Linke in Sachsen:Der Mann, der an Hunderten Türen klingelte

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Nam Duy Nguyen (Foto: Olaf Krostitz)

Nam Duy Nguyen errang für die Linken eines von zwei Direktmandaten in Sachsen. In seiner Partei vermisst er den Einsatz für die Schwächeren.

Von Johannes Bauer

Diese Personalie ist ein Skandal! Ein großer, kein kleiner. Ausgelöst hat ihn Nam Duy Nguyen (Linke) nicht, nur darauf hingewiesen – und geschickt für sich genutzt. Nguyen, dessen Eltern aus Vietnam eingewandert sind, wird der einzige nicht weiße Abgeordnete im sächsischen Parlament sein. Der 28-Jährige behauptet: nicht nur der Einzige, der Erste überhaupt. Viel wurde zuletzt dazu geschrieben und gemeint, dass nicht alle Wähler der AfD in Sachsen auch selbst rechtsextrem seien. Dass man sich ihre Interessen anhören und auch vertreten müsse. Deutlich leiser ist die Debatte darum, wer Menschen mit Migrationshintergrund vertritt.

„Menschen wie ich kandidieren in Sachsen nicht.“ Das ist der erste Satz, den Nguyen in seinem Wahlwerbespot sagt. Menschen mit Migrationshintergrund seien an ihm vorbei und dann wieder zu ihm zurückgefahren, wenn sie Nguyen beim Plakatieren erkannt hätten, erzählt er am Telefon. Weil sie ihm Mut zusprechen wollten. „Ich glaube, ich bin schon eine gewisse Identifikationsfigur geworden.“

An der Haustür habe das Thema aber kaum eine Rolle gespielt. „Da ging es sehr schnell um die sozialen Anliegen.“ Und der Deutsch-Vietnamese und sein Team haben an vielen Haustüren geklingelt. An allen 50 000 seines Leipziger Wahlkreises, um genau zu sein. Ein Wunderdaumen reicht nicht. Nguyen und seine 300 (!) Unterstützer haben nach eigenen Angaben mehr als 14 000 Gespräche mit den Bürgern geführt. Eine beispiellose Mobilisierung und eine recht überraschende Erfolgsgeschichte. Denn direkt im ersten Anlauf holte der 28-Jährige im Leipziger Osten ein Direktmandat für die Linke, in der ganzen Stadt bekam kein Kandidat mehr Erststimmen. Neben Nguyen errang auch Juliane Nagel für die Linke in Leipzig ein Direktmandat. Mit deren zwei greift in Sachsen die sogenannte Grundmandatsklausel: So gelang der Linken der erneute Einzug in den Landtag, obwohl sie nur 4,5 Prozent der Zweitstimmen bekam.

Die Linke war keine Anti-Establishment-Partei mehr, findet der junge Politiker

Nguyen scheut sich nicht die Politik seiner Partei zu kritisieren. Die Linke habe „enorm viel Vertrauen“ bei den Menschen verloren, weil sie keine Anti-Establishment-Partei mehr gewesen sei. „Da würde ich gerne wieder hinkommen“, sagt er. Die richtige Abzweigung hat Nguyen offenbar gefunden. In den Gesprächen kritisierten Bürger vor allem drei Dinge: den schlechten Nahverkehr, die hohen Mieten und den teuren Wocheneinkauf. Themen, die andere Parteien liegen ließen. Nguyen kennt diese Probleme. Aufgewachsen ist er in Dresden, auf gerade mal elf Quadratmetern. Sein Vater arbeitete zunächst in der Stahlindustrie, mittlerweile betreibt er mit Nguyens Mutter einen Zeitungskiosk. Dass er sich gegen Rassismus wehren muss, weiß er schon seit Kindergartentagen, die Mutter riet, doppelt so hart zurückzuschlagen, wenn ihn jemand schlage. Das Geld war so knapp, dass Nguyen in der 6. Klasse freiwillig sein Schulessen abbestellte. „Um meine Eltern nicht mehr zu belasten.“

Gut 15 Jahre später fehlte auch das Geld für den Wahlkampf. Doch die Kampagnenplattform Campact sprang ein. Sie bot Nguyen, Nagel und zwei Grünen Wahlkampfunterstützung an. Dabei wollte sie vier aussichtsreiche Kandidaten unterstützen, um den Einfluss der AfD einzuschränken: mit gezielter Werbung, Wahlaufrufen per Post – und mit Geld. Nguyen nahm die gebotenen 25 000 Euro an, als einziger zwar, aber eben auch als einziger, der noch kein Mandat hatte, mit dem sich Büro und Wahlkampfausstattung finanzieren lassen. Kritik an seinem Wahlkampf gab es trotzdem. Die Grüne Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta warf ihm vor, er rücke an der Haustür nicht gleich mit seinen Ansichten raus. Nguyen weist das von sich. „Ich fand es schade, dass sich die Grünen so stark an meiner Person abgearbeitet haben.“

Der Linken gelang der erneute Einzug ins Parlament nur durch die Direktmandate von Nagel und Nguyen. Gerettet haben will er seine Partei trotzdem nicht. In Deutschland brauche es eine starke Linke, sagt er. „Und das sehe ich nicht wirklich abgebildet, wenn die Menschen nur vom Retter der Linken sprechen.“ Sein Einzug ins Parlament soll nur der Anfang sein, die Linke zu erneuern.

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