Israelische Kampfflugzeuge haben am Sonntagmorgen den fünften Tag in Folge Ziele im Gazastreifen angegriffen. Es seien Dutzende von Raketenabschussrampen getroffen worden, teilte das Militär mit. Augenzeugen zufolge bombardierten sie in Gaza-Stadt unter anderem einen arabischen Fernsehsender, der von Israel als Hamas-freundlich eingestuft wurde. Dabei seien drei Journalisten verletzt worden.
Bei zwei weiteren Angriffen auf Häuser in einem Flüchtlingslager vor dem Morgengrauen starb nach Angaben von Sanitätern ein Kind, zwölf Menschen seien verletzt worden. Im Süden Israels sollten am Sonntag als Vorsichtsmaßnahme gegen Raketenangriffe die Schulen geschlossen bleiben.
Am Vorabend noch hatte Ägyptens Staatschef Mohammed Mursi Hoffnungen auf eine baldige Waffenruhe geweckt. Er stehe mit den Konfliktparteien in engem Kontakt, sagte er nach einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Kairo. Es gebe "Indizien" für eine baldige Übereinkunft. Der im Exil lebende Hamas-Chef Chaled Maschaal, der sich ebenfalls in Kairo aufhielt, bezweifelte jedoch, dass Israel eine Waffenruhe einhalten werde.
In Tel Aviv war am Samstag erneut Luftalarm ausgelöst worden. Wie die israelische Zeitung Haaretz in ihrem Liveblog schrieb, waren in der Stadt zwei Explosionen zu hören, nachdem die Alarmsirenen losgegangen waren.
Angesichts der Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf den Großraum Tel Aviv hat das israelische Militär ein Raketenabwehrsystem vor der Stadt stationiert. Es handele sich um eine Abwehrtechnik des Typs Iron Dome (Eisenkuppel) gegen Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite bis zu 70 Kilometer, das Israels Regierung mit Hilfe der USA ausgebaut hat.
Israelische Kampfjets bombardieren Regierungsgebäude der Hamas
Es sei die fünfte Einheit des Systems, deren Aufbau eigentlich erst für kommenden Januar geplant gewesen sei, teilte die Armee mit. Angesichts der Angriffe auf Tel Aviv sei der Termin vorgezogen worden. Die anderen vier Systeme sind um den Gazastreifen herum stationiert. Dort hätten sie in den vergangenen Tagen 211 Raketen aus dem Gaza-Streifen noch in der Luft zerstört.
"Die USA haben uns volle Rückendeckung dafür gegeben, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um unsere Staatsbürger vor dem Terror der Hamas zu schützen", erklärte Israels Botschafter in Washington, Michael Oren, in amerikanischen Medien.
Seit dem frühen Samstagmorgen bombardierten israelische Kampfflieger mehrfach das Regierungsgebäude der Hamas in Gaza. Betroffen waren das Büro des Ministerpräsidenten Ismail Hanija sowie eine Polizeizentrale, teilte die Hamas mit. Ein israelischer Militärsprecher bestätigte den Angriff auf Hanijas Büro. Dort hatte dieser am Freitag noch den ägyptischen Ministerpräsidenten Hisham Kandil empfangen.
Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman kündigte Vergeltung für die anhaltenden Raketenangriffe aus dem Gazastreifen an und schloss selbst eine gezielte Tötung von Ministerpräsident Ismail Hanija nicht aus. "Jedes Mal, wenn die Hamas schießt, wird die Antwort noch heftiger ausfallen", sagte er im Fernsehsender Channel 2. "Ich rate der gesamten Hamas-Führung, uns nicht auf die Probe zu stellen."
Nach palästinensischen Angaben sind seit dem Beginn der israelischen Offensive "Säule der Verteidigung" am Mittwoch im Gazastreifen 39 Menschen getötet und etwa 330 Menschen verletzt worden. In Israel gab es zugleich drei Tote und etwa 20 Verletzte. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will die Angriffe im Gazastreifen beenden, wenn zugleich die Raketenattacken auf Israel eingestellt werden.
Nach eigenen Angaben haben die israelischen Streitkräfte bisher mehr als 800 Ziele getroffen. Allein in der Nacht zum Samstag habe die Luftwaffe etwa 180 Angriffe geflogen, in Abständen von zwei bis fünf Minuten. Wie Haaretz berichtet, hat Benny Gantz, der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, die Anweisung erteilt, die Luftangriffe auf Gaza zu intensivieren.
Die Hamas, die bisher 500 Raketen, vor allem auf dem Süden Israels abgefeuert hat, schwor unterdessen Rache: "Israel wird einen hohen Preis für seine Verbrechen zu zahlen haben. Wir schwören Rache für Tod und Schrecken, die die Besatzer über unsere Menschen bringen."
"Die palästinensische Regierung unterstreicht ihre Standfestigkeit und ihre Unterstützung für den palästinensischen Widerstand", schrieb Regierungssprecher Ihab Hussein am Samstagmorgen in einer Nachricht an Journalisten. "Sie steht an der Seite des Volkes, das dieser Aggression ausgesetzt ist."
Unterdessen sitzen offenbar 22 ausländische Journalisten und Mitglieder von Hilfsorganisationen im Gazastreifen fest, weil ihnen die Ausreise verweigert wird. Die Nachrichtenagentur dpa schreibt, das Hamas-Innenministerium habe zur Begründung angegeben, Israel schließe den Erez-Kontrollpunkt im Norden des Gazastreifens am Schabbat. Israel betonte jedoch, der Übergang sei wegen des Konflikts für Personen auch am Samstag geöffnet. Die Ausländer berichteten, sie hätten dies der Hamas mitgeteilt, dennoch hätten sie nicht passieren dürfen.
"Es gibt für diese Gewalt keinerlei Rechtfertigung"
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Samstag sowohl mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu als auch mit dem ägyptischen Staatschef Mohammed Mursi telefoniert. Gegenüber Netanjahu habe sie das Recht Israels auf Selbstverteidigung und die Pflicht zum Schutz der israelischen Bevölkerung betont, erklärte Vizeregierungssprecher Georg Streiter. Beide seien sich einig gewesen, "dass schnellstmöglich ein vollständiger Waffenstillstand erreicht werden müsse, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden".
In ihrem Gespräch mit Mursi habe Merkel den ägyptischen Präsidenten ermuntert, seine "wichtige Vermittlerrolle weiter auszuüben und die palästinensischen Gruppen zu einer umgehenden Einstellung der Angriffe auf Israel zu bewegen", teilte Streiter weiter mit. Eine Eskalation der Gewalt müsse verhindert werden.
Auch US-Präsident Obama hatte zuvor mit Netanjahu und Mursi telefoniert. Er bekräftigte seine Unterstützung für das israelische Recht auf Selbstverteidigung. Allerdings bedauere er den Verlust von Menschenleben auf beiden Seiten und setzte sich für eine Deeskalation in der Gaza-Krise ein. Im Gespräch mit Ägyptens Präsident Mohamed Mursi appellierte Obama an Ägypten, beruhigend auf die Konfliktparteien einzuwirken, um die Lage wieder zu stabilisieren.
Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker verurteilte die Raketenangriffe der radikal-islamischen Hamas auf Israel scharf: "Jeder Staat hat ein Recht, eine Pflicht, sich davor zu schützen und darauf zu reagieren", sagte von Weizsäcker bei einer Preisverleihung im Jüdischen Museum in Berlin. Israel könne solche weiteren Bedrohungen nicht hinnehmen und werde gerade zum Schutz der eigenen Bürger das Notwendige unternehmen, um weitere Eskalationen so gut wie möglich zu vermeiden.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle warnte vor einem Flächenbrand im Nahen Osten und forderte eine Waffenruhe im neuen Konflikt. In einem Gastbeitrag für die Bild am Sonntag schreibt der FDP-Politiker: "Die Lage ist brandgefährlich. Der ganzen Region droht die Eskalation. Jeder muss sich jetzt seiner Verantwortung bewusst sein. Umsicht, Verhältnismäßigkeit und Deeskalation sind das Gebot der Stunde." Es müsse gelingen, die Logik von Tod und Zerstörung zu durchbrechen.
Westerwelle machte die Hamas für die jüngste Eskalation der Gewalt verantwortlich. "Israel hat das Recht, sich der Gewalt der Hamas-Raketen entgegenzustellen. Israel hat das Recht, sein Land und sein Volk zu verteidigen. Auslöser der Gewaltspirale sind die Raketen der Hamas."