Nahostkonflikt:Erdoğan wirft israelischer Politikerin "Hitler-Gesinnung" vor

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Auftritt im Parlament in Ankara: der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan am 15. Juli 2014 (Foto: AFP)

Die Türkei mischt sich in den Konflikt im Nahen Osten ein: Ministerpräsident Erdoğan geißelt Israel für die Militäroffensive im Gazastreifen. Auf den Facebook-Post einer israelischen Abgeordneten reagiert er mit einem Nazi-Vergleich.

  • Der türkische Ministerpräsident Erdoğan kritisiert Israel scharf für das Vorgehen im Gazastreifen. Einer Knesset-Abgeordneten wirft er angesichts eines Facebook-Posts eine "Hitler-Gesinnung" vor.
  • Ministerpräsident Netanjahu will den Militäreinsatz verstärken. Bewohner des nördlichen Gazastreifens sind aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen.
  • Erstmals seit Beginn des jüngsten Konflikts stirbt ein israelischer Zivilist durch Beschuss aus dem Gazastreifen.
  • Jedes vierte Opfer auf palästinensischer Seite ist ein Kind.

Der türkische Ministerpräsident wirft Knesset-Abgeordneter "Hitler-Gesinnung" vor

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat der israelischen Abgeordneten Ajelet Schaked eine "Hitler-Gesinnung" vorgeworfen. Schaked, die für die national-religiöse Partei "Jüdisches Heim" in der Knesset sitzt, hatte einen nach ihren Angaben unveröffentlichten, zwölf Jahre alten Artikel eines Journalisten auf Facebook gepostet, der den Tod für Mütter militanter Palästinenser fordert. "Welchen Unterschied gibt es zwischen dieser Gesinnung und Hitlers Gesinnung", sagte Erdoğan nach Angaben der staatsnahen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu bei einer Fraktionssitzung seiner AK-Partei im Parlament in Ankara.

Der von Schaked Ende Juni veröffentlichte Artikel beginnt mit den Worten: "Wer ist der Feind? Das palästinensische Volk." Mütter militanter Palästinenser schickten ihre Söhne "mit Blumen und Küssen in die Hölle. Sie müssen ihren Söhnen folgen. Nichts ist gerechter als das." Die Häuser dieser Familien müssten zerstört werden, damit dort nicht weitere "kleine Schlangen" aufwachsen könnten.

Darüber hinaus wirft Erdoğan Israel angesichts des Bombardements des Gazastreifens "Staatsterrorismus" vor und kritisierte, die Weltgemeinschaft schweige dazu. Er selbst spreche als Einziger diese Wahrheiten offen an - deshalb sei er international auch "unbeliebt", sagte Erdoğan.

Eine rasche Normalisierung der Beziehungen mit Israel schloss Erdoğan wegen der Gewalt in Gaza aus. Die Türkei hatte seine Kontakte zu Israel nach dem Tod von neun türkischen Gaza-Aktivisten bei der Erstürmung des türkischen Schiffs Mavi Marmara durch Israel im Jahr 2010 auf ein Minimum reduziert. Gespräche über einen Neuanfang machten laut Erdogan in jüngster Zeit gute Fortschritte. Da Israel bei seinen Angriffen in Gaza jedoch unschuldige Menschen töte, sei dieser Neuanfang derzeit undenkbar.

Luftangriff auf Häuser von Hamas-Führern

Nach dem Scheitern einer Waffenruhe in Nahost hat die israelische Luftwaffe erneut Häuser von politischen Führern der im Gazastreifen herrschenden Hamas angegriffen. Unter anderem seien die Wohnhäuser der Hamas-Führer Mahmud al-Sahar und Fathi Hammad sowie der Hamas-Abgeordneten Dschamila al-Schanti bombardiert worden, teilt die radikalislamische Organisation mit. Auch das Haus von Bassem Naim, einem Berater von Hamas-Führer Ismail Hanija, sei getroffen worden.

Eine Armeesprecherin in Tel Aviv sagt, man prüfe die Berichte. Bisher hatte Israel vor allem die Häuser von militanten Hamas-Mitgliedern beschossen. Die neuen Angriffe zeigten "den Zustand der Verwirrung der israelischen Regierung und des Militärs, nachdem es ihnen nicht gelungen ist, den palästinensischen bewaffneten Widerstand zu brechen", heißt es dagegen in der Hamas-Mitteilung.

Israel intensiviert den Militäreinsatz

Israel fordert Bewohner im nördlichen Gazastreifen zum Verlassen ihrer Häuser auf. Dies sollte "zu ihrer eigenen Sicherheit" geschehen, teilte das Militär mit. Zivile Opfer bei Luftangriffen gegen Stellungen der islamistischen Hamas sollen so vermieden werden.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat eine Ausweitung des Einsatzes angekündigt. Er warf der Hamas am Dienstagabend vor, Israels einseitige Feuerpause zu ignorieren. Nun werde die Miliz dafür "einen hohen Preis bezahlen". Israel habe keine andere Wahl, als eine Ausweitung und "Intensivierung" seiner militärischen Einsätze, sagte Netanjahu am Dienstagabend. Er ließ offen, ob nun israelische Bodentruppen in den Küstenstreifen am Mittelmeer einmarschieren.

Erster israelischer Zivilist getötet

Erstmals wurde nach Militärangaben am Dienstag ein israelischer Zivilist durch eine Mörsergranate getötet, die aus dem Gazastreifen abgefeuert worden war. Der Mann wurde der Armee zufolge am Grenzübergang Eres tödlich verletzt. Demnach handelt es sich um einen 37-Jährigen, der in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen Soldaten mit Nahrung versorgte. Seit Beginn der Offensive schlugen insgesamt mehr als 1200 Raketen in Israel ein.

Die israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen starteten Anfang vergangener Woche, um den massiven Raketenbeschuss durch palästinensische Extremisten zu stoppen.

Zahl der getöteten Palästinenser steigt auf mehr als 200

Die Zahl der Toten bei israelischen Luftangriffen stieg auf 203, wie der Sprecher der örtlichen Rettungsdienste, Aschraf al-Kidra, über Twitter mitteilte. 1520 Menschen seien seit Beginn der Offensive vor acht Tagen verletzt worden. Nach UN-Angaben ist jedes vierte Opfer ein Kind.

Inzwischen haben rund 10 800 Palästinenser in Gaza-Stadt aus Angst vor den Bombenangriffen Zuflucht in 16 Schulen des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) gesucht. Weitere 7000 seien im Norden in fünf Unterkünften untergebracht, berichtete UNRWA-Sprecher Chris Gunness. Die Organisation verteilt nach eigenen Angaben täglich Essen an mehr als 830 000 Menschen, also knapp die Hälfte der Einwohner des Küstenstreifens.

Weiterhin Hoffnung auf beiderseitige Feuerpause

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Hamas auf, sich an die von Ägypten vorgeschlagene Waffenruhe zu halten. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas reist heute nach Kairo, um doch noch eine Feuerpause zu vermitteln.

Kurz hatte es am Vortag neue Hoffnung für eine friedliche Lösung gegeben. Israel hatte ab Dienstagvormittag sechs Stunden lang seine Luftangriffe einseitig gestoppt. Die Hamas aber feuerte weiter Dutzende Raketen Richtung Israel, weil sie sich von der diplomatischen Initiative Ägyptens für die Feuerpause übergangen sah. Nachmittags setzte dann die israelische Armee ihre Attacken fort.

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© SZ.de/dpa/AFP/Reuters/sks - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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