Nationalratswahl in Österreich:"Du bist schon viel zu lange im Kanzleramt"

AUSTRIA  ELECTION TV DEBATE

Zwei verträgliche Typen: ÖVP-Mann Michael Spindelegger (li.) und Kanzler Werner Faymann (SPÖ).

(Foto: picture alliance / dpa)

Obwohl die große Koalition in Wien schon Tradition ist, beharken sich die bisherigen Partner nach Kräften. In einem Medienwahlkampf bekommt so auch der SPÖ-Regierungschef vom ÖVP-Vizekanzler sein Fett weg. Das Wahlvolk fühlt sich gut unterhalten.

Von Cathrin Kahlweit, Linz

Werner Faymann mag nicht mitspielen. Schon gar nicht, wenn es auf Geschicklichkeit ankommt. "Ich spiele nicht", sagt er, und lächelt das leicht verkniffene, wölfische Grinsen, das man vom deutschen Kanzler a. D. Helmut Schmidt kennt.

Faymann, Österreichs Bundeskanzler, will am Sonntag wiedergewählt werden. Natürlich mag er nicht wie ein Spaßverderber wirken. Aber er möchte als Staatsmann rüberkommen und sich nicht vor laufender Kamera vorführen lassen, wie er eine Kugel auf einem Holzbrett über einen Hindernis-Parcours rollt. Und dabei womöglich scheitert.

Der ORF hatte alle Spitzenkandidaten nacheinander für eine "Wahlfahrt" in einem Auto auf dem Beifahrersitz festgeschnallt; sie werden von einer kleinen Kamera beobachtet und fühlen sich doch irgendwie mit dem Fahrer, der auch der Moderator ist, allein.

Bei dieser Gelegenheit hatte Frank Stronach, der greise Gründer einer nach ihm benannten Neu-Partei, mal eben, quasi im Vorüberfahren, die Todesstrafe für Berufskiller erfunden. Der austro-kanadische Milliardär hatte sich allerdings Unterstützung mitgebracht. Kathrin Nachbaur, die heimliche Parteichefin, saß als Aufpasserin im Fonds und regelte den Ausrutscher umgehend per Dementi.

SPÖ in Umfragen stärkste Kraft

Nun also Faymann. Er soll zeigen, wie ruhig seine Hand ist, immerhin hat die SPÖ das ganze Land mit dem Slogan "Mit sicherer Hand für Österreich" zuplakatiert. Der Kanzler sagt, daheim spiele er durchaus mal Karten, da gewinne aber immer "die Tochter". Dann klettert er erleichtert aus dem Wagen und marschiert zu einem Wahlkampftermin. Allein in den drei Tagen vor der Nationalratswahl absolviert der Parteichef Dutzende Termine in allen neun Bundesländern - dabei muss sich die SPÖ, wenn es nach den Meinungsforschern geht, als einzige Partei keine echten Sorgen machen. Im Vergleich zu historischen Glanzzeiten, als die Volksparteien SPÖ und ÖVP im Land noch gemeinsam auf etwa 90 Prozent kamen, sind die prognostizierten 28 Prozent für die SPÖ zwar kläglich, aber damit wäre sie immer noch stärkste Kraft.

Eigentlich könnte Faymann also entspannt den Wahlabend abwarten. Aber er ist dünnhäutig. Sollte er bei Spiel und Spaß lässig und heiter sein, so vermag er das im Amt ohnehin gut zu verbergen. Egal ob auf Parteitagen, wenn er mit seiner leicht knödelnden Stimme und durchaus mit Vehemenz über soziale Gerechtigkeit referiert, ob bei den wöchentlichen Pressekonferenzen nach dem Ministerrat, gegenüber Gästen aus dem Ausland oder auf Wahlkampfveranstaltungen: Der 53-Jährige wirkt immer ein wenig angestrengt. Als koste es ihn Kraft, seine Rolle als erster Mann der Exekutive täglich mit jenem Selbstbewusstsein zu spielen, das der Anführer eines kleinen Landes im Konzert der großen Nachbarn demonstrieren muss. Und das die Österreicher mit ihrer Vorliebe für zynische Charismatiker wie Bruno Kreisky und Jörg Haider auch lange gewöhnt waren.

Theaterdonner zwischen SPÖ und ÖVP

Viele Österreicher beklagen daher, Faymann, aber auch sein Counterpart in der Koalition, Außenminister und ÖVP-Chef Michael Spindelegger, seien fade Bürokraten, Verwaltungsbeamte im steifen Hemd. In diesem Wahlkampf, der im Wesentlichen ein permanenter Fernsehwahlkampf ist und in dem sich die Spitzenkandidaten fast ungefiltert im Abendprogramm präsentieren dürfen, versuchen sich sowohl der SPÖ-Chef wie auch der ÖVP-Mann deshalb als Unterhalter der Nation.

Das geht auf Kosten von Inhalten. Faymann verspricht, die Renten seien sicher, private Vorsorge sei etwas für die Besserverdienenden, und einen Mindestlohn für Friseurinnen von 1500 Euro verspricht er irgendwie auch. Spindelegger will die Wirtschaft entfesseln und verspricht, er werde Jobs schaffen, obwohl jeder Politikstudent weiß, dass Kanzler keine Jobs schaffen können.

Da die beiden Herren ansonsten eher verträgliche Typen sind, die seit Jahren gemeinsam am Kabinettstisch sitzen, sind erregte Debatten, in denen der eine dem anderen vorwirft, er wisse ja gar nicht, wie die Menschen leben, und der andere kontert: "Du bist schon viel zu lange im Kanzleramt, du gehörst einmal weg", vor allem Theaterdonner.

Am Montag werden der Kanzler und sein Vize, wenn die Meinungsforscher recht behalten, gemeinsam weiterregieren können; die ÖVP wird wohl etwas abspecken und zwischen 22 und 26 Prozent der Stimmen erhalten. Weil aber die rechtspopulistische FPÖ ganz kurz hinter den Konservativen an der 20-Prozent-Marke schrappt und es daher für Rot-Schwarz vielleicht nicht reichen wird, könnte es sein, dass sich die beiden einen weiteren Koalitionspartner suchen müssen.

Die Grünen hoffen, dass sie das sein werden. Sie stehen bei 15 Prozent und beten, dass ihnen das Schicksal der deutschen Freunde erspart bleibt: hoch starten, tief fallen. Mit der Forderung nach mehr Transparenz und Korruptionsbekämpfung hatten sie im vergangen Jahr punkten können, aber der Wahlkampf hat das Themenspektrum zunehmend auf Arbeit, Renten, Steuern, Bildung verengt - und das sind keine grünen Kernthemen.

Die Grünen hoffen auf eine Regierungsbeteiligung

Das Bildungsthema hat außerdem die liberale Partei Neos (Das neue Österreich) zu besetzen versucht. Die erbitterte Debatte zwischen ÖVP und SPÖ, ob die Einführung von Ganztagsschulen schon ein "Muss" sei und damit Zwangsbeschulung bedeute oder noch ein "Kann" und damit eine zusätzliche Bildungschance, hat den Neos ebenso Auftrieb gegeben wie die gescheiterte Reform des Lehrerdienstrechts. Diese hat Österreich in jüngster Zeit mehr beschäftigt als Euro-Krise, Syrien-Krieg und Staatsverschuldung zusammen.

Parteigründer Matthias Strolz, sinnigerweise Experte für Change Management, war früher im Umfeld der ÖVP politisch aktiv, nun will er seine neue Partei über die Vier-Prozent-Hürde führen - und die "Kaderparteien" mit ihrem "Kadavergehorsam" das Fürchten lehren. Strolz ist ein energetischer Machertyp, er hat eine Mission und will, dass sie jeder versteht: "Wir wollen gestalten, nicht noch 25 Jahre lang üben, wir sind bereit für eine Koalition." Leise Zweifel, ob die Performance reicht, um die "Schattenregierung der Sozialpartner" und das "Kartell der Korrupten" zu sprengen, unterdrückt Strolz im Wahlkampf: "Wir sind die neue Bürgerbewegung."

Bei der ÖVP fürchtet man die Neos ebenso wie das Team Stronach, obwohl die Umfragewerte des Herrn aus Übersee seit Wochen stetig fallen. Stronach hatte der permanente TV-Zirkus nicht in die Hände gespielt, er wirkte desorientiert, bisweilen sonderbar. Seine Partei hatte ihn in den letzten Talkshows lieber durch eloquentere Vertreter ersetzt, und die politische Konkurrenz hofft, dass Stronach samt seiner Milliarden nach der Wahl wieder in seine Wahlheimat Kanada verschwindet.

FPÖ propagiert Kampf gegen "kriminelle Ausländer"

Schmerzliche Verluste könnte sein Team Stronach der ÖVP aber ebenso bescheren wie die Neos und die rechte Splitterpartei BZÖ. Und auch die FPÖ, lange im medialen Windschatten der Klein-Parteien, legt zu. Parteichef Heinz-Christian Strache, ein fotogener, rhetorisch geschickter Populist, hatte den Wahlkampf lange mit Kritik am Euro und der Wirtschaftspolitik der Regierung bestritten. Auf den letzten Metern aber zeigen die Freiheitlichen einmal mehr, wie sie in Österreich zur dritten Volkspartei werden konnten: Mit rassistischen und antidemokratischen Motiven, mit der Hatz auf "Sozialschmarotzer" und "kriminelle Ausländer" hat die FPÖ noch jedes Mal gepunktet.

Das stört, obwohl es eher dem Koalitionspartner schadet, auch Werner Faymann. Die Republik müsse vor Schwarz-Blau geschützt werden, warnen die Sozialdemokraten, denn dass die ÖVP - damals sogar nur als drittstärkste Kraft - unter Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 an der SPÖ vorbei mit Jörg Haiders FPÖ koalierte, das sitzt Österreich und seinen Linken bis heute wie ein Stachel im Fleisch. In Österreich ist es unüblich, vor der Wahl Koalitionsaussagen zu machen; explizit ausgeschlossen hat Spindelegger daher eine Koalition mit Strache nicht.

Eine Neuauflage von Schwarz-Blau werde schon "ausgepackelt", warnt man bei der SPÖ, und auch sonst hofft man darauf, mit der Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Reichensteuern bei der kleinbürgerlichen Klientel der Rechten zu punkten. In den eigenen Umfragen jedenfalls sieht die SPÖ ihren Kanzler in jeder Beziehung vorn: Er spreche soziale Probleme am besten an und beeindrucke die Zuschauer am meisten. Und er sei vor allem eines: sehr staatsmännisch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: