Nahost-Reise des Außenministers:Steinmeier zu Besuch im Pulverfass Gazastreifen

Außenminister Steinmeier besucht Gaza

"So, wie es ist, darf und wird es nicht bleiben." Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu Besuch bei palästinensischen Fischern im Hafen von Gaza.

(Foto: Jens Büttner/dpa)
  • Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier besucht den Gazastreifen und trifft Betroffene des 40-Tage-Kriegs im vergangenen Jahr.
  • Steinmeier spricht von einer "katastrophalen Lage" und einem "Pulverfass".
  • Zunehmend misstrauisch sehen Deutschland und die europäischen Partner, dass sich die palästinensische Autonomiebehörde nicht stärker für den Gazastreifen engagiert.
  • Hier leben zwei Millionen Menschen in einem winzigen Küstenstreifen eingepfercht, die Luftangriffe der Israelis haben zahlreiche Häuser zerstört, 2000 Palästinenser starben im Sommer 2014.

Von Stefan Braun, Gaza/Ramallah

Die Fassade hält ein paar Minuten. Ein paar Minuten, in denen Mazen Hamada seinen Stolz bewahren kann und ruhig erzählt, was seiner Familie passiert ist. Eine Nacht im Juli 2014, ein Luftangriff der Israelis - und nichts ist mehr so, wie es war. Das Haus von einer Sekunde auf die nächste zerstört, die Bibliothek zerbombt, das Zuhause dem Erdboden gleichgemacht. Alle Papiere, Erinnerungen, Tagebücher, Zeugnisse sind verbrannt. Aus einer gut situierten Familie werden vier Obdachlose, die durch Gaza irren, weil sie überleben möchten.

1995 kam der damals 29-jährige Hamada aus Deutschland zurück nach Gaza. In Kiel hatte er Chemie studiert, jetzt wollte er hier seine Heimat aufbauen und seine Kinder großziehen. Es war die Zeit des Aufbruchs. Die Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern in Oslo schienen den ersehnten Frieden zu bringen.

20 Jahre später sitzt ein verstörter Uni-Professor mit Frau und Kindern vor dem deutschen Außenminister - und seine Tochter bricht in Tränen aus. Sie erzählt von ihrem Herzinfarkt, von vielen Fahrten ins Krankenhaus. Und sie sagt, dass ihr Vater sich so sehr bemühe, Stolz und Zuversicht auszustrahlen. Dabei wisse sie genau, wie es in ihm wirklich aussehe. Wie zerstört sein Herz sei und seine Seele.

Als sich der Schmerz der Familie vor ihm ausbreitet, fehlen ihm die Worte

Das ist der Moment, in dem auch bei Frank-Walter Steinmeier die Routine Adieu sagt. Er war ja gewarnt gewesen vor dem Besuch in der von Deutschland mitfinanzierten UN-Schule. Auf dem Weg hierher ist er an Trümmerbergen vorbeigefahren, an niedergewalzten Häusern, zerbombten Fabriken, zerschossenen Ruinen. Dazu kennt er natürlich die Zahlen. Er weiß, dass beim letzten Krieg mehr als 2000 Palästinenser starben, dass zwei Millionen Menschen seit acht Jahren in einem winzigen Küstenstreifen eingepfercht sind. Aber als sich der Schmerz der Familie vor ihm ausbreitet, fehlen ihm die Worte.

Dass in Gaza neue Gefahr droht, wenn nichts besser wird nach so viel Leid, hat er schon zuvor erklärt. Jetzt spricht er von einer "katastrophalen Lage" der Menschen. Wenig später, vor Fischern im Hafen, wird er sogar vor einem ,,Pulverfass'' reden angesichts der verheerenden Bedingungen, die hier herrschen: "So, wie es ist, darf und wird es nicht bleiben." Das ist einerseits ein Versprechen zu helfen. Aber es ist auch eine Warnung an die Israelis in Jerusalem und die Palästinenser in der Westbank: Wer auf den Status quo setzt, dem wird Hören und Sehen vergehen.

"Hier herrscht ein Machtvakuum, das sehr gefährlich ist"

Gaza ist derzeit das mit Abstand gefährlichste Problem zwischen Israelis und Palästinensern. Zwei Millionen Menschen, eingesperrt hinter einer Mauer, Hunderttausende junge Leute, die nichts anderes kennen als Unterdrückung. Hinzu kommt, so berichtet es der örtliche UN-Direktor Robert Turner, dass es in Gaza keine Regierung mehr gibt, die Verantwortung übernimmt. "Hier herrscht ein Machtvakuum, das sehr gefährlich ist", erzählt Turner. Offenbar kann auch die Hamas hier nur noch Krieg und Konflikt, aber keine Perspektiven mehr bieten.

Der Frust der Menschen speist sich allerdings nicht nur aus der fürchterlichen sozialen Lage oder dem übergroßen Hass gegen die Israelis. Ein zentrales Problem für viele Menschen ist, dass auch die palästinensische Autonomiebehörde mit Sitz in der Westbank offenkundig zögert, sich hier stärker zu engagieren. Premierminister Rami Hamdallah hat das tags zuvor eindrucksvoll bewiesen. Er sprach zwar davon, dass Gaza ein "wichtiger Bestandteil Palästinas" sei und bleibe. Doch auf die Frage, wann und wie sich seine Behörde wieder mit voller Kraft um den übervölkerten Küstenstreifen kümmern werde, blieb er verdächtig unpräzise. Die Botschaft, dass die Menschen in Rafah, Khan Younis oder Gaza ihm eine Herzensangelegenheit seien, kam ihm nicht über die Lippen.

Zunehmend misstrauisch beäugen die Europäer die Autonomiebehörde

Genau das macht internationale Partner wie Deutschland zunehmend misstrauisch. Als sich Berlin nach dem Gaza-Krieg im vergangenen Sommer dafür stark machte, der palästinensischen Autonomiebehörde wieder mehr Einfluss zu verschaffen, zögerte diese. 2007 war die Fatah als stärkster militärischer Arm der Behörde vertrieben worden, seither herrschte in Gaza die Hamas. Israel beschloss, den winzigen Küstenstreifen abzuriegeln.

Nach dem Sommerkrieg 2014 setzte Berlin darauf, eine Öffnung der Grenzen durch eine internationale Kontrolle der Übergänge möglich zu machen, auch mit Hilfe von Einheiten der Autonomiebehörde. Diese aber zog nicht mit. Ob sie sich nicht traute, oder ob es ihr zu aufwendig erschien - beide Motive sind keine guten. Will sie im Gazastreifen Einfluss gewinnen, muss sie etwas riskieren und investieren. So jedenfalls sieht es der deutsche Außenminister. "Wir wünschen uns eine stärkere Präsenz", sagt Steinmeier - deutliche Worte für einen, der stets als Freund und Partner auftrat.

In Gaza ist Steinmeier freundlicher. Der Familie Hamada und den Fischern am Hafen verspricht er weitere Hilfe. Allerdings sagt er auch, was das voraussetzt. Eine Verbesserung der Lage, gar eine echte Zukunft werde es nur geben, wenn "von hier aus keine Raketen gegen Israel mehr gestartet werden". Er ruft das laut in die Mikrofone. Offen bleibt, wie viele ihm an der Stelle zuhören.

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