Mit dem Problem der PKK, die in der Türkei, in den USA und in der EU als Terrorgruppe gelistet ist, hat er ein probates Druckmittel gefunden.

Kurdische Oppositionelle, die von der Türkei generell als PKK-nahe Terroristen abgestempelt werden, finden in EU-Staaten Schutz vor politischer Verfolgung. Der Untergrundkrieg der PKK aber läuft seit vier Jahrzehnten und hat bereits 40 000 Menschen das Leben gekostet. Und die syrische Kurden-Miliz YPG und die hinter ihr stehende PYD-Partei wiederum sind PKK-Ableger. Deshalb werden sie von Ankara als Terrorgruppen betrachtet. Doch die YPG hat sich im "Kampf gegen den Terror" und den sogenannten Islamischen Staat mit den USA verbündet. In den an die Türkei angrenzenden syrischen Kurdengebieten kämpft die YPG hingegen gegen die türkische Armee. Erdoğans Truppen haben mehrere Militäroperationen gegen die YPG unternommen.

Bereits im Sommer hatten Finnland, Schweden und die Türkei ein Memorandum unterzeichnet, in dem die beiden nordeuropäischen Länder zusicherten, Aktivitäten der YPG/PYD nicht weiter zu unterstützen. In einem Interview am Wochenende hatte der neue Außenminister Tobias Billström das noch einmal unterstrichen. Er sagte, die anstehenden Verhandlungen mit der Türkei würden dadurch erleichtert, dass die neue Regierungskoalition nicht das gleiche "Gepäck" trage wie die sozialdemokratische Vorgängerregierung, womit er auf Sympathien für die kurdische Sache auf linker Seite anspielte.

Schwedische Abgeordnete vor PKK-Flagge

So half es Kristersson nicht wirklich, dass am Morgen des Ankara-Besuchs Fotos in der schwedischen (und sofort auch in der türkischen) Presse auftauchten, die Billströms Parteikollegin, die Moderaten-Abgeordnete Margareta Cederfelt, zeigen, wie sie bei einem kurdischen Kulturfestival in Solna bei Stockholm im Wahlkampf 2018 auftritt; hinter ihr hängt die als terroristisch gekennzeichnete Flagge der PKK.

Kristersson beeilte sich, am Montag auf Facebook zu schreiben, Schweden müsse deutlich mehr gegen den Terrorismus tun, "durch neue Gesetze, die völlig neue Möglichkeiten bieten, die Beteiligung an terroristischen Organisationen zu unterbinden". Aber am Ende haben Billströms und Kristerssons Bemühungen nichts gebracht. Die beiden Staatschefs besprachen sich noch, da sagte der türkische Parlamentssprecher Mustafa Sentop bereits, Schweden habe "noch viele Schritte vor sich", bevor der Nato-Antrag von der Türkei genehmigt werden könne. Sentop behauptete, Terroristen könnten in Schweden weiterhin "Propaganda-, Finanzierungs- und Rekrutierungsaktivitäten" durchführen, und es seien keine Fortschritte in Bezug auf die Auslieferungsanträge der Türkei erzielt worden.

Erdoğan forderte in der Pressekonferenz, Schweden müsse erst "Terroristen" ausliefern. Kristersson, der in der Pressekonferenz immer und immer wieder die außerordentlich engen türkisch-schwedischen Beziehungen betonte, blieb in diesem einen Punkt verhalten: Man werde sich an europäisches Recht halten, was die Überprüfung der einzelnen Auslieferungsanträge angeht.

Natürlich kennt man in Ankara die schwedische Rechtslage und weiß, dass kaum ein politischer Flüchtling einfach ausgeliefert werden kann. Doch Erdoğan will nicht nur PKK und YPG politisch und militärisch schwächen, sondern denkt auch an die Wahl im April. Nun kann er sich als Präsident präsentieren, der sich von den USA und anderen Nato-Mitgliedern nichts vorschreiben lässt. Bei der von Haus aus national gestimmten Bevölkerung kommt dies immer an. Ihm dürfte dieses Treffen also genützt haben. Am Ende sagte er, man werde sich bald schon wiedersehen. Er hoffe, bis dahin "mehr positive Signale zu sehen".

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