Nationalsozialismus:Frauen-KZ Ravensbrück: Das Grauen am Schwedtsee

Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück

Sklavenarbeit für die Herrenmenschen: Die Frauen im KZ Ravensbrück wurden zu harter Arbeit gezwungen.

(Foto: SZ Photo)

In Ravensbrück betrieben die Nazis das einzige Konzentrationslager nur für Frauen. Die Häftlinge mussten Zwangsarbeit leisten, wurden erniedrigt und gefoltert, Zehntausende starben.

Von Ludger Heid

Das Dorf Ravensbrück ist eine kleine an der Havel gelegene Gemeinde im Norden des Landes Brandenburg, Teil der historischen Landschaft der Uckermark. Von Dezember 1938 bis April 1939 wurde hier von Häftlingen des KZ Sachsenhausen ein spezielles Konzentrationslager errichtet, ein reines Frauenlager. Es lag am Ufer des beschaulichen Schwedtsees und war von Wald umgeben.

Die Nationalsozialisten ließen ihre Lager gern mitten in der Natur anlegen, den Blicken der Bevölkerung möglichst entzogen. Als im Frühjahr 1939 die Lagereröffnung näher rückte, wurden "deutschblütige" Frauen dazu angehalten, an der "Heimatfront zu dienen" - etwa als Lageraufseherin. Ein Konzentrationslager verhieß Aufschwung in Arbeit und Handel. Ein Aspekt, der allzu oft übersehen wird.

Heinrich Himmler fuhr häufig mit seinem Mercedes-Cabrio - das er gerne mit offenem Verdeck und warm eingepackt selbst steuerte - über die Reichsstraße 96 nach Ravensbrück. Er hatte Freude an der schönen Gegend und nutzte bei seinen Dienstreisen oft die Gelegenheit, Freunde zu besuchen, die dort Landbesitz hatten und hier zur Jagd gingen.

Doch das Jagen von Tieren verabscheute Himmler. Für ihn war das "reiner Mord". Seinem Masseur und Vertrauten Felix Kersten sagte er: "Wie können sie nur ein Vergnügen daran haben, auf die armen Tiere aus dem Hinterhalt zu schießen?" Bei Menschen war der Reichsführer SS nicht so mitfühlend. Nach einer Inspektion verließ er das Lager selten, ohne neue Befehle gegeben zu haben. Einmal ordnete er an, die Suppe für die Häftlinge solle mehr Wurzelgemüse enthalten. Ein anderes Mal sagte er, das Töten gehe ihm nicht schnell genug.

Die britische Journalistin und Historikerin Sarah Helm hat nun eine umfangreiche und besondere Studie über das einzige Frauen-Konzentrationslager im Kosmos des NS-Lagersystems vorgelegt.

Im Mai 1939 wurden die ersten Frauen in verdunkelten Bussen in das Lager verfrachtet. Als die Türen aufsprangen, erblickten die Insassinnen als Erstes den nahe gelegenen schimmernden See, rochen den Duft des Kiefernwaldes. Doch das Idyll wich abrupt der Realität: Am Ende der Fahrt wurden sie von Aufseherinnen mit Hunden und Peitschen empfangen, Gebrüll, Befehle und Beleidigungen gingen auf sie nieder. Die geübte SS-Routine erfüllte ihren Zweck - ein Maximum an Schrecken und Angst im Augenblick der Ankunft zu erzeugen. Das Vorspiel zu der Hölle, die noch vor den Häftlingen lag.

Erfroren, verhungert, tot gespritzt

Das Lager Ravensbrück sollte als sogenanntes Schutzhaftlager für weibliche Häftlinge dienen, die aus der Gesellschaft "entfernt" werden sollten - Prostituierte, Straftäterinnen, Obdachlose, Sinti und Roma, Zeuginnen Jehovas, nicht zuletzt Jüdinnen. In der Realität hieß das: Die Insassinnen mussten Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie leisten, Siemens hatte dort eine Fabrik.

Obwohl Ravensbrück nicht als Vernichtungslager angelegt war, wurden hier 40 000 bis 50 000 Frauen ermordet: erschossen im Wald, erstickt in der Gaskammer, zu Tode geprügelt am "Bock", erfroren; verhungert, an Erschöpfung, Typhus oder Ruhr zugrunde gegangen, mit Benzin tot gespritzt, nach medizinischen Experimenten mit Wundbrand.

Über die Geschichte des KZ Ravensbrück ist die Historiografie lange Zeit achtlos hinweg gegangen. Das mag auch dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass die Lagerverwaltung die Gefangenenakten im lagereigenen Krematorium verbrannte und die Asche der Toten in den Schwedtsee gestreut hatte.

Sarah Helm hat mit überlebenden Frauen gesprochen, hat ihnen Gehör geschenkt. Das war erst zu Beginn der 1990er-Jahre möglich, nachdem sich der Eiserne Vorhang gehoben und die osteuropäischen Archive geöffnet hatten. Daraus hat sie recht kunstvoll eine kollektive Biografie geformt, die die "Ravensbrückerinnen" aus Ost und West gewissermaßen wieder zusammenführt.

Aufseherin Herta und ihr Schäferhund

Unter den Gefangenen im KZ waren auch prominente Frauen - die Schriftstellerin Margarete Buber-Neumann, Kafkas Freundin Milena Jesenská, die dessen "Verwandlung" ins Tschechische übersetzt hatte, oder die Widerstandskämpferin und Sozialistin Olga Benario.

Sarah Helm verbindet in ihrem Buch Fakten und persönliche Schicksale, Berichte von der Brutalität der Aufseherinnen, von medizinischen Versuchen der Lagerärzte, vom Lageralltag. So erschafft sie ein noch nicht dargestelltes Bild des Lagerlebens. Eines Lebens, in dem es auch Aktionen des Widerstands gab.

Zuständig für die Insassinnen waren vor allem weibliche Aufsichtspersonen. Zwischen 1939 und 1945 wurden mehr als 3500 Aufseherinnen in Ravensbrück ausgebildet, um im Gefolge der SS Dienst zu tun; geschult, Opfer zu bewachen, zu quälen und zu töten. Es waren Frauen aus allen Bevölkerungsschichten, viele waren kaum älter als 20 Jahre. Sie wurden dienstverpflichtet oder meldeten sich freiwillig - bezahlt nach der Tarifordnung für Angestellte im öffentlichen Dienst.

Eine Fotografie zeigt die Aufseherin Herta mit ihrem Schäferhund "Greif", das Tier wie sein "Frauchen" Uniform tragend - Leibchen mit SS-Rune. Auf der Rückseite der Fotografie war notiert: "Zur Erinnerung an meine schöne Dienstzeit an meine lieben Eltern Eure Herta. Den 24.3.1944. Das ist mein treuer Begleiter Greif".

Im ersten Hamburger Ravensbrück-Prozess 1946/1947 standen 16 Angeklagte vor Gericht, unter ihnen sieben Frauen. Sie mussten sich wegen ihrer Tätigkeit als KZ-Aufseherinnen vor einem britischen Militärgericht verantworten. Fünf Frauen wurden zum Tode verurteilt. Nur einige der Aufseherinnen wurde überhaupt vor Gericht gestellt. Und von denen, die verurteilt wurden, kamen in der Bundesrepublik viele nach kurzer Zeit wieder frei.

Am Ende des Krieges wurden die Gefangenen von Ravensbrück - alte, junge, aus vielen Ländern, nichtjüdische wie jüdische, die nichts verband, als dass sie Frauen waren - nur ermordet, weil ihre Beine nicht mehr fähig waren, sie auf dem Todesmarsch zu tragen. In Wirklichkeit geschahen die letzten Vergasungen, weil die Täter mit dem Morden nicht aufhören konnten - der Massenmord an Frauen auf die bestialischste Art, ohne den Deckmantel einer noch so obszönen Ideologie.

Sinnbild für die Ohnmacht der Welt

Während dieses Morden seinen Höhepunkt erreichte, waren zwischen den Bäumen Rotkreuz-Busse geparkt. Kann es ein besseres Sinnbild geben für die Ohnmacht der Welt angesichts dieses monströsen Verbrechens als diese Busse, die geduldig warteten, bis die Vergasung vorüber war?

Auf die Frage, was für sie das Kennzeichnende am Konzentrationslager Ravensbrück sei, antwortete Sarah Helm: "Nazis haben an vielen Orten Gräueltaten an Frauen verübt. Doch so wie Auschwitz der Brennpunkt der Verbrechen an den Juden war, war Ravensbrück der Brennpunkt der Verbrechen an Frauen. Das wollen einige in der Geschichtswissenschaft nicht sehen."

Dem Leser bieten sich 802 Seiten, prall gefüllt mit Leid, Gräuel und Tod, aber auch mit Hoffnung, Zuversicht, Würde und Hilfsbereitschaft. Und es ist gut, dass die Autorin ihren Bericht nicht im Stile einer Wissenschaftlerin vorträgt. Sarah Helm erzählt die Geschichte eines beispiellosen, allzu lange marginalisierten Verbrechens an Frauen umfassender als jemals zuvor.

Sarah Helm: Ohne Haar und ohne Namen. Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Aus dem Englischen von M. Richter, A. Zettel und M. Sailer. Theiss Verlag, Darmstadt 2016. 802 Seiten, 38 Euro. E-Book: 31,99 Euro.

Ludger Heid ist Neuzeithistoriker. Er lebt in Duisburg.

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