Nahostkonflikt:Israel muss sich wehren

Wenn die Sirenen heulen, haben Israels Bewohner 15 Sekunden Zeit, sich in Sicherheit zu bringen vor den Raketen der Hamas. Deren Krieg richtet sich gegen die Werte des Westens. Warum sieht das hier keiner?

Ein Gastbeitrag von Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

Der Volkswirt und Jurist Dieter Graumann, 63, ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses.

Sirenenalarm in Köln! Am Samstag ertönten in der Rheinmetropole die Alarmsignale. Laut, durchdringend, erschreckend. Ich war gerade zu Besuch hier. Ein Blick ins Internet reichte und schnell wurde klar: Es handelte sich lediglich um eine regelmäßig stattfindende Überprüfung der Sicherheitssysteme. Ein Probealarm. Nach einer Viertelstunde war alles vorbei. Der Alltag in Köln ging weiter, mit rheinischem Frohsinn, auch bei schlechtem Wetter.

Als die Sirenen in Köln heulten, stand ich am Fenster und zählte bis 15. Fünfzehn Sekunden: Das ist die Zeit, die israelischen Müttern bleibt, um ihre Kleinkinder beim Ertönen der Sirene vor einer Detonation in Sicherheit zu bringen. Fünfzehn Sekunden haben alte Menschen Zeit, um beim Raketenalarm in Schutzbunker zu flüchten. Fünfzehn Sekunden, darf es nur dauern, bis ein fahrender Schulbus mitten auf der Straße zum Stehen gekommen ist und die Kinder sicheren Unterschlupf gefunden haben. In Israel ist es kein Probealarm, wenn die Sirenen heulen. Es ist bitterer Alltag.

Dieter Graumann

Dieter Graumann

(Foto: Caroline Seidel/dpa)

Israel ging, die Hamas kam

Bereits seit dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen im Jahr 2005, der ein Zeichen des guten Willens war, wird der Süden des jüdischen Staates immer wieder durch Raketenhagel terrorisiert. Israel ging damals, der Frieden aber kam nicht. Es kam die Hamas und errichtete ein beinhartes, korruptes Regime. Dieses Regime benutzt Gaza und die Menschen, die dort leben, um Israel mit Raketenterror zu überziehen. In den vergangenen Tagen wurden fast tausend Raketen auf Israel abgefeuert - mit der einzigen Absicht, israelische Zivilisten zu töten. Dreieinhalb Millionen Menschen leben in Reichweite dieser Raketen. Der Hamas ist es egal, ob sie israelische Staatsbürger trifft oder deutsche Touristen auf einem Kreuzfahrtschiff. Sie macht keinen Unterschied, ob es Tel Aviv oder Jerusalem ist. Auch Al Kuds, Jerusalem, eine der drei heiligen Stätten im Islam, wird unter Beschuss genommen, im Namen des Islam, wie die Terroristen es missbräuchlich begründen. Und kein muslimischer Staatsmann oder Religionsführer erhebt dagegen Einspruch.

Es ist auch kein Einspruch dagegen zu hören, dass die Hamas Waffen und Raketen bewusst in Moscheen lagert und die eigene Bevölkerung, die eigenen Kinder zynisch als menschliche Schutzschilde missbraucht. Mit menschenverachtendem Kalkül errichten die Terroristen ihre Raketenabschussrampen auf Dächern von Familienhäusern und drängen die Bewohner, sich dazuzustellen. Die Hamas weiß um die Ethik der israelischen Armee, die zivile Opfer vermeiden möchte.

Es ist aber Israels Pflicht und legitimes Recht, seine eigene Bevölkerung zu schützen. Und dafür ist es unausweichlich, die Terror-Infrastruktur zu zerstören. Bedauerlicherweise kommen dabei auch unschuldige Menschen ums Leben. Jedes zivile Opfer ist eines zu viel. Doch die Verantwortung dafür trägt alleine die Hamas mit ihrer Dschihad-Ideologie.

Israel wird immer wieder als Aggressor diffamiert

Neuerdings wird Israel auch aus dem Libanon und Syrien beschossen. Israel muss sich also sogar einer Mehr-Fronten-Bedrohung stellen - die moralische Asymmetrie könnte dabei größer nicht sein. Israel will Leben schützen. Die palästinensischen Terroristen pflegen dagegen den Todeskult - auch auf der eigenen Seite. Bei Raketenalarm schickt Israel die Menschen in die Bunker. Die Hamas schickt die Menschen auf die Dächer. Wie kann man diesen Unterschied nicht sehen? Im Gaza müssen die Menschen endlich befreit werden - von der Hamas, die Menschenrechte mit den Füßen tritt, Frauen diskriminiert, Homosexuelle verfolgt und politisch Andersdenkende foltert. Statt in Bildung und Zukunft zu investieren, verwendet man alles Geld für den Waffenkauf, und alle Anstrengung gilt der Gewalt.

Trotzdem wird Israel, der einzige demokratische Staat im Nahen Osten, immer wieder als Aggressor diffamiert. Ja, es wird Israel sogar vorgeworfen, dass es die Menschen, die dort leben, durch sein technologisches Know-how schützen kann. Zum Glück kann es das! Wenn dann im Westen lauthals über die "Proportionalität" der israelischen Militäraktionen geurteilt wird, sollte man sich einmal in die Lage israelischer Eltern versetzen. Sie müssen täglich mit der Ungewissheit leben, ob sie ihre Kinder überhaupt wiedersehen, die sie morgens zur Schule verabschieden. Was ist proportional zu diesen Ängsten?

Die Paten des Terrors sitzen in Teheran

Auf propalästinensischen Demonstrationen in Frankreich, Holland, aber auch hier in Deutschland, schallen indes antisemitische Sprechchöre und Aufrufe durch die Straßen. Das Ausmaß von Hass und Hetze, das uns auch auf deutschen Straßen entgegenschlägt, ist schockierend. Antisemitische Hetze mitten in unseren Städten werden wir niemals akzeptieren. Wir dürfen es auch nicht stillschweigend hinnehmen, dass Synagogen wieder beschmiert und attackiert werden, wie das in Frankfurt und Paris am vergangenen Wochenende geschehen ist.

Und vergessen wir nicht: Die Paten des Terrors sitzen in Teheran. Ohne die mörderische Kraft des aggressiven Mullah-Regimes, ohne deren Waffen und Geld wäre die Hamas nichts! Warum sieht man die Unterschiede nicht?

In Israel werden Extremisten mit voller Härte für den Mord an einem palästinensischen Jungen bestraft - völlig zu Recht. Auf palästinensischer Seite hingegen werden die Mörder der drei zuvor entführten israelischen Jugendlichen als Helden gefeiert. Selbst jeder Selbstmordattentäter wird so verehrt. Und auf Anweisung der politischen Führung werden Straßen nach ihnen benannt. Warum verschließt die Welt die Augen davor?

Israel muss sich wehren. Israel muss sich schützen. Israel muss weiter als Leuchtturm von Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie im Nahen Osten überleben als Verteidiger unserer westlichen Werte.

Als am Samstag die Sirenen in Köln heulten, dachte ich: Was wäre, wenn Gaza doch vor unserer Tür läge? Und dann fiel mir auf: Gaza liegt gewissermaßen vor der Tür. Die Hamas will nicht nur Israel zerstören. In ihrer Charta erklärt sie den Mord an allen Juden zum offiziellen Programm. Und gemeinsam mit der globalen islamistischen Terrorbewegung bekämpft die Hamas die Werte, für die auch wir hier stehen: Freiheit, Toleranz, Gleichberechtigung und Demokratie.

Unsere Werte werden auch in Israel verteidigt. Daher sollten wir Israel mehr denn je in diesen schweren Stunden zur Seite stehen, solidarisch und aus vollem Herzen. Damit es irgendwann nicht mehr ist als ein Probealarm, wenn in Israel die Sirenen heulen. So, wie am Samstag in Köln.

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