Nahostkonflikt:Israel gehen die Freunde aus

Debatten um Israel und Gaza: Das Land ist vom demokratischen David zum militärischen Goliath geworden. Die israelische Regierung sollte schnell handeln - und erkennen, dass der Nahostkonflikt nicht mit Zäunen beendet wird.

Stefan Kornelius

Würde sich Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel wirklich um Israel sorgen, dann hätte er vor seiner Reise mal nachdenken sollen. Zunächst darüber, ob ausgerechnet ein deutscher Entwicklungshilfeminister die politische Blockade des Gaza-Streifens hätte beenden können. Es reisen doch hochmögende Staatsoberhäupter, Regierungschefs, Außenminister, Sonderbeauftragte und Vermittler im Dutzend nach Israel und in das Westjordanland, aber keiner hat Israel bisher dazu bewegen können, seine ideenarme Politik gegenüber der Hamas in Gaza zu ändern.

Gates Welcomes Israeli Defense Minister To Pentagon

Israel gehen die Freunde aus - und manche nutzen diese Schwäche unverholen aus.

(Foto: afp)

Der Blockadebrecher Niebel, der Israels Nöte durchaus kennt, lieferte also einen Beleg für die Gutgläubigkeit - man könnte auch sagen: Tollpatschigkeit - deutscher Diplomatie. Kein Minister darf sich erlauben, einen derart symbolgeladenen Schritt wie die Einreise nach Gaza nicht ausreichend abzusichern - mit israelischen Garantien in aller Form. Die lagen offenbar nicht vor, es gab lediglich "Signale". Was blieb, war die unkontrollierte Eskalation. Das ist unprofessionell.

Selbstverständlich darf Niebel den Anspruch erheben, seine Entwicklungsprojekte zu inspizieren - aber die israelischen Einwände sind nicht minder gewichtig. Der Gazastreifen wird ja nicht aus einer Laune heraus isoliert, sondern aus dem Wunsch, zu überleben. Wer verhindern möchte, dass Raketen Tel Aviv treffen, muss verhindern, dass diese Raketen vorher nach Gaza gelangen.

Seit dem Gaza-Krieg vom Dezember 2008 haben sich die israelischen Interessen nicht wirklich verändert - die Welt um den schmalen Streifen im Nahen Osten freilich dreht sich rasant. Die Gaza-Blockade hat weder die Hamas in die Knie gezwungen noch die moderaten Palästinenser zu einem Aufstand gegen die Islamisten motiviert. Die Fatah hat ihre Macht auch mit Hilfe Israels im Westjordanland konsolidiert - aber auch nur dort.

Ansonsten hat Iran seine Marionetten-Figuren in Stellung gebracht. Die Hisbollah im Libanon steht für den nächsten Krieg bestens gerüstet bereit - trotz der UN-Kontrolle mit Hilfe europäischer Soldaten. In Ägypten schauen die staatstreuen Kräfte mit Sorge auf den kränklichen Präsidenten. In Syrien steht es bei der Werbung um die Gunst des Präsidenten Assad höchstens unentschieden zwischen Iran und dem Westen.

Besonders unvorteilhaft für Israel haben sich die Gewichte bei den einst so treuen Verbündeten verschoben. In den USA wird das Land als Belastung eingestuft; Washingtons Interessen im Irak, gegenüber Iran und vor allem bei den wohl gesonnenen sunnitischen Regimes werden durch Israel geschwächt. In Europa, wo sich zuletzt eine außergewöhnliche Allianz zugunsten Israels zusammengefunden hatte, steht deren Treue zur Disposition.

Zunehmend isoliert und verbittert

Das Auswärtige Amt, unter dessen stiller Steuerung sonst so widerstrebende Naturen wie die Briten und die Franzosen zu einer Linie gefunden hatten, bekommt den Kurs der Nahostpolitik nun vom Entwicklungsminister diktiert. Und in der deutschen Öffentlichkeit, wo die Freundschaft zu Israel aus vielen guten Gründen zur Staatsraison gehört, kippt die Stimmung.

Israel gehen die Freunde aus. Nur wenige nutzen diese Schwäche so unverhohlen wie die Türkei. Die Regierung Erdogan ließ eine Friedensflotte auf große Fahrt gehen, um an Israels mangelnder Bewegungsfähigkeit ein Exempel zu statuieren. Die eigene Bedeutung als Vermittler, als Regionalmacht und Beweger wird mit israelischer Hilfe aufgeladen.

Zurück bleibt Israel, zunehmend isoliert, wachsend verbittert, verständnislos. Aus dem Opfer übermächtiger arabischer Kräfte wurde plötzlich ein Täter. Einst der islamistischen Terror-Willkür ausgeliefert, agiert Israel nun selbst immer wieder willkürlich. Auf der inzwischen veränderten Verbotsliste für den Gaza-Streifen standen sogar Süßigkeiten.

Wichtigstes Beweisstück für die regierungsamtliche Schizophrenie sind Trennzaun und Mauer: Sie halten den Terror fern, Israel wird seit zwei Jahren von schweren Anschlägen verschont. Aber gleichzeitig hat die Sperranlage die Machtverhältnisse verschoben: Zu sehen ist nicht mehr nur der demokratische David, sondern ein militärischer Goliath.

Die neue israelische Überlegenheit findet keine politische Übersetzung. Israel bewegt sich nicht - aus vielerlei Gründen. Der Sicherheitsapparat erstickt die Politik, das Land hadert nicht mehr mit den Palästinensern über eine Friedenslösung, sondern allenfalls noch mit sich selbst. Der Einfluss radikaler, orthodoxer Kräfte im Land wächst.

Für Israel sind dies - wieder einmal - Schicksalsmonate. Die politische Dynamik in der Region und in der Welt wendet sich gegen das Land. Die Zeit wird knapp; bald werden die radikalen Kräfte in der arabischen Welt mit ihrem untrüglichen Machtinstinkt spüren, dass sie die Zeit auf ihrer Seite haben. Irans großer Moment - die Nuklearisierung - rückt näher. Deswegen muss die israelische Regierung schnell handeln und Initiativen vorantreiben, möglichst sogar noch vor der US-Zwischenwahl im November: mit den Palästinensern im Westjordanland, selbst in Gaza. Der Nahost-Konflikt wird nicht nur mit Zäunen beendet. Wichtiger sind die Sympathien.

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