Nato:Abschied von der Nabelschau

Nato: Zunehmend erregen russische Rüstungsprojekte Besorgnis in Nato-Kreisen, so auch das S-400-Raketenabwehrsystem, das hier in Moskau zu sehen ist.

Zunehmend erregen russische Rüstungsprojekte Besorgnis in Nato-Kreisen, so auch das S-400-Raketenabwehrsystem, das hier in Moskau zu sehen ist.

(Foto: Alexander Zemlianichenko/AP)

Beim ersten Treffen nach dem Eklat im Juli steht Russlands Verhalten im Zentrum.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Ihr jüngster Gipfel im Juli sitzt den Nato-Staaten noch in den Knochen. Ein amerikanischer Präsident, der in wildem Furor über Alliierte herzieht, die nicht genug Geld ausgeben für die Rüstung; der vor allem Deutschland attackiert und der Bundesregierung Kungelei mit Moskau vorwirft; der sogar mit einem Rückzug aus dem Bündnis droht: Das rüttelte an den Nerven vor allem der europäischen Partner. Umso dringender scheint nun allseits das Bedürfnis zu sein, sich zu beruhigen und auf die eigentliche Aufgabe zu besinnen, die kollektive Verteidigung.

Auf dem zweitägigen Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel, das am Mittwoch begann, sollte es daher weniger um Nabelschau und mehr darum gehen, die eigenen Fähigkeiten zu stärken, nicht zuletzt im Cyber-Bereich. Außerdem ist das Bündnis dabei, seine Kommandostruktur zu reformieren. Zu einem beträchtlichen Teil geschieht all dies, um sich gegen den alten Widersacher Russland zu rüsten, von dem sich das Bündnis seit Längerem verstärkt bedroht sieht. Das betrifft nicht nur die Versuche, mittels hybrider Kriegführung Unruhe in Europa und anderen Gegenden zu stiften. Oder die Besetzung von Teilen der Ukraine. Oder das jüngste Großmanöver mit 300 000 Soldaten, das Russland auf einen internationalen Konflikt vorbereiten soll. Große Sorge bereitet dem westlichen Bündnis vielmehr ein aus seiner Sicht grober Verstoß Moskaus gegen die Rüstungskontrolle. Konkret: Die Nato wirft Russland vor, an der Entwicklung eines Mittelstreckenwaffensystems zu arbeiten, das gemäß dem INF-Abrüstungsvertrag verboten ist. "Dieser Vertrag ist in Gefahr durch Russlands Handlungen", warnte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Die USA beschuldigen Russland seit 2014, den INF-Vertrag zu brechen. Erst Ende des vergangenen Jahres gab die US-Regierung bekannt, dass sie sich auf den Marschflugkörper 9M729 bezieht, den die Nato SSC-8 nennt. Das System könnte Atomwaffen über mehr als 500 Kilometer transportieren, also bis nach Mitteleuropa. Es fiele damit in jene Kategorie bodengestützter Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern, die der 1987 geschlossene INF-Vertrag beseitigen wollte. "Nach Jahren des Leugnens" habe Russland kürzlich zugegeben, dass ein solches System existiere, sagte Stoltenberg. Der Kreml müsse "dringend" und "transparent" auf die Bedenken der Nato eingehen. Der INF-Vertrag sei ein "Eckstein der europäischen Sicherheit", schließlich habe er in den Achtzigerjahren ein gefährliches Wettrüsten beendet.

Russland bestreitet, den INF-Abrüstungsvertrag zu verletzen

Weitaus militanter äußerte sich die Nato-Botschafterin des INF-Vertragsstaats USA, Kay Hutchison. Ihr Land bevorzuge eine diplomatische Lösung, sei aber bereit, die russischen Waffen notfalls auszuschalten. Hutchison benutzte das englische Verb "to take out", was zu aufgeregten Spekulationen führte. Was sie genau meinte, ließ sie auf Nachfrage offen. Die USA hielten sich an den INF-Vertrag, sagte sie, könnten sich jedoch gezwungen sehen, ein ähnliches System zu entwickeln.

Russland nannte die Aussagen der US-Botschafterin gefährlich. "Es scheint, dass sich Leute, die solche Erklärungen abgeben, nicht über ihr Maß an Verantwortung und die Gefahren aggressiver Rhetorik im Klaren sind", sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. Russland bestreitet die angeblichen Verstöße. Es gilt aber als offenes Geheimnis, dass sich der INF-Vertrag nicht mehr verträgt mit den russischen strategischen Interessen.

Zum Abendessen am Mittwoch beugten sich die Minister über das Dauerthema "Lastenteilung". Gemeint ist das von Donald Trump so vehement eingeforderte Versprechen aller Nato-Partner, bis 2024 mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Bis zum Jahresende sollen alle Staaten Pläne vorlegen, wie sie dies erreichen wollen. Die Diskussion hat sich leicht entspannt. Das bisher Erreichte sei doch beeindruckend, sagte Stoltenberg. Kanada und die nicht-europäischen Nato-Staaten hätten ihre Ausgaben 2017 um fünf Prozent und 40 Milliarden Dollar gesteigert. Die Bundesregierung will bis 2024 nur auf 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung kommen. Das reiche aus, um die von der Nato geforderten Fähigkeiten bereitzustellen, argumentiert sie.

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