Informelles Treffen in Oslo:Schweden möglichst schnell, die Ukraine lieber später

Informelles Treffen in Oslo: Die Gespräche waren vertraulich - und auch beim Gruppenbild ging der Austausch weiter: Nato-Generalsekretär Stoltenberg, Bundesaußenministerin Baerbock und ihr US-Kollege Blinken.

Die Gespräche waren vertraulich - und auch beim Gruppenbild ging der Austausch weiter: Nato-Generalsekretär Stoltenberg, Bundesaußenministerin Baerbock und ihr US-Kollege Blinken.

(Foto: Sergei Grits/AP)

Die Außenminister der Nato-Mitgliedstaaten fordern den türkischen Präsidenten Erdoğan auf, die Blockade des Beitritts aufzugeben, nachdem Stockholm zentrale Forderungen der Türkei erfüllt hat. Bei den Perspektiven für Kiew werden Differenzen sichtbar.

Von Gunnar Herrmann und Paul-Anton Krüger, Oslo

Das informelle Treffen der Nato-Außenminister in Oslo ist für den scheidenden Generalsekretär Jens Stoltenberg ein Heimspiel - in seiner Geburtsstadt bereitete er das wohl letzte Gipfeltreffen unter seiner Ägide am 11. und 12. Juli in Litauens Hauptstadt Vilnius vor. Ein "Drehbuch" für das Treffen der Staats- und Regierungschefs gelte es zu schreiben, sagte Bundesaußenminister Annalena Baerbock. Damit das gewünschte Signal der Geschlossenheit von dem Gipfel ausgeht, diskutierten die Minister in vertraulicher Runde (ohne Delegation, Handys vorher abgeben) vor allem drei Themen: den Beitritt Schwedens, die Stärkung der Ostflanke angesichts der Bedrohung durch Russland und, der umstrittenste Punkt, die Perspektiven auf eine Mitgliedschaft für die Ukraine.

Auch vor den Kameras waren sich alle einig: Die Türkei müsse ihre Blockade aufgeben. Es sei essenziell, Schweden in Vilnius im Kreis der Verbündeten begrüßen zu können, sagte Baerbock, und Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis erklärte die Aufnahme zum Erfolgskriterium für den Gipfel. Schwedens Außenminister Tobias Billström, der in Oslo teilnahm, hatte zuvor gesagt, ein neues Antiterrorgesetz seiner Regierung solle den Weg in die Allianz ebnen.

Die Türkei verwehrt ihre Zustimmung mit der Begründung, das Land unternehme nicht genug gegen "Terrororganisationen", womit insbesondere die kurdische PKK gemeint ist. Die am Donnerstag in Kraft getretenen Verschärfungen stellen es nun in Schweden unter Strafe, Organisationen wie die PKK mit Geld, Ausrüstung oder anderweitig zu unterstützen. Damit erfüllt das Land eine zentrale Forderung Ankaras. Billström begründete dies auch damit, dass die "umfassenden Aktivitäten" der PKK mit der Gangkriminalität zusammenhängen - ein großes Problem in Schweden. Die Teilnahme an Demonstrationen bleibt straffrei.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg kündigte an, "in naher Zukunft" in die Türkei zu reisen. Er habe mit dem wiedergewählten Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gesprochen und die Bedeutung von Fortschritten betont, sagte er. In den USA machen einflussreiche Senatoren die Lieferung von F-16-Kampfjets von einem Kurswechsel Erdoğans abhängig; Außenminister Tony Blinken lehnte eine Verknüpfung aber ab.

Zur Stärkung der Ostflanke forderte Litauens Außenminister eine "starke Präsenz der Nato", nur das könne den russischen Präsidenten Wladimir Putin von weiteren Aggressionen abschrecken. Landsbergis verwies auf die von Moskau angekündigte Verlegung taktischer Atomwaffen nach Belarus, das an Polen, Lettland und Litauen grenzt. Die Bundesregierung hat Litauen eine komplette Bundeswehr-Brigade zugesagt, zwischen 3500 und 4500 Soldaten, will aber nur einen Kommandostab dauerhaft dort stationieren, nicht die gesamte Einheit, wie es Litauen fordert.

Litauen macht Druck bei der Aufnahme der Ukraine

Nato-Generalsekretär Stoltenberg erwartet eine Einigung der Bündnispartner auf ein neues Unterstützungsprogramm für die Ukraine. Er gehe davon aus, dass ein langfristiger Plan vereinbart werde, sagte er nach dem Treffen in Oslo. Das Programm könnte auf zehn Jahre angelegt sein und jährlich mit einem dreistelligen Millionenbeitrag ausgestattet sein, heißt es.

US-Außenminister Blinken sagte, man konzentriere sich auch darauf, dem Land beim Aufbau ihrer mittel- bis langfristigen Abschreckungs- und Verteidigungskapazitäten zu helfen. Die Allianz spiele dabei eine wichtige Rolle, indem sie dazu beitrage, die ukrainischen Streitkräfte auf Nato-Standard zu bringen. Einzelne Länder würden der Ukraine auch längerfristig Unterstützung gewähren, sodass sie ihre Abschreckungs- und Verteidigungskapazitäten vollständig aufbauen könne. Die USA hatten erst am Mittwoch neue Militärhilfe im Wert von 300 Millionen Dollar angekündigt.

Differenzen wurden aber bei der Beitrittsperspektive für die Ukraine sichtbar. Sie müsse schnellstmöglich aufgenommen werden, forderte Landsbergis - seit 14 Jahren werde sie in Vorzimmern vertröstet. Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna sprach von "einem Pfad mit Stufen und Fortschritten", der es der Ukraine ermöglichen solle, der Allianz beizutreten, "wenn der Zeitpunkt gekommen ist". Sie sei aber nicht sicher, ob in Vilnius im Juli Daten für die Phasen genannt würden.

Baerbock äußerte sich vorsichtiger: Man könne "mitten in einem Krieg" nicht über eine Mitgliedschaft sprechen - was unstrittig ist. Die Bundesregierung ist bei konkreten Schritten jenseits der geplanten Aufwertung der institutionellen Anbindung durch einen Nato-Ukraine-Rat zurückhaltend. Nach Ansicht von Bundeskanzler Olaf Scholz steht ein Beitritt derzeit nicht an; zuvor müssten auch die Grenzen der Ukraine abschließend geklärt sein.

Dagegen verwies Landsbergis darauf, dass die Bundesrepublik ungeachtet der Teilung Deutschlands der Nato angehört habe. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn deutete an, eine Aufnahme wäre denkbar, wenn der Krieg eingefroren würde. Er war schon 2008 beim Gipfel in Bukarest dabei, als der Ukraine ein Beitritt zwar grundsätzlich in Aussicht gestellt wurde, Deutschland und Frankreich aber einen konkreten Plan dafür blockiert hatten.

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