Nahostkonflikt:Diplomaten verzweifeln am Gaza-Puzzle

Wer kann die Gewalt im Gazastreifen stoppen? Die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas stellen die neue Ordnung in Nahost auf eine schwere Probe. In Ägypten regieren die Muslimbrüder, das Verhältnis zwischen Israel und der Türkei ist zerrüttet und Obama kann Netanjahu nicht leiden. Wer welche Interessen vertritt - ein Überblick.

Johannes Kuhn und Markus Schulte von Drach

Die neue Ordnung im Nahen Osten wird erstmals auf die Probe gestellt: Während die Hamas und Israel sich bereits den sechsten Tag in Folge beschießen, versuchen Politiker und Diplomaten in Kairo zumindest eine zeitweise Waffenruhe auf den Weg zu bringen.

Am Wochenende traf sich Ägyptens Präsident Mursi mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, dem Emir von Katar sowie Hamas-Führer Chalid Maschal. Zudem steht er in engem Kontakt mit den USA und einigen europäischen Regierungen. Israel wiederum hat einen offiziellen Gesandten nach Kairo geschickt, der nun via Geheimdienst mit der ägyptischen Regierung spricht. Am Montag wird UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Kairo erwartet, am Dienstag soll er nach Israel weiterreisen.

Viel bewegt hat die diplomatische Geschäftigkeit bislang noch nicht. Ob die Waffen in den kommenden Tagen zum Schweigen gebracht werden, ist fraglich - und mit jedem weiteren Tag steigt die Wahrscheinlichkeit einer israelischen Bodenoffensive. Die Regierung Netanjahu verlangt für eine längere Feuerpause einen Stopp des Raketenbeschusses aus Gaza. Die Hamas lehnt dies ab und fordert ihrerseits nicht nur die Einstellung der israelischen Luftangriffe, sondern auch ein Ende des israelischen Embargos des Gazastreifens und eine Nichtangriffsgarantie.

Die Maximalforderung zeigt, wie selbstbewusst die Hamas inzwischen agiert. Der Arabische Frühling hat die Gewichte im Nahen Osten verschoben - und damit auch die diplomatischen Voraussetzungen verändert. "Die Völker in der Region sind andere als zuvor", sagte Mursi bei einem Auftritt am Wochenende. "Und auch die Führung in der Region ist eine andere."

Welche Interessen die verschiedenen Akteure im aktuellen Konflikt haben und was dies für die Verhandlungen bedeutet:

[] Ägypten gilt traditionell als Vermittler zwischen Palästinensern und Israelis. Doch nun gilt es, die erste Eskalation seit dem Sturz des Mubarak-Regimes zu bewältigen. Die inzwischen regierenden Muslimbrüder brachten einst die Hamas hervor, Israel ist im Volk unbeliebt, der ägyptische Friedensvertrag mit dem Nachbarn umstritten. Entsprechend harsch kritisierten Präsident Mursi und seine Regierung die israelischen Angriffe, entsprechend deutlich bekundeten sie die Unterstützung der Palästinenser im Falle eines Einsatzes von Bodentruppen.

Allerdings vertraut der ägyptische Geheimdienst der Hamas nicht und befürchtet die zunehmende Ausbreitung von Splittergruppen auf der Sinai-Halbinsel. Als Nachbar weiß Ägypten auch um die Gefahren einer möglichen Eskalation - weshalb sich Mursis Vermittlerrolle in der Praxis nicht grundlegend von der Mubaraks unterscheiden dürfte.

[] Andere Nachbarstaaten haben derzeit ihre eigenen Probleme: In Jordanien kommt es immer wieder zu massiven Demonstrationen gegen König Abdullah und seine korrupte Führung, gleichzeitig plagt das Land ein hohes Staatsdefizit. Eine tragende Rolle bei der Vermittlung eines Waffenstillstands nimmt das Land nicht ein. In Syrien herrscht ein Bürgerkrieg, der auch das Verhältnis zwischen den Palästinensern und dem Assad-Regime verändert hat. Einst offiziell ein Teil der "Achse des Widerstands" gegen Israel, kämpfen die in Syrien lebenden Palästinenser mittlerweile längst gegen Assad. Auch führende Hamas-Politiker haben sich auf die Seite der Opposition gestellt.

[] Die Situation zwischen der Hamas und der im Westjordanland herrschenden Fatah ist seit Jahren verfahren. Im Oktober verhinderte die Hamas die Kommunalwahlen im Gazastreifen und Ostjerusalem mit einem Boykott. Im Westjordanland musste die Fatah trotz des Boykotts Stimmenverluste hinnehmen. Nun bemüht sich die Gruppe, Einigkeit zu demonstrieren: Fatah-Führer Nabil Shaat ist inzwischen im Gazastreifen eingetroffen, die Hamas-Führung und Palästinenserpräsident Abbas sprechen sich seinen Angaben zufolge bei den Verhandlungen für einen Waffenstillstand ab.

EU verliert an Einfluss in der Region

Beide Palästinenser-Gruppen haben inzwischen angekündigt, nach dem Ende der gegenwärtigen Krise wieder in Versöhnungsgespräche eintreten zu wollen. Eine Unterstützung der Islamisten durch die Fatah wird ihre Bemühungen um die Anerkennung eines Palästinenserstaates durch die UN allerdings weiter erschweren.

[] Die Türkei und Katar sind wichtige Mitspieler Ägyptens bei den Verhandlungen. Das gute Verhältnis der Türkei zu Israel, in der arabischen Welt lange kritisiert, ist inzwischen Vergangenheit: Weil sich Israel nicht für das Entern der Gazaflotte 2010 entschuldigt hat, bei der acht türkische Bürger ums Leben kamen, gelten die diplomatischen Beziehungen als zerrüttet. Offiziell kritisiert Ankara die Regierung Netanjahu für den Militäreinsatz hart, doch eine erfolgreiche Vermittlung eines Waffenstillstandes könnte die beiden Länder wieder näher zusammenbringen.

Katar wiederum kann finanziellen Druck auf die Hamas aufbauen, sagte Emir Hamas bin Khalifa al-Thani doch jüngst umgerechnet 400 Millionen Dollar für Bauprojekte im Gazastreifen zu. Der Emir, der bereits als "arabischer Kissinger" bezeichnet wird, gilt als gut vernetzt und glaubwürdig, weil er die arabische Revolution unterstützte und sich einen Namen als Vermittler in der Region machen konnte - unter anderem bei Verhandlungen zwischen Hamas und Fatah. Auch Saudi-Arabien spielt eine kleine Rolle: Berichten zufolge soll Ägypten das Land gebeten haben, den Verbündeten USA dazu zu bringen, eine mögliche israelische Bodenoffensive zu verhindern.

[] Die USA stehen traditionell an der Seite Israels. Auch wenn das Verhältnis Obamas zu Premier Netanjahu als gespannt gilt, verkneift sich der US-Präsident direkte Kritik. Israel habe das Recht zur Selbstverteidigung, eine Bodenoffensive sei aber für beide Seiten nicht wünschenswert, erklärte er. Eine weitere Eskalation will Washington unbedingt vermeiden, Obama steht deshalb in ständigem telefonischen Kontakt mit der israelischen Regierung. Um aber wirklich Fortschritte zu erzielen, ist das Land auf Ägypten und die Türkei angewiesen. Derzeit ist jedoch unklar, wie groß der Einfluss Washingtons auf Kairo wirklich ist.

[] Die Europäische Union hat sowohl Israel als auch die Palästinenser im Gazastreifen heftig kritisiert. Die EU-Außenminister sind sich weitgehend einig: Sie betonen das Recht Israels auf einen eigenen Staat, kritisieren die Raketenangriffe der Hamas und rufen gleichzeitig Israel auf, weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Großbritannien tut sich dabei als schärfster Kritiker der israelischen Regierung hervor.

Insgesamt hat die EU seit der Unterbrechung der Nahost-Friedengespräche im Jahr 2010 an Einfluss in der Region verloren. Zudem ist man sich uneins, wie man mit dem Wunsch der Palästinenser nach einem eigenen Staat umgehen soll. So wären Frankreich, Spanien, Schweden und andere Länder bereit, einen palästinensischen Staat anzuerkennen. Deutschland, Italien, Dänemark, die Niederlande und Tschechien sind dagegen, solange Israel nicht zustimmt. Die aktuelle Eskalation im Gazastreifen ist kaum geeignet, die Unsicherheit der Europäer im Umgang mit den Palästinensern zu beseitigen.

[] Iran soll zwar maßgeblich an der Aufrüstung der Hamas beteiligt gewesen sein, doch das Verhältnis zur Islamistengruppe hat deutlich gelitten, seitdem die Hamas mit dem Assad-Regime in Syrien gebrochen hat. Inzwischen soll Teheran extremere Gruppen im Gazastreifen beliefern - in welchem Umfang ist allerdings unklar, da die westlichen Sanktionen die iranische Rüstungsindustrie geschwächt haben.

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