Nahost-Konflikt:Fahrplan aus dem Schlamassel

Der Nahost-Konflikt kommt wieder vor die Vereinten Nationen. Es drohen Polarisierung, Emotionen und Parteinahme. In den schlimmsten Szenarien ist schon von einer neuen Intifada, von Gewalt und Toten die Rede.

Stefan Kornelius

Nach dem fast einwöchigen Schauwettbewerb zwischen dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama und Israels Premier Benjamin Netanjahu um die Gunst der amerikanischen Wähler beim Thema Frieden in Nahost wendet sich die internationale Aufmerksamkeit nun dem nächsten Aufführungsort des Dramas zu: New York. Dort, bei den Vereinten Nationen, könnte Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas im September einen Antrag stellen, der den Streit um einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern in eine neue politische Umlaufbahn katapultiert.

Palestinian President Abbas arrives at a meeting of the PLO in Ramallah

Bei den Vereinten Nationen könnte Palästinenser-Präsident Abbas einen Antrag stellen, der den Streit zwischen Israel und den Palästinensern verschärft.

(Foto: REUTERS)

Der Antrag würde eine handfeste völkerrechtliche Auseinandersetzung um einen Staat Palästina auslösen, einen Streit um die Wirkung von internationalem Recht und - besonders gravierend - die Menschen in aller Welt dazu zwingen, ihre Sympathien für oder gegen Israel offenzulegen. Es geht um Polarisierung, um Emotionen und um Parteinahme. In den schlimmsten Szenarien ist schon von einer neuen Intifada, von Gewalt und Toten die Rede. Es ist ein Szenario, das Diplomaten von überall auf der Welt große Sorgen bereitet - und das um jeden Preis vermieden werden soll.

Das Drehbuch sieht vor, dass ein Antragsteller, möglicherweise die Palästinenser selbst, den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, bitten, die Aufnahme eines Staates Palästina in die UN in die Wege zu leiten. Dieser Staat wurde schon 1988 vom damaligen PLO-Chef Jassir Arafat ausgerufen, ließ aber alle Eigenschaften einer Staatlichkeit vermissen. Erst in den vergangenen Jahren erreichte die Palästinensische Autonomiebehörde Anerkennung bei mindestens 100 Staaten der Welt - manchmal nur als Vertreter eines Volkes, dann auch wieder als völkerrechtlich vollwertiger Staat. Als Staat anerkennen können die UN Palästina nicht. Dieses Recht ist Staaten untereinander vorbehalten.

Für die reine Mitgliedschaft in den UN sieht die Charta der Völkergemeinschaft ein klares Prozedere vor. Zunächst müssen mindestens zehn der 15 Mitglieder des Sicherheitsrates mit Ja stimmen, und keines der fünf ständigen Mitglieder darf sein Veto einlegen. Damit empfiehlt der Sicherheitsrat die Aufnahme. Ist diese Hürde genommen, muss die Versammlung aller 192 Staaten mit zwei Dritteln ihrer Stimmen die Aufnahme befürworten. Die zweite Hürde scheint für die Palästinenser leichter zu nehmen - nach Schätzungen von Diplomaten könnte Abbas mit bis zu 150 Stimmen rechnen. Den Palästinensern kommt zugute, dass der arabische Frühling ihrem Wunsch nach Staatlichkeit neuen Auftrieb gegeben hat. Es gibt ein Staatsvolk, es gibt nach palästinensischer Lesart ein Staatsgebiet (jenseits der israelischen Grenzen von 1967), und die Institutionen sind nach Meinung etwa der Weltbank reif für die Staatlichkeit.

Was aber, wenn die USA das Verfahren im Sicherheitsrat mit einem Veto blockieren? Dann gibt es gar Überlegungen, ob nicht die Vollversammlung unter Umgehung des Sicherheitsrats ein Votum abgeben könnte. Das hätte zumindest hohe symbolische Bedeutung. Mit ein paar rechtlichen Kniffen wäre das möglich, würde der Völkergemeinschaft aber einen Konflikt bescheren, wie sie ihn seit der "Uniting-for-Peace-Resolution" im Jahr 1950 nicht mehr erlebt hatte.

Inzwischen versuchen einige Staaten, vor allem aus Europa, diesen ultimativen Konflikt zu verhindern. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel etwa hat unmissverständlich klar gemacht, dass sie von einer einseitigen Aktion der Palästinenser wenig halte und der Frieden nur in Verhandlungen erzielt werden könne. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sagte vieldeutig, sein Land werde "seiner Verantwortung nachkommen".

Wie diese Verantwortung aussehen könnte, haben die drei europäischen Nahost-Verhandler - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - in eine gemeinsamen Erklärung geschrieben, die bisher nur von den Fachleuten studiert wird. Die Erklärung wurde am 18.Februar vom britischen UN-Botschafter Mark Lyall Grant verlesen. Anlass war die Sicherheitsratsresolution zum Siedlungsbau der Israelis, die lediglich von den USA mit einem Veto blockiert wurde. Dennoch diente die Resolution Israel als Warnung und schuf vor allem böses Blut mit Deutschland, das sich so offen nie gegen das Land gestellt hatte. Allerdings machte selbst die US-Botschafterin Susan Rice damals klar, dass ihr Land mit den Inhalten der Resolution sympathisiere, aber aus übergeordneten Gründen nicht wolle, dass Israel am Pranger steht.

Europa legt die Köder aus

Die europäische Erklärung jedenfalls weist den Weg aus der Falle. Das Schlüsselwort im Text ist Parameter; Grundsätze, denen Israel und die Palästinenser nur zustimmen müssten, um einen Verhandlungsprozess wieder in Gang zu setzen. Vier Parameter werden genannt: Eine Einigung über die Grenzen, basierend auf den Grenzlinien von 1967, die allerdings deutlich durch Landtausch verändert werden müssten, um bestimmte israelische Siedlungen unberührt zu lassen und der palästinensischen Forderung nach Land gerecht zu werden. Zweitens ein Abkommen, das die Sicherheitsbedürfnisse beider Seiten befriedige. Drittens eine "gerechte, faire und einhellige Lösung der Flüchtlingsfrage". Und viertens eine Verhandlungslösung, um den Status von Jerusalem "als die künftige Hauptstadt beider Staaten" zu lösen.

Inzwischen hat US-Präsident Obama die größte Hürde für sein Land genommen und erstmals öffentlich die Grenzen von 1967 zur Grundlage für die Landaufteilung erklärt. Palästinenser-Präsident Abbas hat in seinen vielen Gesprächen in Europa aber auch in den USA deutlich gemacht, dass er nur bereit sei, über die Parameter eins und zwei Verhandlungen zu führen, also über Grenzen und Sicherheit. Die Flüchtlingsfrage und das Thema Jerusalem müssten demnach nicht angetastet werden, und ein Stopp des Siedlungsbaus wäre auch keine Voraussetzung für Gespräche mehr - zumindest nicht öffentlich. Allein Israels Regierung zeigt wenig Bewegungsfreude.

Denkbar wäre nun, dass sich die Europäer mit den USA auf eine Sicherheitsrats-Resolution auf Grundlage der Parameter einigen - dann wäre Israel erstmals vom höchsten UN-Gremium inklusive der Schutzmacht USA bedrängt. Und eine Abstimmung über die Aufnahme der Palästinenser in die UN würde an Bedeutung verlieren - wenn sie überhaupt noch stattfinden müsste. Abbas hatte vor zwei Wochen noch geschrieben, dass "Verhandlungen unsere erste Option" blieben. Und bei einem Besuch in Berlin sagte er, neben Angela Merkel stehend: "Wir sind bereit, die Dreier-Erklärung (der Europäer) zu akzeptieren, in der es darum geht, ohne Diskussionen zu den Verhandlungen zurückzukehren."

Knapp vier Monate bleiben bis zum Showdown in New York, Monate, in denen heftig gerungen wird um einen Ausweg. In Europa werden schon die Köder für Israel ausgelegt: Nicht nur Angela Merkel spricht jetzt vom Recht auf einen "jüdischen Staat", was den Israelis bedeuten soll, dass eine Rückkehr der vielen palästinensischen Flüchtlinge nicht realistisch sei. Es ist sogar von Sicherheitsgarantien die Rede, von einer Annäherung an die EU, einer Friedenstruppe zwischen den Parteien.

Allein: Es bleiben die USA, die noch nie im Sicherheitsrat gegen Israel gestimmt haben, und es bleibt Netanjahu selbst, der in Washington nur eines deutlich machte: Viel Bewegungsspielraum gibt es für ihn nicht.

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