Nahost-Konflikt:Gefühlte Sicherheit unter der Eisenkuppel

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Das Raketenabwehrsystem "Iron Dome" soll feindliche Raketen noch in der Luft zerstören, hier nahe der Stadt Ashdod (Foto vom 11. Juli). (Foto: REUTERS)

Feindliche Flugkörper prallen an ihm ab: Das Raketenabwehrsystem "Iron Dome" wiegt Israel in einem Gefühl relativer Sicherheit, während es auf palästinensischer Seite nicht einmal einen Sirenenalarm gibt. Doch das System droht, die Menschen gleichgültig zu machen - obwohl es nicht fehlerfrei arbeitet.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Es ist kurz nach neun am Abend, der Tag war heiß und ruhig, da heulen in Tel Aviv plötzlich die Sirenen. Eine Stunde zuvor hatte die Hamas einen massiven Angriff auf die Metropole angekündigt. Auch das gehört zum Krieg in seiner psychologischen Spielart. Nun folgt auf den Alarm ein dumpfer Knall, dann noch einer und noch einer. Und was vom Angriff übrig bleibt, sind drei kleine weiße Wölkchen am Nachthimmel über der erleichtert aufatmenden Stadt. Der Beschuss ist an der Eisernen Kuppel, dem israelischen Raketenabwehrsystem "Iron Dome", mit drei Raketen abgeprallt. Wieder einmal.

Ungefähr 800 Raketen haben die Hamas und andere bewaffnete Gruppen bis zum Sonntag in diesem Krieg auf Israel abgefeuert. Die meisten landen in unbewohntem Gebiet, die Schäden sind relativ gering. Gewiss, es gibt ein paar dramatisch aussehende Treffer: eine Rakete, die ein Wohnhaus in Beerscheba traf oder eine andere, die eine Tankstelle in der Hafenstadt Aschdod entflammte. Doch der überwiegende Teil dessen, was auf Israels Städte oder strategisch empfindliche Ziele wie den internationalen Flughafen Ben Gurion oder die Atomanlage in Dimona zusteuert, wird abgefangen. Fast 150 Raketen hat das Iron-Dome-System bislang abgeschossen, die Trefferquote liegt laut offiziellen Angaben bei 90 Prozent, auch wenn das von manchen Experten bezweifelt wird.

Unstrittig ist, dass dieses Defensivsystem die Dynamik des Krieges weit mehr als jede neue Angriffswaffe verändert. Die Eisenkuppel gibt Israel ein Gefühl der relativen Sicherheit und verhindert womöglich, dass die Kämpfe unkontrollierter eskalieren. Bei einem hohen Blutzoll auf israelischer Seite wäre der Druck auf die Regierung in Jerusalem wohl größer, mit Bodentruppen in den Gazastreifen einzumarschieren und der Hamas eine Lektion zu erteilen, mit dem Risiko eines Blutbads.

Auf palästinensischer Seite gibt es nicht einmal Sirenenalarm

Auf der anderen Seite muss die "Eisenkuppel" für die Palästinenser ein Quell steter Entmutigung sein. Schließlich schießen sie in diesem Krieg aus allen Rohren, wie nie zuvor. Ihre Raketen bedrohen längst nicht mehr nur das an Leid gewohnte Grenzgebiet in Israels Süden, sondern auch Tel Aviv und Jerusalem, fast bis nach Haifa erstreckt sich die Reichweite. Mit dem Abschuss ganzer Raketen-Salven versuchen sie überdies, das Abwehrsystem zu überlisten. Doch bislang fehlt ein vorzeigbarer Erfolg im Kampf gegen den überlegenen Feind. Gleichzeitig ist die Bevölkerung im dicht bevölkerten Gazastreifen den israelischen Angriffen hilflos ausgeliefert. Nicht einmal einen Sirenenalarm gibt es hier, in Bunkern sitzen höchstens die Bonzen der Hamas.

Im vorigen Gaza-Krieg im November 2012 hatte die Eisenkuppel ihre Feuerprobe bestanden, nun soll sie zum Exporterfolg werden. Entwickelt wurde das Abwehrsystem für Raketen mit einer Reichweite bis zu 70 Kilometern vom staatlichen israelischen Rüstungskonzern Rafael, als Antwort auf den Raketenregen der Hisbollah im Libanonkrieg von 2006. Ohne Finanzhilfe aus den USA aber wären die auf eine Milliarde Dollar geschätzten Entwicklungskosten kaum zu stemmen gewesen.

Viele suchen keine Schutzräume auf

Jede mobile Einheit besteht aus drei Komponenten: einem Radar, dem Steuerungssystem und einer Batterie von 20 Abfangraketen. Der Radar überwacht den Luftraum. Wenn feindliche Raketen anfliegen, wird sekundenschnell ihre Flugbahn berechnet. Wenn sie nicht abdriften, sondern ein Wohngebiet oder eine Armeestellung zu treffen drohen, werden sie in der Luft zerstört. Die Kosten sind beträchtlich: Jede mobile Abwehr-Batterie soll etwa 50 Millionen Dollar kosten, jeder Abschuss bis zu 50 000 Dollar. Bislang sind sieben Batterien im Einsatz. Um Israel flächendeckend zu schützen, wären zehn bis 15 Batterien nötig.

Fehlerfrei arbeitet die Eisenkuppel freilich nicht. Israels Verteidigungsminister Mosche Jaalon hat die Bevölkerung davor gewarnt, gefährlich gleichgültig zu werden. Weil bislang wenig passiert ist, suchen viele keine Schutzräume mehr auf, wenn die Sirenen ertönen. Gegen Ende des achttägigen Kriegs 2012 wurde das drei Menschen im Städtchen Kirjat Malachi zum Verhängnis. Sie gingen beim Alarm auf den Balkon, um den erwarteten Abschuss beobachten zu können. Doch "Iron Dome" hatte eine fatale Fehlfunktion, die Rakete aus dem Gazastreifen schlug im vierten Stock ihres Hauses ein und tötete die Schutzlosen.

© SZ vom 14.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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