Süddeutsche Zeitung

Nationalismus:Die Sehnsucht und der Hass

Hier der noble Baske, dort der korrupte Spanier: Wo das Selbstverständnis der Region seine Wurzeln hat.

Von Sebastian Schoepp

Am Morgen des 20. Dezember 1973 hatte Luís Carrero Blanco wie jeden Tag die Messe in der Madrider Kirche San Francisco Borja besucht und sich danach auf den Weg zur Arbeit gemacht. Als der Wagen des spanischen Regierungschefs in die Straße Claudio Coello einbog, ging die Bombe hoch. Die Attentäter hatten hundert Kilogramm Sprengstoff unter einem Kanaldeckel versteckt. Die Detonation katapultierte den Wagen 35 Meter in die Höhe, er flog über eine Kirche hinweg und landete auf einem Balkon. Carrero Blanco, Fahrer und Leibwächter starben.

Die Bombe der baskischen Untergrundorganisation Eta hatte ein kratergroßes Loch nicht nur in die Straße, sondern auch in die Erbfolgepläne von Spaniens greisem Diktator Francisco Franco gesprengt. Als er 1975 starb, war niemand mehr da, der wie Carrero Blanco Macht und Charisma gehabt hätte, in Francos Sinne weiterzuregieren. Kurze Zeit genoss die Eta den Nimbus einer Befreiungsbewegung. Doch die Demokratie war für die Terroristen kein Grund, der Gewalt abzuschwören, im Gegenteil: Die meisten ihrer etwa 850 Morde verübte die Eta nach 1980, nach der Verabschiedung einer Autonomie für das Baskenland, die weit über das hinausgeht, was andere föderalistische Staaten ihren Minderheiten zugestehen. Im Grunde war es der Eta stets egal, ob Demokratie oder Diktatur. Wenn es aus Madrid kam, musste es bekämpft werden. "Der Hass auf die Spanier ist konstituierendes Moment des baskischen Nationalismus", schreibt der Politikwissenschaftler Antonio Elorza.

Dieser Nationalismus entstand im 19. Jahrhundert, er war die Reaktion der Basken auf die Angst, als Volksgruppe unterzugehen. Friedrich Engels bezeichnete sie 1851 als "Völkerruine", die dazu verdammt seien, im Zuge des Fortschritts zu verschwinden. Jahrhundertelang hatten die baskischen Hirten, Fischer und Bauern in ihrer regnerischen Randlage zwischen Biskaya und Küstenbergen als renitente Minderheit überdauert. "Aus der Isolierung ist ein Gefühl der Überlegenheit entstanden", so Elorza. Die Armut zwang viele zur Auswanderung, als wetterfeste Schafhirten und Bergleute waren sie für die entlegensten Einöden gerüstet, "weil sie es aushielten, ein halbes Jahr lang mit niemandem zu sprechen", wie der baskische Bildhauer und Philosoph Jorge Oteiza schrieb. Sie besiedelten Patagonien, und die Anden, in Idaho lebt noch heute die größte baskischsprachige Gemeinschaft außerhalb des Baskenlandes. Die guten Wirtschaftsdaten Chiles schreibt man unter anderem dem Fleiß baskischer Einwanderer zu. Das Baskenland ist heute neben Katalonien die wohlhabendeste Region Spaniens, anders als die Katalanen widerstanden die Basken allerdings dem Sog der De-Industrialisierung; baskische Werften und Häfen, Hochtechnologie-Betriebe und Autozulieferer gehören zur Spitze in ganz Europa.

Kulturell definiert ihre archaische, völlig eigenständige Sprache, das Euskera, die baskische Identität. Mit der Zuwanderung im 19. Jahrhundert drohte diese kulturelle Bastion zu fallen. Bilbao wurde im Zuge der Industrialisierung zum Botxo, zum rußverseuchten "Loch", dem Duisburg Spaniens. Dagegen formierte sich ein Nationalromantizismus, der von Kirchenmännern befeuert wurde. 1881 erschien das Epos "Peru Abarca" des Priesters und Hochschullehrers Juan Antonio Moguel Urquiza, der erste baskische Roman. In ihm ersteht das Idealbild des fleißigen, knorrigen, geradlinigen Basken, der in Einheit mit Mutter Erde und nach der Sitte der Vorväter lebt. Das Leben spielt sich ab um das Caserío, die dick ummauerte rustikale Heimstatt, und die Herde, die um jeden Preis verteidigt werden müssen.

Ein ideologisches Gerüst gab dem baskischen Eigensinn der Nationalist Sabino Arana Ende des 19. Jahrhunderts. Er kodifizierte die Sprache, entwarf die Flagge und gründete die Baskische Nationalpartei PNV. Sie ist noch heute stärkste politische Kraft im Parlament von Vitoria (baskisch: Gasteiz), eine Art baskische CSU. Arana stellt dem Bild des überlegenen, noblen, basisdemokratischen Basken das eines korrupten, nervösen, feudalistischen Spaniers gegenüber. Er gab als Ziel die Schaffung eines freien Heimatlandes der Baskisch Sprechenden, Euskal Herria oder Euskadi, aus. Darauf berief sich letztlich auch Euskadi ta Askatasuna ("Baskenland und Freiheit"), kurz Eta, als sie 1959 von Studenten der Jesuitenuniversität in Bilbao gegründet wurde.

Besonders wichtig ist den Basken das Verhältnis zur Natur. Jeder Grund, der höher als 500 Meter liegt, gehört der Allgemeinheit. Seit dem Mittelalter ist Aufforstung vorgeschrieben. Deshalb sind 65 Prozent der Region bewaldet. In den 1920er-Jahren entstanden die Mendigoxales, die einen sehr unspanischen Sport betrieben: gemeinsames Bergsteigen. Im Spanischen Bürgerkrieg, 1936 bis 1939, stand das Baskenland aufseiten der Republik. Doch die Bombardierung Guernicas, ihrer heiligen Stadt, brach den Widerstand. In der Franco-Zeit arrangierte sich das baskische Bürgertum größtenteils mit der Diktatur - während die Eta begann, den Vietcong zu verherrlichen und ihm nachzueifern. Linke oder rechte Ideologien haben die baskische Sehnsucht "für sich zu sein", wie es Antonio Elorza ausdrückt, allerdings stets nur gestreift. Diese Sehnsucht ist älter als die Eta und wird sie überdauern - weil sie unerfüllbar ist.

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SZ vom 04.05.2018
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