Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Warum die Hamas weiter kämpfen will

Für die 1,8 Millionen Bewohner des Gazastreifens ist das Ende der Waffenruhe eine Katastrophe. Nicht aber für die Islamisten-Führung. Die Hamas kann nicht aufhören, sie befindet sich auf einem Triumphzug Richtung Untergang.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Siegesfeiern auf den Trümmern sind eine Spezialität der Hamas. Noch nach jedem verlorenen Krieg haben die Herrscher des Gazastreifens eine bizarre Straßenparty veranstaltet, auf der sie sich ihrer Kampfkraft rühmten. Bislang war dies immer ein untrügliches Zeichen der völligen Erschöpfung.

Doch gegen Ende der dreitägigen Waffenruhe hat die Hamas nun in Gaza eine Parade abgehalten, deren Parolen offensichtlich bitter ernst gemeint sind: "Der Krieg ist noch nicht zu Ende, unsere Kämpfer sind noch auf dem Schlachtfeld und halten ihre Finger am Abzug", prahlte ein Sprecher. "Unsere Raketen bleiben auf Tel Aviv gerichtet, und die Tunnel reichen immer noch weit hinein ins zionistische Gebiet." Kaum waren die Worte verklungen und die Waffenruhe abgelaufen, wurde am Freitag wieder gekämpft.

Für die 1,8 Millionen Bewohner des Gazastreifens ist das eine Katastrophe, für die Islamisten-Führung aber ist es die konsequente Fortsetzung ihres Triumphzugs in Richtung Untergang. Die Hamas kann zwar nicht mehr, aber sie kann auch nicht aufhören. Und es ist ein ganzes Bündel an Beweggründen, das sie dabei antreibt.

Die politische Führung der Organisation will um jeden Preis die Aufhebung der israelischen und ägyptischen Blockade erzwingen, und je größer die Zerstörungen sind, desto stärker muss sie sich an das Ziel klammern. Denn nach all dem durch diesen Krieg angerichteten Elend ist sie darauf angewiesen, ihrem Volk wenigstens hinterher eine Erleichterung präsentieren zu können. Ansonsten droht irgendwann eine Hunger- und Verzweiflungsrevolte.

Die Verhandlungen wurden erschwert durch die Spaltung der Islamisten

Bei den Gesprächen in Kairo jedoch fühlt sich die Hamas-Delegation offenbar permanent übergangen. Die Israelis sprechen ohnehin nicht mit ihr, und auch die ägyptischen Vermittler zeigen wenig Neigung, auf ihre Forderungen einzugehen. Deren Ansprechpartner sind die Fatah-Vertreter im palästinensischen Team. Das gemeinsame Ziel der Ägypter und Israelis ist es, die moderaten Kräfte von Präsident Mahmud Abbas vom Westjordanland aus zurück in den Gazastreifen zu bringen, zum Beispiel zur Grenzkontrolle.

Damit jedoch wird auch ein Spaltpilz mitten hinein in die Palästinenser-Delegation gesetzt. Das einzige Druckmittel, das der Hamas noch bleibt, sind die Raketen. Erschwert werden die Verhandlungen aber auch noch dadurch, dass in der Hamas verschiedene Strömungen sichtbar werden. Die Exil-Führung zeigt sich eher kompromissbereit. Eine Verhärtung wurde aus Kairo erst gemeldet, als die Vertreter aus Gaza zum Verhandlungsteam stießen. Die wollen sich offenbar immer weniger von dem im luxuriösen Katar residierenden Anführer Khaled Meschal sagen lassen. Es droht sich also in der Hamas ein Machtkampf zu entwickeln, der sie noch unberechenbarer erscheinen lässt.

Kassam-Brigaden als treibende Kraft

Der bewaffnete Arm der Hamas, die Kassam-Brigaden, halten ohnehin nichts von Verhandlungen - vor allem, weil von israelischer Seite ihre Entwaffnung in den Mittelpunkt gestellt werden soll. Dies gilt es mit allen Mitteln zu verhindern. Dazu gehört auch massiver Druck der Kämpfer auf die politische Führung.

Seit Beginn des Kriegs schon zeigen sich die Kassam-Brigaden als treibende Kraft des blutigen Prozesses. Kurz vor Ablauf der dreitägigen Waffenruhe war es nun wieder ein Sprecher der Milizen, der per Fernsehbotschaft den palästinensischen Verhandlern in Kairo die roten Linien aufzeigte: Er forderte ein "wirkliches Ende der Blockade" und die Erlaubnis zum Bau eines Hafens in Gaza. "Weniger als das wäre Betrug", erklärte er. Zuvor schon war es der mythenumrankte Kassam-Führer Mohammed Deif persönlich, der vom Untergrund aus in einer Audio-Botschaft zum bedingungslosen Durchhalten aufgerufen hatte. Den Israelis rief er zu: "Ihr sendet eure Soldaten in ein Schlachthaus."

Damit niemand glaubt, dies sei nur Angeberei, baten die Kassam-Kämpfer einen Reporter von Al-Jazeera diese Woche in ihr Heiligstes: einen Tunnel. Stolz präsentiert wurde das Arsenal der Waffen von Präzisionsgewehren bis zu Raketenwerfern, dazu die Kämpfer in Camouflage und die Erklärung: "Wir befinden uns an der Grenze zu Israel und sind zu allem bereit."

Womöglich war all dies auch nur als ultimatives Druckmittel für die Verhandlungen gedacht. Vielleicht hat die Hamas auch die Signale aus Israel falsch gedeutet und es als Schwäche ausgelegt, dass die Bodentruppen sich zurückzogen und ein Teil der mobilisierten Reservisten nach Hause ging. Ergebnis jedenfalls ist, dass die Hamas Israel wieder in diesen Krieg hineingezogen hat und Israel nicht zögert, mit aller Kraft auf diese Herausforderung zu antworten. Strategieminister Juval Steinitz drohte mit einem neuen Einmarsch der Bodentruppen. Jetzt mit einem klaren Ziel: dem Sturz der Hamas.

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SZ vom 09.08.2014/anri
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