Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Vergiftete Siege

  • Ein weiterer Gaza-Feldzug des israelischen Militärs wird immer wahrscheinlicher.
  • Die hochgerüstete Armee würde dabei höchstwahrscheinlich gewinnen.
  • In der Vergangenheit haben Militärschläge und Kriege Israel jedoch keine Sicherheit gebracht, zumindest nicht auf Dauer.

Von Moritz Baumstieger

Es ist Sommer im Nahen Osten, und das heißt dort regelmäßig: Es ist Kampfzeit. Der Sechstagekrieg 1967, die Libanon-Feldzüge 1982 und 2006, die Gaza-Offensive 2014 - bei den meisten der Kriege, Präventivschläge und Vergeltungsaktionen, die Israels Armee vorgenommen hat, rief sie die Soldaten in den Monaten zwischen Juni und September an die Front.

Doch nicht nur die Häufung von Sommerkriegen zieht sich wie ein rotes Band durch die Geschichte der israelischen Militäreinsätze. Die meisten von ihnen waren von einem Dilemma geprägt, in dem Israel auch jetzt wieder steckt, da ein weiterer Gaza-Feldzug immer wahrscheinlicher wird. Dass die hochgerüstete israelische Armee einen militärischen Sieg erringen wird, gilt als sicher. Die Frage ist allerdings jedes Mal aufs Neue, wie viel ihr dieser Sieg bringen wird.

Oft fangen die Probleme erst richtig an, wenn der Gegner geschlagen ist

In der Logik des Krieges ist nicht aller Anfang schwer, wie im Sprichwort, sondern eher das Ende. Das ist kein rein israelisches Phänomen. Beispiele gibt es viele: Die USA verrannten sich in den 1970er-Jahren immer tiefer im Dschungel Vietnams und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den Bergen Afghanistans, wo 20 Jahre zuvor schon die sowjetischen Truppen aufgerieben worden waren. Auch der Krieg, den George W. Bush 2003 im Irak begann, ist bis heute nicht wirklich beendet, er findet im Kampf gegen den IS seine Fortsetzung.

Dass die Schwierigkeiten erst dann beginnen, wenn der Gegner geschlagen ist, zeigen auch Israels Auseinandersetzungen mit den Nachbarstaaten und den Palästinensern. Der glänzende Sieg, den Israels Armee 1967 erkämpfte und durch den das Land die Kontrolle über den Sinai, den Gazastreifen, die Golanhöhen und auch über Ostjerusalem und das Westjordanland errang, erwies sich als vergiftet: Israel erhöhte zwar seine Sicherheit, in dem es die Armeen der arabischen Staaten vernichtend schlug und seine Grenzen weit vom Kernland wegschob.

Eine Folge ist aber auch die zumindest im Westjordanland bis heute anhaltende Besatzung, die dem Land scharfe Kritik einbringt, gegen die sich die Palästinenser in zwei Intifadas erhoben und deren Ungerechtigkeiten bis heute bewirken, dass der Hass auf Israel von Generation zu Generation weitergegeben wird. Natürlich auch, weil Scharfmacher auf der palästinensischen Seite die Verhältnisse für ihre Indoktrination nutzen.

Dass die Gewalt erst richtig eskalieren kann, wenn der Sieger Israel den unterlegenen Gegner aus der Umklammerung entlässt, zeigen die Beispiele Libanon und Gazastreifen. Bei allen Unterschieden ähneln sich die Grundmuster: Israels Armee hielt Südlibanon von 1982 bis 2000 besetzt, den Gazastreifen von 1967 bis ins Jahr 2005, als der damalige Premier Ariel Scharon einen Abzug gegen starke Widerstände durchsetzte. Kurz nach dem Abzug begannen Grenzscharmützel und Raketenbeschuss. In Libanon provozierte die schiitische Hisbollah, bis Israel im Sommer 2006 versuchte, die Stellungen der von Iran unterstützten Miliz zu zerstören - was nur zum Teil gelang. Nach dem Waffenstillstand kehrte die Hisbollah zurück, heute ist sie stärker denn je.

Der Gazastreifen bietet ideale Voraussetzungen für Radikale

Im Gazastreifen stellt sich das Problem verschärft, weil Israel durch seine bis jetzt anhaltende Blockade weiter die Lebensbedingungen dort mitbestimmt. Die nach der Machtübernahme der Hamas 2006 verhängte und von Ägypten mitgetragene Blockade führt die Organisation immer wieder als Motiv für den Beschuss Israels an, sie führte außerdem zum Bau von Tunneln, durch die nicht nur Nahrungsmittel für die fast zwei Millionen Einwohner geschmuggelt werden, sondern auch Waffen. Gegen die Militanten der Hamas und der ebenfalls in Gaza aktiven Miliz Islamischer Dschihad ging Israel 2008, 2012 und zuletzt 2014 vor - teils nur mit der Luftwaffe, teils auch mit Bodentruppen.

Weite Teile des Gazastreifens sind seither verwüstet, die Wirtschaft liegt am Boden. Die UN stufen das abgeriegelte Gebiet, das als das am dichtesten besiedelte der Welt gilt, als "unbewohnbar" ein - für Radikale ideale Voraussetzungen zum Rekrutieren weiterer Anhänger. Den Bau von neuen Tunneln konnte Israel ebenso wenig verhindern wie die Attacken mit Brandbomben, die Militante nun zusätzlich zu Raketen mit Drachen über die Grenze schicken. Auch deshalb scheint Israels Armee auf einen neuen Sommerkrieg zu dringen - wie danach ein friedlicher Herbst erreicht werden könnte, weiß jedoch niemand.

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SZ vom 10.08.2018/swi
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