Nahostkonflikt:Wie funktionieren die Palästinensergebiete?

Das Leben in Gaza und im Westjordanland ist geprägt von Restriktionen, Mauern und Abhängigkeiten. Die Führungen von Hamas und Fatah sind verfeindet, immer wieder gibt es Gefechte mit der israelischen Armee. Dazwischen gibt es aber auch eine aufstrebende IT-Industrie. Ein System, das von Normalität weit entfernt ist - und doch für mehr als vier Millionen Menschen Alltag bedeutet.

Von Charlotte Theile, Pia Ratzesberger und Jannis Brühl

Ein zweigeteiltes Land, regiert von verfeindeten Lagern, abhängig von internationalen Unterstützern und unter dem Druck israelischer Kontrollen - wie Wirtschaft und Alltag in den palästinensischen Autonomiegebieten Westjordanland und Gazastreifen funktionieren, ist nur schwer vorstellbar.

Dass die palästinensischen Autonomiegebiete im November 2012 von der UN als Beobachterstaat anerkannt (non member observer state) wurden, ist einerseits ein wichtiger Schritt, schließlich sprechen die Vereinten Nationen der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas erstmals zu, einen "Staat" zu repräsentieren. Die Regierung in Ramallah kann nun bestimmten UN-Organisationen und völkerrechtlichen Verträgen beitreten. Außerdem erhält sie Zugang zur internationalen Gerichtsbarkeit. Doch ein souveräner Staat Palästina existiert noch lange nicht.

Als Antwort auf die Entscheidung der UN, hat Israel neue Siedlungsbauten im Westjordanland angekündigt. Der Streit darüber könnte nun sogar den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beschäftigen.

Unter den palästinensischen Autonomiegebieten versteht man den Gazastreifen und das Westjordanland. Ein wesentlicher Teil des Westjordanlandes ist allerdings von Israelis besiedelt und von der Armee besetzt. Die Palästinensische Autonomiebehörde beansprucht trotzdem das gesamte Westjordanland und Ostjerusalem für sich. Die quasistaatliche Regierungsbehörde wird von der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO mit ihrer stärksten Fraktion Fatah geführt. Rein formal regiert sie auch im Gazastreifen. Tatsächlich aber steht der 360 Quadratkilometer kleine Streifen an der Mittelmeerküste seit mehr als fünf Jahren unter der Kontrolle der radikal-islamischen Hamas. Diese hat das erklärte Ziel, Israel mit terroristischen Mitteln zu beseitigen und einen islamischen Staat Palästina zu errichten. Die Hamas hat Anhänger der gemäßigten Fatah im sogenannten "Krieg der Brüder" 2006/2007 aus dem Gazastreifen vertrieben.

Sperrung des Gazastreifens

Im September 2007 erklärte Israel daraufhin den Gazastreifen zum "feindlichen Gebiet". Um der Hamas keinen Raketen-Nachschub zu ermöglichen, wurden die Grenzen nach Gaza abgeriegelt. An der Grenze zu Ägypten, die zwischenzeitlich ebenfalls gesperrt war, werden die Restriktionen allerdings durch Tunnel unterlaufen. Waffen und andere Güter werden unterirdisch nach Gaza geschmuggelt, ein Großteil davon stammt wohl aus dem Iran. Ohne die Seeblockade, sagt Israels Premier Benjamin Netanjahu, wäre Gaza längst "ein iranischer Hafen."

Die Sperrung des Gazastreifens löste international Proteste aus: Die Einfuhr von Musikinstrumenten, Fußbällen, Rollstühlen, Lebensmitteln und, einzelnen Berichten zufolge, sogar Toilettenpapier war zeitweise verboten. Im Juni 2010 lockerte Israel auf internationalen Druck hin die Beschränkungen. Nicht-militärische Güter können seither wieder eingeführt werden. So genannte "Dual Use Items", also Gegenstände die militärischen und zivilen Zwecken dienen können, bleiben jedoch gesperrt. Dazu gehören zum Beispiel Tauchausrüstung, Nachtsichtgeräte oder Chemikalien, die zur Sprengstoffherstellung verwendet werden können.

Nach acht Tagen schwerer Kämpfe zwischen Israel und militanten Palästinensern im November 2012 wurde die Blockade mit der Waffenruhe wieder gelockert. Die Hamas berichtete sogar von einer Lockerung der Meer-Sperre. Während jahrelang nur eine Reichweite von drei Seemeilen erlaubt war, konnten die Fischer am 24. November wohl etwa sechs Seemeilen weiter aufs Meer fahren. Die Ausreise nach Ägypten ist bereits seit Mai 2011 wieder möglich.

Die Mauer im Westjordanland

Im Westjordanland wird der Alltag vor allem durch die gut 700 Kilometer lange Absperrung zwischen israelischem Kernland und dem Palästinensergebiet bestimmt, zum Teil eine Mauer, die zu etwa 85 Prozent innerhalb des Westjordanlandes verläuft. Ein Großteil der etwa israelischen 150 Siedlungen jenseits der grünen Linie ist durch die Mauer von den Palästinensern getrennt. Die grüne Linie, das ist der Verlauf der Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg von 1967. Diese Grenzen sind bis heute Grundlage von Friedensverhandlungen.

Die wirtschaftlichen Folgen der Blockade in Gaza und der Sperr-Mauer im Westjordanland sind verheerend: Israelische Unternehmen, früher einmal wichtige Arbeitgeber, haben sich zurückgezogen, Bauern sind von ihren Feldern getrennt worden, Jobs in Israel mussten aufgegeben werden. Besonders Gaza, wo die Fischerei durch die Seeblockade massiv eingeschränkt ist, leidet unter den Einschränkungen.

Der Zorn auf Israel nimmt zu

Der Gazastreifen ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt, 4500 Menschen teilen sich hier einen Quadratkilometer. Die Geburtenrate ist hoch, der Lebensstandard niedrig, über die Hälfte der Menschen lebt von zwei Dollar pro Tag, etwa 80 Prozent nehmen Hilfsleistungen in Anspruch. Auch um das Schulsystem im Gazastreifen steht es nicht zum Besten: Ein Großteil der Schulen unterrichtet in Doppelschichten, bei Tests in Mathematik oder arabisch schnitten die Schüler deutlich schlechter ab als in Nachbarländern.

Der Zorn auf Israel und die Zustimmung für die Hamas nimmt unter diesen Bedingungen eher zu: Das Radikalisierungspotential in Gaza ist hoch. Viele junge Menschen stehen vor der Wahl zwischen der Hamas oder noch radikaleren islamistischen Terrorgruppen. Die gemäßigte Fatah mit ihrem international anerkannten Präsidenten Mahmud Abbas gilt dagegen vielen Palästinensern als korrupt und vom Westen beeinflusst. Der Erfolg bei der UN hat Abbas Position zwar gestärkt, auch die Hamas gratulierte. Von einer Alleinvertretung palästinensischer Interessen ist der Präsident jedoch ähnlich weit entfernt wie Palästina von einem normalen Alltag.

In einer früheren Version dieses Artikel stand, der Gazastreifen sei das am dichtesten besiedelte Gebiet der Erde. Diese Aussage ist nicht korrekt, der Gazastreifen ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete. Wir haben den Arikel entsprechend korrigiert.

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