Nahost-Konflikt:Ganz große Traumlösung

Die Palästinenser diskutieren die Ausrufung eines eigenen Staates. Doch der Plan hat keine Chance - und birgt viele Gefahren.

Peter Münch

Im Vergleich zu den Wirrnissen im Nahen Osten scheint es, als sei der Gordische Knoten leicht zu lösen gewesen. Unzählige Kluge und Mächtige haben in den vergangenen Jahrzehnten versucht, den Konflikt zu beenden. Doch weder Waffen noch Worte haben gewirkt, im Gegenteil: Jeder neue Anlauf bringt neue Probleme. Dabei gäbe es einen einfachen Weg: Die Palästinenser, die doch schon eine Fahne haben und einen Präsidenten, rufen im Alleingang ihren Staat aus.

Nahost-Konflikt: Der palästinensische Chef-Unterhändler Saeb Erekat hat vorgeschlagen, die Palästinenser sollten im Alleingang ihren Staat ausrufen.

Der palästinensische Chef-Unterhändler Saeb Erekat hat vorgeschlagen, die Palästinenser sollten im Alleingang ihren Staat ausrufen.

(Foto: Foto: AP)

Eben diesen Weg hat nun der palästinensische Chef-Unterhändler Saeb Erekat aufgezeigt - nicht zum ersten Mal, aber erneut mit viel Resonanz. Statt sich weiter im Kleingedruckten zu verzetteln, statt aufzurechnen, wie viele Siedlungshäuser noch gebaut und welche Straßensperren wann gelockert werden, bevor über einen Gesprächstermin geredet werden kann, schlägt Erekat die ganz große Lösung vor: eine einseitige Unabhängigkeitserklärung der Palästinenser, die der UN-Sicherheitsrat absegnen soll.

Da nicken die Araber beifällig, die Israelis werden nervös, die Maschinerie von gegenseitigen Drohungen kommt in Gang - nur der Westen schweigt, und das sagt viel. Dieses Thema nämlich ist höchst unangenehm für Washington, Berlin und Co., weil - theoretisch - manches dafür sprechen könnte, Erekats Plan zu unterstützen. Denn die Palästinenser täten mit einer Staatsgründung nichts anderes, als die internationale Gemeinschaft beim Wort zu nehmen.

Diesen eigenen Staat hat man ihnen fest versprochen. Schon 1993 im Frieden von Oslo war er das Ziel, und bis heute ist die Zwei-Staaten-Lösung die Grundlage aller Friedensbemühungen. US-Präsident Barack Obama hat sich darauf ebenso verpflichtet wie Israels Premier Benjamin Netanjahu. Überdies können die Palästinenser den Westen auf einen Präzedenzfall hinweisen, wenn man ihnen vorhält, dass im Alleingang kein Staat zu machen sei: In der früher serbischen Provinz Kosovo haben die Albaner im Februar 2008 gegen heftigen Widerstand aus Belgrad und Moskau ihre Unabhängigkeit erklärt. Postwendend ist dieser Schritt von den USA und den meisten Europäern unterstützt worden.

Verhandlungen erfordern Kompromisse

De jure stünde den Palästinensern wohl das gleiche Recht zu wie den Kosovaren, de facto allerdings hat ihr Plan keine Chance. Das wissen sie auch selbst, seit Jassir Arafat 1988 das erste Mal mit einer Unabhängigkeitserklärung auftrumpfen wollte. Denn anders als die von Nato-Truppen befreiten Albaner wären die Palästinenser derzeit gar nicht in der Lage zur Staatsgründung - und das nicht nur, weil in einem Großteil ihres Landes immer noch israelische Soldaten stehen. Ihr eigener Premierminister Salam Fajad hat verkündet, dass vor der Ausrufung erst einmal funktionierende Institutionen geschaffen werden müssten. Überdies ist der Staat in spe derzeit in zwei feindliche Entitäten zerfallen. Ohne Einigung zwischen der Fatah in Ramallah und der Hamas in Gaza aber bräuchten sich die Palästinenser zwecks Anerkennung gar nicht an die UN zu wenden, denn eine Drei-Staaten-Lösung wäre wohl in niemandes Sinne.

Dennoch muss das Staatsmanöver der Palästinenser nicht ohne Wirkung verpuffen. Eine Chance liegt darin, mit gesteigertem Druck neue Verhandlungen zu erzwingen. Es kann gewiss nicht schaden, Israel zu signalisieren, dass im Streit um den Siedlungsbau auch andere Lösungen denkbar wären. Andererseits birgt die Drohung der Palästinenser mit einem Alleingang auch eine Gefahr: Verhandlungen erfordern Kompromisse, und dafür bräuchten beide Parteien druckvolle Nachhilfe aus Washington. Bislang ist aber auf keiner Seite die Neigung sichtbar, von Maximalforderungen abzurücken. Israel zahlt längst mit gleicher Münze zurück, und aus der gegenseitigen Androhung einseitiger Schritte könnten irgendwann zwangsläufig Fakten werden. Dann könnten den Wortgefechten neue Kämpfe folgen.

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