Natascha Kohnen zu anstehenden Sondierungen:"Die Scharfmacherei der letzten Wochen war sicherlich nicht hilfreich"

Bundesparteitag der SPD

Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Bayerns SPD-Chefin Kohnen über das Verhalten der CSU, die Chancen der heute beginnenden Sondierungen und Vorschläge von Außenminister Gabriel, der im Gegensatz zu ihr nicht an den Gesprächen teilnimmt.

Interview von Wolfgang Görl und Lars Langenau

Natascha Kohnen, 50, ist ausgebildete Biologin und hat als Redakteurin und Lektorin gearbeitet. Im Mai 2017 setzte sie sich in einer Urwahl als bayerische SPD-Vorsitzende durch. Die gebürtige Münchnerin und Mutter zweier Kinder ist seit 2008 Abgeordnete des Landtags in München und diente ihrem Landesverband vor ihrer Wahl zur Chefin als Generalsekretärin. Im Dezember 2017 wurde sie stellvertretende SPD-Vorsitzende. Sie vertritt ihre Partei bei den Sondierungen mit der Union.

SZ: Frau Kohnen, wollen Sie sich mit der SPD an einer "konservativen Revolution" beteiligen, die CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gerade propagiert?

Natascha Kohnen: (schmunzelt). Jemand der danach ruft, liegt völlig falsch. Das Land braucht keine Revolution, sondern ernsthafte Lösungen für das, was die Menschen umtreibt: Bezahlbare Wohnungen, sichere Arbeitsplätze, mehr Unterstützung für Familien.

Was verbinden Sie persönlich mit "68", gegen deren Ideen und Vertreter sich Dobrindt ja so furios wendet?

Meine Eltern gehören zu dieser Generation. Die 68er haben unsere Gesellschaft nach dem Krieg viel offener und liberaler gemacht - und auch die Bildungsrevolution vorangetrieben, die so vielen Menschen den Aufstieg erst ermöglich hat. Ich wundere mich aber auch darüber, dass sich Dobrindt daran so abarbeitet, obwohl Helmut Kohl 16 Jahre regierte und die Union nun auch wieder seit mehr als zwölf Jahren an der Regierung beteiligt ist. Was meint der Mann eigentlich? Da ist nichts dahinter, wenn man ihn konkret fragt.

Was halten Sie von Viktor Orbán als Gast der CSU-Klausur im Kloster Seeon?

Orbán schränkt in Ungarn den Rechtsstaat und die Meinungs- und Pressefreiheit ein. Damit ist er der falsche Berater. Ich habe kein Verständnis für die Einladung.

Gute Stimmung verbreitet die CSU vor den Sondierungen am Sonntag in Berlin gerade nicht, oder?

Die Scharfmacherei der letzten Wochen und der tägliche Krawall waren sicherlich nicht hilfreich. Ich erwarte, dass es bei den Gesprächen sachlicher zugeht.

Macht es denn so überhaupt Sinn, mit der Union zu reden?

Das werden wir die kommenden Tage sehen. Beide Seiten werden ihre Vorstellungen auf den Tisch legen und dann werden wir uns unterhalten. Ich kenne tatsächlich noch immer nicht die zentralen Punkte der Union. Ich bin sehr gespannt.

Haben Sie eine Tendenz?

Ich habe meine Skepsis gegenüber einer großen Koalition immer wieder bekannt, weil die Gemeinsamkeiten bereits vergangenen Sommer ausgeschöpft waren und sich die Union an Vereinbarungen nicht mehr gehalten hat. Man sollte nicht so tun, als ob diese Zeit besonders toll war, aber wir haben als demokratische Partei die Verpflichtung, uns gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien an einen Tisch zu setzten - und zu reden. Genau das machen wir jetzt bis Donnerstagabend.

Und dann?

Dann setzt sich der Parteivorstand am 12. Januar zusammen und wird eine Empfehlung für das weitere Vorgehen geben. Dann haben wir eine Woche bis zum Bundesparteitag, um das in den Landesverbänden zu besprechen. Der Parteitag entscheidet, ob wir in Koalitionsverhandlungen eintreten. Über das Ergebnis der Verhandlungen entscheiden alle SPD-Mitglieder in einem Mitgliedervotum.

Wie ist die Stimmung an der Basis?

Ich habe den Eindruck, dass die Mitglieder gradlinige Gespräche mit Haltung gut finden. Danach werden wie sehen, wie sich das entwickelt.

"Ich verwende den Begriff Heimat ganz selbstverständlich"

Bei Jamaika war Christian Lindner der Provokateur und an ihm scheiterte schließlich eine Koalition aus CDU, CSU, Grünen und FDP. Könnte diese Rolle nun die CSU übernehmen?

Zumindest erweckt sie in den vergangenen Tagen und Wochen diesen Eindruck. Bereits beim Glyphosat-Alleingang von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt im November machte es den Anschein, dass die eine erneute große Koalition gar nicht wollen.

Da verrauchte der Protest der SPD allerdings auch ziemlich schnell wieder ...

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat eindeutig gesagt, dass dieses Stimmverhalten so nicht akzeptabel ist und man eine nationale Lösung finden müsse. Ich glaube nicht, dass die Menschen das so schnell wieder vergessen. Schließlich geht es hier um unsere Gesundheitsvorsorge und Glyphosat ist ein Allround-Gift, das unter dem Verdacht steht, Krebs auszulösen. Wenn das so ist, dann muss man sich um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger kümmern - und das hat Schmidt völlig ignoriert.

Auch der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel hat kürzlich die Vernachlässigung von Begriffen wie Heimat und Leitkultur in der deutschen Sozialdemokratie beklagt. Was halten Sie davon?

Ich verwende den Begriff Heimat ganz selbstverständlich. Der Begriff "Leitkultur" ist dagegen Quatsch. Der wird verwendet, um Menschen auszuschließen. Grundlage für unser Zusammenleben ist das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung, die der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner geprägt hat.

Und was ist Heimat für Sie?

Ich bin hier geboren, aufgewachsen und meine Kinder sind hier groß geworden. Ich bin Bayerin und liebe dieses Land. Mir geht es darum, Heimat zu bewahren aber auch Menschen, die zu uns kommen, eine Heimat zu geben.

Außenminister Gabriel sitzt im Gegensatz zu Ihnen nicht in der Sondierungsgruppe, macht aber laufend Vorschläge. Was ist Ihr Rat an ihn?

Das sehe ich sehr entspannt. Es ist eine gute Entscheidung, dass die amtierenden Minister nicht an diesen Gesprächen beteiligt sind. Damit machen wir auch deutlich, dass es nicht um deren Jobs geht. Es wird Arbeitsgruppen geben, für die wir uns Expertise von außen holen werden und ich erwarte, dass Sigmar Gabriel sich daran beteiligt.

Die Sozialdemokratie ist in der Defensive, obwohl die Bürger sich um ihre Arbeitsplätze, hohe Mieten und die soziale Ungerechtigkeit sorgen. Eigentlich sind das linke Themen, warum aber können nur die Rechtspopulisten davon profitieren?

Wir haben gerade mit einer harten Analyse unseres historisch schlechtesten Ergebnisses begonnen. Das ist ein streitbarer und offener Prozess der Aufarbeitung. Viele politische Herausforderungen lassen sich nicht im nationalen Rahmen lösen, wir müssen auf Europa schauen und auf die Welt. Wir müssen die Weltwirtschaftsordnung, die Freihandelsabkommen so gestalten, dass Menschen überall auf der Welt gut leben können. Wir müssen die sich verändernde Arbeitswelt so gestalten, dass alle etwas davon haben. Die SPD ist in der Zeit der Industrialisierung entstanden - und wir haben den Sprung ins 21. Jahrhundert nicht wirklich vollzogen. Für all diese Fragen müssen wir uns Zeit nehmen.

Aber das 21. Jahrhundert dauert doch nun schon 18 Jahre. Haben Sie sich zu lange dafür Zeit genommen und nur neoliberale Modelle wie unter Tony Blair und Gerhard Schröder verfolgt?

Wir müssen tatsächlich wieder als linke Volkspartei erkennbar werden. Wir müssen Lösungen für die Fragen anbieten, die die Menschen tatsächlich bewegen. Wir müssen nah dran sein an den gesellschaftlichen Debatten, an dem, was die Leute auch zu Hause an ihren Küchentischen diskutieren. Und uns dabei nach vorne orientieren.

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