Nationalhymne:Das Deutschlandlied im Sturm der Zeit

Von der Vision eines Dichters zum Symbol für aggressive Expansion: Erst nach langem Streit herrschte Einigkeit über die deutsche Nationalhymne.

Der Dichter war bloß neidisch. Als August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 von Hamburg mit dem Schiff nach Helgoland übersetzte, spielte die Schiffskapelle zwei Lieder: Die Marseillaise für die französischen Passagiere, "God Save The King" für die britischen Fahrgäste. Die Deutschen an Bord wurden begrüßt, die Trompeten aber blieben stumm - das wollte der Dichter nicht auf sich sitzen lassen.

Nationalhymne: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben schrieb das "Lied der Deutschen" 1841 im Sommerurlaub auf Helgoland.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben schrieb das "Lied der Deutschen" 1841 im Sommerurlaub auf Helgoland.

(Foto: Foto: dpa)

Gekränkt machte sich Hoffmann von Fallersleben an die Arbeit und schrieb "Das Lied der Deutschen", ein in jeder Hinsicht visionäres Werk, dass fortan gefeiert, geändert, missbraucht und diskutiert wurde - und heute in gekürzter Form als deutsche Nationalhymne anerkannt ist.

Hoffmann von Fallersleben war radikaler Demokrat und Anhänger der sogenannten "Freisinnigen", einer Vorgängerbewegung des Liberalismus in Deutschland. Umso paradoxer, dass sein Text mit der Melodie eines Stückes von Joseph Haydn verbunden wurde: "Gott erhalte Franz den Kaiser, Unsern guten Kaiser Franz!" war eine Lobpreisung auf Franz II., den österreichischen Monarchen.

Mit der Textzeile "Deutschland, Deutschland über alles" zu Beginn der Hymne verlieh der Dichter seinem Wunsch nach einer vereinigten Nation Ausdruck. Aus damaliger Sicht eine Utopie: Das Gebiet, in dem weitgehend deutsch gesprochen wurde, bestand seit 1815 aus zig Einzelstaaten.

Nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 gab es zwar einen deutschen Nationalstaat. Doch mit der Gründung des Bismarckschen Kaiserreiches ging nicht die Einführung einer Hymne einher. Zwar gab es die Kaiserhymne, die zur Melodie von "God save the King/Queen" gesungen wurde. Aber ein offizielles Nationallied gab es nicht.

Das Deutschlandlied war eines von mehreren patriotischen Weisen, aber es galt den Monarchisten als zu republikanisch. Das änderte sich erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Abgang des Kaisers Wilhelm II.

Nationalhymne dank eines Sozialdemokraten

Am 11. August 1922 wurde Heinrich Hoffmann von Fallerslebens "Lied der Deutschen" Nationalhymne. Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) bestimmte das im Volke populäre Stück entsprechend. Der Sozialdemokrat sah den Dreiklang aus "Einigkeit und Recht und Freiheit" als Ausdruck der "Sehnsucht aller Deutschen".

Wenige Wochen nach der Machtübernahme der Nazis 1933 verschmolzen Hitlers Schergen die erste Strophe des Deutschlandliedes (die anderen beiden waren nun verboten) mit dem Horst-Wessel-Lied, einem Kampfgesang der SA. Die Folge: 1945 wurde das Deutschlandlied vom Alliierten Kontrollrat verboten. Die erste Strophe wurde als Ausdruck der aggressiven Expansionspolitik Nazi-Deutschlands gewertet.

Auch der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, hätte das Lied gerne aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen getilgt - er gab ein neues Stück in Auftrag, das den Titel "Land des Glaubens, deutsches Land" trug und Silvester 1950 uraufgeführt wurde.

Das Werk sollte für den demokratischen Neuanfang stehen - wurde aber ein Flop: In einer Umfrage sprachen sich im Herbst 1951 drei von vier Westdeutschen für die Beibehaltung des Deutschlandliedes aus.

Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer war ein Verfechter des Werkes von Hoffmann von Fallersleben - er wandte sich demonstrativ gegen das Verbot durch die Alliierten. 1951 beschloss der Karlsruher CDU-Parteitag einstimmig, Bundespräsident Heuss zu bitten, den Bann aufzuheben. Die dritte Strophe sollte fortan an deutsche Traditionen anschließen dürfen.

Die Menschen im Osten Deutschlands lebten 40 Jahre lang mit einer anderen Hymne: "Auferstanden von Ruinen" nach einem Text von Johannes R. Becher und mit der Melodie von Hanns Eisler. Der Ministerrat der DDR setzte diese Hymne im November 1949 offiziell als "Nationalgesang" ein - es setzte sich gegen eine Variante von Bertolt Brecht durch, die er als "Kinderhymne" veröffentlichte. Weil in Bechers Text die Einigkeit des Vaterlands beschworen wird, passte er nach dem Mauerbau nicht mehr recht ins Konzept der DDR-Führung - die Hymne wurde zunehmend instrumental intoniert.

Nach dem Mauerfall einigten sich Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl (beide CDU) darauf, die dritte Strophe des Deutschlandliedes als Nationalhymne des wiedervereinten Deutschlands zu nutzen. Ein förmliches Gesetz über die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland gibt es bis heute nicht.

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