Süddeutsche Zeitung

Verkehrspolitik:Die vielen Hürden auf dem Weg zum 49-Euro-Ticket

Nur weil Bund und Länder ihren Streit über die Finanzierung jetzt beigelegt haben, ist das neue Nahverkehrsangebot noch lange nicht fertig. Ein Überblick über die rechtlichen und technischen Fragen, die noch zu klären sind.

Von Claudia Henzler und Kassian Stroh

Der monatelange Streit zwischen Bund und Ländern übers Geld ist beigelegt. "Wir haben jetzt alle Hürden beseitigt", verkündet Bundeskanzler Olaf Scholz zum sogenannten 49-Euro-Ticket. Das mag für die großen politischen Fragen gelten, doch im Klein-Klein der Umsetzung sind noch diverse Hürden zu überwinden. Und die verhindern, dass das neue Nahverkehrsticket rasch kommen wird.

Der neue Tarif: Noch am einfachsten ist die Frage zu lösen, was das neue Ticket erlaubt. Es wird für eine Person bundesweit im Nahverkehr gelten und monatlich kündbar sein - so viel steht fest. Auf andere Menschen wird man es aller Voraussicht nach nicht übertragen können. Aber was ist mit der kostenlosen Mitnahme von Rädern oder Kindern, die mancherorts mit den herkömmlichen Monatstickets möglich ist, was ist mit Schülern und Studenten? Das muss bundesweit geklärt sein.

Die Tarifgenehmigung: Neue Tarife werden bisher üblicherweise von den Verkehrsverbünden beschlossen, und oft müssen sie von den beteiligten Kommunen genehmigt werden. Wenn das neue Deutschlandticket auch diesen Weg durchläuft, braucht das Zeit - in Deutschland gibt es weit mehr als 100 solcher Verbünde. Und es besteht das Risiko, dass einzelne Kommunen ausscheren. Dann könnte es zwar trotzdem in Kraft treten, aber eben nicht in der jeweiligen sich verweigernden Region. - Das wäre "fatal", sagt ein Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Eine Alternative wäre eine Verordnung oder ein Gesetz, das bundesweit direkt gilt. Ein solches zu verabschieden, dauert aber auch. Welchen Weg Bund und Länder einschlagen, ist noch unklar.

Die Finanzierung: Zwar haben der Kanzler und die Ministerpräsidentenkonferenz vereinbart, das abzusehende Defizit in beliebiger Höhe zu tragen und sich zu teilen, auch wenn niemand weiß, ob am Ende drei, vier oder mehr Milliarden fällig werden. Nur müssen die Ausgaben auch noch in den Etats von Bund und Ländern verankert werden. Für das Neun-Euro-Ticket im vergangenen Sommer steckte der Bund den Ländern zusätzliches Geld in den Topf der sogenannten Regionalisierungsmittel. Laut Bundesverkehrsministerium wird man nun wohl einen anderen Finanzierungsweg wählen und für das Deutschlandticket eine eigene gesetzliche Grundlage schaffen. Die Haushaltsplanung ist aus Sicht des Ministeriums keine Hürde, die vor dem Start genommen werden muss. Der gemeinsame Beschluss der Bund-Länder-Runde sei ausreichend, das Geld vorhanden. Geplant ist offenbar, dass Bundestag und Bundesrat dem neuen Gesetz bis Anfang März zustimmen.

Der Vertrieb: Werbung gemacht werden muss für das neue Billigticket wohl kaum. Aber nicht jeder bisherige Monatsticket-Inhaber wird zum neuen wechseln wollen - ganz abgesehen davon, dass Juristen es für unzulässig halten, es ohne Zustimmung einfach umzuschreiben. Die Kunden müssen also alle angeschrieben und informiert werden. Kein geringer Aufwand: In Deutschland gibt es laut VDV etwa zehn Millionen Nahverkehrsabos, dazu kommen noch Schüler- und Studenten-Tickets.

Die Technik: Das neue Ticket wird es vermutlich am Automaten, in Handy-Apps und auf Chipkarten geben - ob auch als Papierversion, ist eine der offenen Fragen. Das mag banal klingen, doch es ist aufwendig, die verschiedenen Vertriebswege technisch umzurüsten. Zudem muss geklärt sein, dass auch ein Kontrolleur in einem Hamburger Bus sicher erkennen kann, ob ein in München ausgegebenes 49-Euro-Ticket gültig ist oder nicht. Das bundesweit einheitlich zu regeln, ist für das bisherige kleinstaaterische System der Nahverkehrsverbünde ein großes Problem.

Das EU-Beihilferecht: "Jetzt braucht es vor allem noch die wettbewerbsrechtliche und beihilferechtliche Zusage aus Brüssel an Berlin", sagt der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). Sprich: Die EU-Kommission muss noch zustimmen. Ein Problem? Markus Büchler, Mobilitätsexperte der Grünen im bayerischen Landtag, hält das für eine "reine Formsache" - wenn private Unternehmen Geld vom Staat bekommen, müsse Brüssel prüfen, ob das eine Wettbewerbsverzerrung sei. In diesem Fall aber profitiere ja die gesamte Nahverkehrsbranche. Und in einem Landesverkehrsministerium heißt es, das Problem stelle sich nicht, da die Finanzierung des Tickets über ein eigenes Gesetz "diskriminierungsfrei" geregelt werden könne. Wie das Bundesverkehrsministerium mitteilt, laufen bereits Gespräche mit Brüssel. Beim Neun-Euro-Ticket sei das nicht notwendig gewesen, weil die Finanzierung unter die Corona-Ausgleichsmaßnahmen gefallen sei. Jetzt geht es um ein dauerhaftes neues Angebot. Im Ministerium geht man aber nicht davon aus, dass die EU das 49-Euro-Ticket aufhält.

Und was heißt das für Starttermin und Preis? "Schnellstmöglich im Jahre 2023" soll das Ticket kommen, steht im Bund-Länder-Beschluss vom Donnerstag. Viele Länder gehen von einem Start am 1. April aus, auch der VDV hält das für "sportlich", aber möglich, wie ein Sprecher sagt. Andere sind skeptisch, ob bis dahin alle Fragen geklärt sind, und sprechen vom 1. Mai. Auffällig war, dass Scholz und die Ministerpräsidenten am Donnerstag das Wort "49-Euro-Ticket" nicht in den Mund nahmen und nur den offiziellen Begriff "Deutschlandticket" nutzten. Vielleicht, um nicht zu hohe Erwartungen zu wecken: Zwar dürfte kaum einer mehr am Einführungspreis von 49 Euro rütteln, auch wenn der nicht fixiert ist. Aber später könnte das Ticket teurer werden, womöglich schon bald. Die Verkehrsunternehmen ächzen unter hohen Energiepreisen, Tarifverhandlungen für Fahrerinnen und Fahrer stehen bevor, die auch nicht günstig werden dürften - das dürfte auch das neue Billigticket tangieren.

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