Nationalfeiertag 3. Oktober:Tag ohne Pathos

Lesezeit: 3 min

Die Deutschen haben keinen Nationalfeiertag an sich - auch wenn am 3. Oktober die formell vollzogene Einheit gefeiert wird. Das Bekenntnis zur eigenen Nation, gar das freudige Pathos ist in Deutschland auch 22 Jahre nach der Vereinigung die Ausnahme. Die Deutschen neigen an solchen Tagen eher dazu, zu analysieren, was alles nicht geklappt hat.

Kurt Kister

Wer jemals an einem 14. Juli in Paris war oder an einem 4. Juli in einer amerikanischen Stadt, der weiß, was ein richtiger Nationalfeiertag ist. Die Franzosen lassen ihr Militär paradieren, die Trikolore weht allerorten und man tanzt auf Feuerwehrfesten. Den Amerikanern ist das Feuerwerk am 4. Juli und das Absingen der Hymne (" . . . and the home of the brave") noch heiliger als der Truthahn zum Familienfest Thanksgiving.

Franzosen wie Amerikaner feiern dabei längst nicht mehr den jeweiligen historischen Anlass, also den Sturm auf die Bastille oder die Ratifizierung der Unabhängigkeitserklärung. Nein, sie feiern sich selbst, ihr Land und die Tatsache, dass sie Franzosen oder Amerikaner sind.

In diesem Sinn haben die Deutschen keinen Nationalfeiertag, auch wenn sie an diesem Mittwoch wieder einmal die am 3. Oktober 1990 formell vollzogene Einheit feiern. Dies hat immer noch mit der in der Bundesrepublik, aber auch in der DDR jahrzehntelang betriebenen Entnationalisierung von Staat und Gesellschaft zu tun.

Im Westen wie im Osten distanzierte man sich vom deutschen Nationalrausch, der nach der Einigung von 1871 begann und mit den mehr als 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs endete. In der Bonner Republik sprach man nur leise von Deutschland und setzte offiziell auf "den Westen", Europa und die weitgehende Integration Deutschlands in Nato, EG, OSZE und sonstige Kürzelorganisationen. Der westdeutsche Nationalfeiertag war der 17. Juni, mit dem man des Arbeiteraufstands in der DDR gedachte. Es reichte nicht einmal zu einem eigenen Verfassungstag in Westdeutschland.

Im Osten bediente man sich der "fortschrittlichen" Elemente der deutschen Geschichte und schob alles andere der BRD zu. Im Übrigen verstand man sich offiziell als internationalistisch orientierter sozialistischer Staat, der gerne die russische Oktoberrevolution feierte. Und an jedem 7. Oktober beging man den Tag der Republik, an dem die NVA im preußisch-sozialistischen Stechschritt paradierte. Das ostentative Bekenntnis zum eigenen Land, gar das freudige nationale Pathos ist in Deutschland auch 22 Jahre nach der Vereinigung die Ausnahme.

Gewiss, es gibt immer wieder mal Identitätsdebatten, die gerne und schnell jenen Grad an Krampfigkeit erreichen, der vielleicht wirklich typisch deutsch ist. Die einen wollen dann unbedingt sagen können, dass sie stolz darauf seien, Deutsche zu sein und dass die deutsche Geschichte länger sei als nur zwölf Jahre; die anderen wiederum setzen schnell Nationalgefühl mit Nationalismus gleich und verweisen auf eben jene zwölf Jahre.

Der 3. Oktober ist kein Tag der großen Feuerwerke oder der rauschenden Freude. Die Deutschen, nicht zuletzt Intellektuelle, Politiker, Journalisten und sonstige Meinungsmenschen, neigen stark dazu, an solchen Tagen zu analysieren, was alles nicht geklappt hat: Die Lebensverhältnisse in Ost und West sind immer noch unterschiedlich, im Westen geht's kalt zu, im Osten sitzen die Nazis, und Berlin, die vereinigte Hauptstadt, ist weder sexy noch kann sie Flughafen.

Am deutschen Einheitsfeiertag wird - anders als am 4. Juli oder am 14. Juli - kein allgemeiner Mythos gefeiert, sondern eigentlich das Ende der Nachkriegszeit, das sich ausdrückte im Verschwinden des einstigen Trizonenstaates Bundesrepublik und der einstigen SBZ, der sowjetisch besetzten Zone, nachmals DDR.

"Deutschland, einig Vaterland" war das kurzlebige Motto der Übergangszeit, das Pathos ist bald nach dem großen Umbruch verschwunden. Pathos gilt als peinlich, so wie vielen aufgeklärten Menschen hierzulande Deutschland als ein wenig peinlich gilt, wenn es nicht gerade um die Fußballnationalmannschaft geht.

Tag der Einheit in München
:Deutschland liegt auf der Ludwigstraße

In diesem Jahr richtet die Landeshauptstadt die Feiern zum Tag der Deutschen Einheit aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Joachim Gauck sind die Ehrengäste - und tausende Münchner strömen auf der Feiermeile.

Beate Wild

Vielleicht ist diese einzige öffentlich wohlgelittene Form des Nationalstolzes mit den schwarz-rot-goldenen Devotionalien ein zusammengeschnurrter Ersatz für das schwer erodierte deutsche Gefühl. Der alte Freud sprach bei solchen Prozessen von Sublimierung.

Vielleicht wird aus dem 3. Oktober ja trotzdem noch mal ein richtiger Nationalfeiertag, einer an dem sich viele über Deutschland in Europa und die Freiheit freuen können. Möglicherweise muss dafür mehr Zeit verstreichen, sodass viele Deutsche nicht mehr das Gefühl haben, hier werde etwas gefeiert, das man selbst erlebt hat - und vielleicht ganz anders erlebt hat, als dies die Festredner insinuieren.

Noch feiert man am 3. Oktober den Anlass, die deutsche Vereinigung. Wenn man in 20 Jahren den 3. Oktober noch feiern sollte, geht es nicht mehr um die Vereinigung, sondern um das Land, in dem die Deutschen dann leben. Das könnte ein richtiger Nationalfeiertag sein.

© SZ vom 04.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: