Joe Biden soll es richten. Mitte Juli kommt der US-Präsident in den Nahen Osten, und nach eigenem Bekunden will er dort ein fast schon verwegenes Vorhaben vorantreiben. Ziel seiner Reise nach Israel und Saudi-Arabien sei es, so erklärte Biden am Donnerstag am Rand des Nato-Gipfels in Madrid, "Israels Integration in die Region zu vertiefen".
Politisch hat dafür sein Vorgänger Donald Trump Vorarbeit geleistet mit den Abraham-Abkommen, die Israel 2020 mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain, Marokko und dem Sudan schloss. Biden lenkt den Blick nun auf ein noch weit komplizierteres Feld der israelisch-arabischen Kooperation. Ihm geht es um militärische Zusammenarbeit, um eine US-geführte neue regionale Sicherheitsarchitektur, die Visionäre bereits als "nahöstliche Nato" propagieren.
Dieses Ziel mag noch in weiter Ferne liegen. Doch unverkennbar ist, dass sich aus verschiedenen Richtungen einige Nationen auf den Weg gemacht haben - angetrieben von der gemeinsam empfundenen Bedrohung durch Iran. Das bezieht sich längst nicht nur auf die atomaren Ambitionen des Teheraner Regimes. Als konkrete Gefahr werden auch die mit Wucht in Iran ausgebauten Raketen- und Drohnenarsenale eingeschätzt.
Eine gemeinsame Luftverteidigung gegen die iranische Bedrohung
Die Antwort liegt in einem Kürzel, das jüngst der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz in die Debatte eingebracht hat: MEAD. Dies steht für "Middle East Air Defense". Wer an dieser nahöstlichen Allianz zur gemeinsamen Luftverteidigung beteiligt ist, wollte Gantz Ende Juni in der Knesset nicht verraten. Aufhorchen ließ aber seine Aussage, dass sie bereits "operativ tätig" sei und "erfolgreich iranische Angriffsversuche auf Israel und andere Länder unterbunden" habe.
Für Bidens Besuch kündigte Gantz weitere Fortschritte an und womöglich einen "Durchbruch". Die Grundlagen dafür dürften auf einem lange geheim gebliebenen Treffen im ägyptischen Badeort Scharm El-Scheich gelegt worden sein. Wie das Wall Street Journal Ende Juni berichteten, waren dort im März unter amerikanischer Führung hochrangige Armeevertreter aus Israel und sechs arabischen Ländern zusammengekommen. Dabei waren auch Katar und Saudi-Arabien, mit denen Israel noch keine diplomatischen Beziehungen hat.
Israel verspricht eine solche regionale militärische Kooperation doppelten Gewinn: Sie erhöht die eigene Sicherheit und öffnet Märkte für Waffengeschäfte. Berichtet wird bereits über den Einsatz israelischer Radaranlagen gegen mögliche iranische Angriffe in den VAE und Bahrain. Der inzwischen abgetretene israelische Premier Naftali Bennett stellte überdies in Aussicht, dass man das geplante neue Laser-Raketenabwehrsystem Iron Beam auch "Freunden in der Region" zur Verfügung stellen könne, "die von Iran und seinen Hintersassen ernsthaft bedroht" würden.
Die Idee einer Nahost-Sicherheitsallianz ist nicht neu. Sie ist seit den 1950er-Jahren im Umlauf und mündete 1955 in den Bagdad-Pakt, der neben der Türkei, Iran, Pakistan und dem Vereinigten Königreich nur ein arabisches Mitglied hatte - den Irak. Das Bündnis währte etwa zwei Jahrzehnte lang und sollte vor allem den Einfluss der Sowjetunion eindämmen.
Jordaniens König gefällt die Idee einer Art orientalischer Nato
Diese Idee schien wieder aufzukommen, als im März - gut einen Monat nach Beginn des Ukraine-Krieges - die Außenminister aus Israel, den USA und Ägypten, Bahrain, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten, bei einem historischen Gipfeltreffen in der Negev-Wüste zusammenrückten, um ein Zeichen gegen Iran zu setzen. Sie kündigten an, sich künftig regelmäßig auf hoher Ebene zu treffen. Noch vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen.
Doch es scheint, als hätte die russische Aggression und das Zusammenrücken der Nato-Kräfte sowie die sich abzeichnende Norderweiterung auch im Nahen Osten Eindruck gemacht. Der mögliche Schutz durch ein Militärbündnis dürfte angesichts der iranischen Einflussnahme in der arabischen Welt einige Länder der Region anlocken.
Jordaniens König Abdullah II., dessen Außenminister zwar beim Treffen in der Negev-Wüste fehlte, hätte jedenfalls nichts gegen eine nahöstliche Nato. Im Gegenteil: "Ich wäre einer der Ersten, der eine Nahost-Nato befürworten würde, aber die Verbindungen zum Rest der Welt und wie wir uns einfügen ... müssen sehr, sehr klar sein", sagte Abdullah II. kürzlich im Gespräch mit Al Arabiya. Es gebe jedenfalls ein wachsendes Gefühl in der Region, dass Nationen, die ähnlichen Bedrohungen ausgesetzt sind, zusammenarbeiten müssen.
Was Abdullah allerdings unerwähnt ließ: Israel wäre ziemlich sicher mit von der Partie. Und da Amman gerne seine Rolle als Hüter der muslimischen heiligen Stätten Jerusalems betont, festgelegt im Friedensvertrag mit Israel, wäre das ein nicht unbedeutender Paradigmenwechsel - und ein weiterer Erfolg im Annäherungsprozess an die arabische Welt.
Für die meisten arabischen Länder würde nichts gegen eine militärische Allianz mit Israel sprechen: Anders als Jordanien, das eine große palästinensische Diaspora hat, müssten sie keinen ernsthaften innenpolitischen Widerstand fürchten. Die Vereinigten Arabischen Emirate wurden in den vergangenen Monaten zur Zielscheibe der von Iran unterstützen Huthi-Rebellen im Jemen, wie zuvor Saudi-Arabien. Sie haben erkannt, wie verletzlich sie sind - gerade Dubai als Business- und Touristenhotspot - und dass sie mit einer in der Region weniger aktiven USA zunehmend alleine für ihre Sicherheit verantwortlich sind.
Eine Chance, ein paar Länder wegzulocken von China und Russland?
Seit Mohammed bin Zayed offiziell Präsident der Emirate ist, wirbt Washington verstärkt um die Gunst des kleinen, aber einflussreichen Golfemirats. Als bei der Beerdigung seines Bruders hochkarätiger Besuch aus Washington in Person von Vizepräsidentin Kamala Harris und US-Außenminister Antony Blinken anreiste, werteten Beobachter das als Versuch, die abgekühlten Beziehungen wieder auf Kurs zu bringen. Seit der Präsidentschaft von Barack Obama und dem verhassten Atomabkommen mit Iran kritisiert Abu Dhabi mangelnde Sicherheitsgarantien der USA mit Blick auf den Erzfeind Teheran.
Joe Biden möchte mit seiner initiierten Militärkoalition die Emirate und auch Saudi-Arabien von deren Verbündeten China und Russland weglocken und mit Blick auf die Ölfördermengen eine antirussische Front am Golf aufbauen. Ob Biden erfolgreich sein wird, hängt vom weiteren Verlauf des Krieges ab - und von dem, was er bei seinem bevorstehenden Besuch in Dschidda dem bis vor Kurzem noch geächteten saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman anzubieten hat. Der größten Golfmonarchie kommt als "Hüter der Heiligen Stätten" eine Sonderrolle zu. Würden sie sich dem arabischen Annäherungsprozess anschließen, dürfte einer Nahost-Nato nur wenig im Wege stehen.