Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Trump krempelt die Welt um - und Europa sieht ohnmächtig zu

Aufruhr in Israel, Ärger mit Iran: Es sind unerfreuliche, zornerfüllte Tage im Verhältnis mit Amerika. Das transatlantische Bündnis wankt - und den Schaden haben die Europäer.

Kommentar von Stefan Kornelius

Wenn Leistungssportler nach kräftezehrendem Wettbewerb ihrem Körper Erholung gönnen wollen, dann legen sie sich ins Eiswasser. Die Kälte zieht die Gefäße zusammen, danach wird die Durchblutung erst recht angeregt. Sauerstoffreiches Blut durchströmt den Körper, Blessuren heilen leichter. Am Dienstag treffen sich Europas Außenminister zum Krisengespräch über die USA, ihren wichtigsten Verbündeten. Sie sollten ein Tauchbecken mit Eiswasser aufstellen. Ein bisschen Regeneration täte ihnen gut.

Dies sind unerfreuliche, ärgerliche, ja zornerfüllte Tage im Verhältnis mit Amerika. Donald Trump ist nicht zu kontrollieren, Verlässlichkeit und Absprachen widersprechen seinem Naturell. Die Politik dieses Präsidenten ist auf maximale Überrumpelung und minimale Rücksicht angelegt. Ein Bündnis scheint für ihn keinen Wert zu besitzen, vor allem nicht eines mit derart schwachen Partnern wie den Europäern. Gefolgschaft akzeptiert er nur, wenn sie bedingungslos und zu seinen Konditionen stattfindet.

Die Eröffnung der Botschaft in Jerusalem und die Kündigung des Iranabkommens haben der Welt wieder einmal gezeigt, zu welcher Polarisierung und Radikalisierung Trump in der Lage ist. Im Gazastreifen gibt es Tote, und die schiitische Macht wächst ungebrochen. Ohnmächtig muss Europa zusehen, wie es in Konflikte gezogen wird, die es nicht will.

Diese Ohnmacht erzeugt bisher vor allem eines: Wut. "Ein Diktat aus Amerika", ein "Angriff auf unsere Souveränität", zischt der frühere schwedische Premier Carl Bildt, der eigentlich zu den Erzrealisten dieser Welt gehört. In Brüssel reden sie von einer Gegenschlags-Strategie, von einer "Antwort". Das alles sind, mit Verlaub, Ausgeburten der Fantasie. Die eigentlichen Gesetze von Stärke und Schwäche kann Europa genauso wenig aushebeln wie die Schwerkraft. Nicht eine einzige europäische Idee zur Neutralisierung der amerikanischen Iran-Politik wird Donald Trump ernsthaft den Schlaf rauben. Die realistische Erkenntnis lautet: Europa kann diese US-Regierung nicht an die Leine nehmen, dazu fehlt die Kraft.

Beispiel Iran: Natürlich kann man sich überlegen, europäische Geschäfte mit Hilfe einer Schutz-Resolution vor der US-Strafe abzuschirmen. Diese sogenannte Blocking-Resolution gab es schon einmal. Am Ende aber gehören zu einem Schutzplan zwei: die schützende Politik und die Schutzbefohlenen, eine Industrie, die sich auch schützen lassen will. Sie muss einen heftigen politischen und juristischen Kampf in Kauf nehmen - allein aus politischen, nicht betriebswirtschaftlichen Motiven. Kein Siemens, kein Renault, kein Airbus wird das tun. Die Verhältnisse sind nun mal eindeutig: Das Volumen von Geschäften mit den USA ist um ein Vielfaches größer und berechenbarer als das mit Iran. Kein Konzern und erst recht kein Mittelständler werden sich beim Erziehungsprojekt Trump einspannen lassen.

Beispiel Israel: Natürlich muss jeder israelischen Regierung Europa wichtig sein - als Handelspartner, als Sicherheitsgarant. Aber welche Regierung in Europa darf es denn bitte sein? Die schwedische? Oder die deutsche? Und mit welchem Geld wiegt Europa auf, was die USA Israel an direkter staatlicher Hilfe, aber auch indirekt durch gesellschaftliche Unterstützung zu bieten haben? Wer also wirklich Einfluss nehmen will auf die Regierung Netanjahu, der muss an seiner Hebelkraft arbeiten und nicht an seiner Wortwahl.

Immer wieder in der Nachkriegsgeschichte ist es zu schweren Erschütterungen in den transatlantischen Beziehungen gekommen. Immer wieder haben Kriege oder Handelskonflikte das Verhältnis belastet. Das war unter dem Demokraten Clinton nicht anders als unter dem Republikaner Bush jr. In guten Zeiten hieß die Formel: Benevolente, partnerschaftliche Führung erzeugt Gefolgschaft und ergibt in der Addition einen Machtvorteil für USA wie Europa. Richtig war aber auch: Diese Kosten-Nutzen-Kalkulation erschloss sich in ihrer Tiefe nur einem kleinen politischen Kreis.

Im populistischen Zeitalter ist die Formel zu kompliziert geworden. Trump hat sie deshalb geändert, er sieht keinen Mehrwert in diesem Bündnisversprechen. Den Schaden werden die USA während seiner Präsidentschaft wohl nicht spüren, Amerika ist in seiner ökonomischen und militärischen Macht unangefochten. Auf der europäischen Seite wirkt der Bruch hingegen sofort. Ohne Amerikas Gewicht verändert sich die Balance auf dem Balkan, in Nahost, beim innereuropäischen Zusammenhalt, bei Sicherheit und Stabilität. Was tun? Das Eisbad sollte für den kühlen Kopf sorgen, den es für diese Ausnahmesituation braucht.

Für die Hebelkraft bräuchte es Einigkeit in der europäischen Außenpolitik, der Wirtschafts- und Sanktionspolitik, der Sicherheitspolitik. Größe macht stark, Geschlossenheit macht stärker. Wieder mal so eine hehre Formel, die den Europäern in Wahrheit ihre Schwäche und Abhängigkeit vor Augen führt.

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Quelle:
SZ vom 15.05.2018
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