Nahostkonflikt:Beide Seiten fachen die Flammen an

Nahostkonflikt: In der Nähe von Ramallah wehrt sich ein junger Palästinenser gegen das israelische Militär und schleudert Tränengas zurück.

In der Nähe von Ramallah wehrt sich ein junger Palästinenser gegen das israelische Militär und schleudert Tränengas zurück.

(Foto: AFP)

In den politischen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern mischt sich mehr und mehr die Religion. Das macht die Lage explosiv und unberechenbar. Rund um Jerusalem koalieren die Verrückten und die Verantwortungslosen.

Kommentar von Peter Münch, Tel Aviv

Es Ist genau geplant. Das Dynamit liegt bereit. Die Angreifer sind fest entschlossen. Ihr Plan: den muslimischen Felsendom auf dem Tempelberg in Jerusalem zu sprengen. Ihr Ziel: einen Religionskrieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn zu entfachen.

Keine Sorge, das ist kein aktuelles Komplott. Es ist auch kein Horrorszenario aus einem Science-Fiction-Roman. Es ist Geschichte. 1984 wurde dieser Anschlagsplan einer jüdischen Untergrundgruppe gerade noch vereitelt. Man kann daraus für heute lernen, dass der Konflikt im Heiligen Land, auch wenn es zuvörderst um Grenzen geht, immer schon religiös aufgeladen war.

In den politischen Konflikt mischt sich die Religion

Extremisten gab und gibt es auf beiden Seiten, die Linie führt im Zick-Zack über die Fronten - vom jüdischen Siedler Baruch Goldstein, der 1994 in der Hebroner Ibrahim-Moschee 29 Muslime mit seinem Sturmgewehr erschoss, bis zu den beiden palästinensischen Attentätern, die nun in einer Jerusalemer Synagoge unter "Allahu-Akbar"-Rufen vier Juden beim Morgengebet massakrierten.

Brandgefährlich sind solche Taten in jedem Fall. Denn wenn es um Gott geht, wird die Grenze überschritten in ein Reich jenseits der Ratio. Ein politischer Konflikt ist mit Vernunft und Kompromissen zu lösen. Ein religiöser Konflikt entzieht sich jeder Kontrolle und jeder Vermittlung. Überdies kennt er keine Grenzen und kann jederzeit einen Flächenbrand auslösen. Geht es um Felsendom und Al-Aksa-Moschee, heilige Stätten für 1,6 Milliarden Muslime, lassen sich vom IS-Kämpfer in Syrien bis zum Bauern in Sumatra die Emotionen schüren.

Die Aufgabe der Politik also muss es sein, die beiden Sphären zu trennen. Das oberste Gebot ist dabei die Deeskalation. Rund um Jerusalem aber ist derzeit genau das Gegenteil zu beobachten: Es koalieren die Verrückten und die Verantwortungslosen. Der Konflikt wird nicht eingedämmt, sondern zugespitzt.

Auf israelischer Seite regiert die "harte Hand", mit der Premierminister Benjamin Netanjahu nicht nur die Palästinenser umklammert, sondern gleich auch noch alle Warnungen der Freunde in Washington oder Berlin vom Tisch wischt. Seine Antwort auf palästinensische Anschläge und die Gewalt auf den Straßen ist noch mehr Gewalt.

Oppression wird um Sippenhaft angereichert

Zusätzliche Polizisten und vielleicht bald auch Soldaten werden nach Jerusalem beordert, an den Zugängen zu den arabischen Vierteln werden Checkpoints errichtet, die Waffengesetze sollen zum Zweck der besseren Selbstverteidigung gelockert werden.

Die Oppression wird noch um Sippenhaft und Kollektivstrafen angereichert, wenn die Familienmitglieder palästinensischer Attentäter festgenommen und ihre Häuser zerstört werden. Abschreckende Wirkung hatten solche inhumanen Maßnahmen bislang nie, sie haben immer nur neue Anschläge provoziert.

Unschuldig ist auch Abbas nicht

Doch damit nicht genug. Auch auf der politischen Ebene sind die Bulldozer unterwegs, die alle Brücken einreißen nach Ramallah. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, der eigentlich Israels Ansprechpartner für Friedensverhandlungen sein sollte und könnte, wird von Netanjahu und dessen Fußsoldaten so unverantwortlich als "Hetzer" und "Kriegstreiber" beschimpft, dass ihm schließlich sogar der Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes zur Hilfe eilen musste.

Unschuldig an der Eskalation ist Abbas freilich nicht. Zwar hat er den Synagogen-Anschlag sogleich verurteilt, zuvor allerdings hatte er einen anderen Jerusalemer Attentäter zum Märtyrer erkoren und zur Verteidigung der Al-Aksa-Moschee "mit allen Mitteln" aufgerufen.

Statt zu mäßigen also hat auch er die Flammen angefacht und sich in Niederungen begeben, in denen sonst nur die Hamas ihr Unwesen treibt. Wozu das führt, war im Gazastreifen zu beobachten, wo das bestialische Blutbad in der Synagoge mit Freudenschüssen und der Verteilung von Süßigkeiten gefeiert wurde.

Angesichts solcher Verrohung und Verhärtung ist von außen derzeit kaum noch Einfluss zu gewinnen auf diesen Konflikt. Es fehlt gewiss nicht an Initiativen. So sieht der unermüdliche US-Außenminister John Kerry auch diese Krise wieder als Chance, den Friedensprozess neu anzustoßen. Die EU-Vertreter basteln an einer Anreiz- und Sanktionsliste für Israelis und Palästinenser. Und die Schweden, Briten, Spanier und Franzosen glauben, dem Frieden durch eine voreilige Anerkennung Palästinas dienen zu können.

Doch das sind nur diplomatische Trockenübungen, weit weg von den realen Schlachten. Allein die Führungen der Israelis und der Palästinenser können nun noch eine fatale Fehlentwicklung abwenden. Wenn sie weiter auf Konfrontationskurs bleiben, werden beide Völker einen hohen Preis dafür zu zahlen haben.

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