Nahost-Konflikt:Harsche Kritik an Abbas

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Palästinenser-Präsident Abbas schlägt beim Rückkehrrecht für Flüchtlinge nach Israel neue, ungewöhnliche Töne an - die Hamas wirft ihm daraufhin Vaterlandsverrat vor. Abbas' Aussagen könnten aber eine Art Versuchsballon sein.

Peter Münch, Tel Aviv

Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas hat eine Debatte über neue Chancen im Nahost-Friedensprozess entfacht. Auslöser ist ein Interview mit dem israelischen Fernsehsender Channel 2, in dem er versöhnliche Botschaften aussandte und versicherte, dass es unter seiner Führung keine dritte Intifada geben werde.

Scharf verurteilte er Raketenangriffe auf Israel aus dem von der Hamas regierten Gaza-Streifen. Aufsehen erregte jedoch vor allem seine Aussage, dass er in seine Geburtsstadt Safed im Norden Israels zwar als Besucher zurückkehren, aber nicht mehr dort leben wolle. Damit schlug er öffentlich einen neuen Ton an bei einem der heikelsten Themen in den bisherigen Verhandlungen, nämlich in der Frage um das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge nach Israel.

Abbas selbst hatte ebenso wie sein Vorgänger Jassir Arafat dieses Rückkehrrecht immer als "heilig" erklärt. Es wird beansprucht für die schätzungsweise 800.000 Palästinenser sowie deren Nachkommen, die im Unabhängigkeitskrieg von 1948 aus ihren Häusern in Israel geflüchtet waren oder vertrieben wurden.

Mittlerweile ist die Zahl dieser palästinensischen Flüchtlinge durch den Kinderreichtum der Familien allerdings auf fünf bis sechs Millionen angewachsen, die bis heute oft in Lagern in den Palästinenser-Gebieten sowie den umliegenden arabischen Staaten leben müssen. Ihre Rückkehr kommt für Israel nicht in Frage, weil dies die Bevölkerungsverhältnisse umkehren und de facto das Ende des jüdischen Staats bedeuten würde.

Intern waren in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Kompromiss-Modelle entwickelt worden, zum Beispiel das Rückkehrrecht für eine eher symbolische Zahl von Flüchtlingen sowie eine finanzielle Kompensation der anderen. Ihrem Volk hat die Palästinenser-Führung jedoch stets versprochen, dass jeder einzelne Flüchtling in sein Haus in Haifa, Jaffa oder anderswo in Israel zurückkehren werde. Den realen Umsetzungschancen zum Trotz wurde diese Frage gar zum Kern des nationalen Befreiungskampfs veredelt.

Zugleich hat sich die Palästinenser-Führung damit jedoch selbst die Hände gebunden in den Verhandlungen. Die jetzige Aussage von Abbas könnte als eine Art Versuchsballon gedacht gewesen sein, um die Reaktion der palästinensischen Öffentlichkeit zu testen und ein Signal nach Israel und zur internationalen Gemeinschaft auszusenden.

Wenig überraschend warf die mit Abbas rivalisierende Hamas dem Präsidenten eine Art Vaterlandsverrat vor. Abbas habe sich die "zionistische Position" zu eigen gemacht, sagte ein Sprecher der islamistischen Organisation. Bei Straßenprotesten im Gaza-Streifen wurden Bilder von Abbas verbrannt. Um den Zorn zu zügeln, versicherte der Präsident in einem Interview mit dem ägyptischen TV-Sender al-Hajat sogleich, er habe seine Position zum Rückkehrrecht nicht geändert. "Niemand kann das aufgeben", sagte er und erklärte die Äußerungen über seine Geburtsstadt Safed zu seiner "persönlichen Haltung".

In Israel gab es gemischte Reaktionen auf den Vorstoß des Palästinenser-Präsidenten. Seine Avancen dürfen gewiss auch als Versuch gewertet werden, das Thema des Friedensprozesses auf die Agenda des gerade beginnenden Wahlkampfes zu setzen, der bislang von der iranischen Nuklearbedrohung und Sozialthemen dominiert wird.

Prompte Unterstützung erfuhr Abbas durch Israels Präsidenten Schimon Peres, der ihn am Telefon für seine "mutigen" Worte lobte und erklärte, er habe "durch seine Taten und seine Worte unter Beweis gestellt, dass Israel in ihm einen wahren Friedenspartner hat".

Israels Opposition nutzte das Interview von Abbas zu einer Generalabrechnung mit der Regierung. Ex-Premier Ehud Olmert, der über ein Comeback bei der für den 22. Januar angesetzten vorgezogenen Parlamentswahl nachdenkt, warf seinem Nachfolger Benjamin Netanjahu vor, in den vergangenen vier Jahren Fortschritte im Friedensprozess blockiert zu haben.

Damit habe er "Israels Interessen geschadet" und die Hamas gestärkt. Er gab zu verstehen, dass Abbas ähnliche Äußerungen zum Rückkehrrecht bereits intern in früheren Verhandlungen gemacht habe. Bestätigt wurde das auch von Tzipi Livni, die als Außenministerin unter Olmert die Gespräche mit den Palästinensern weit vorangetrieben hatte.

Die Regierung in Jerusalem zeigte sich dagegen demonstrativ unbeeindruckt von den Abbas-Äußerungen. In einer Erklärung des Büros von Netanjahu hieß es, es gebe "keine Verbindung zwischen den Aussagen von Abbas und seinen tatsächlichen Handlungen". Außenminister Avigdor Lieberman, der Abbas seit Wochen öffentlich schmäht, nannte ihn einen "Lügner" und beschuldigte ihn, sich "zum Wohl der Linken in den israelischen Wahlkampf einzumischen".

© SZ vom 06.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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