Süddeutsche Zeitung

Nahost:Israel steuert auf dritte Wahl binnen eines Jahres zu

Die Frist zur Regierungsbildung läuft ab. Likud und Blau-Weiß können sich anscheinend nicht auf eine Koalition verständigen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Kurz vor Ablauf der Frist am Mittwoch um Mitternacht hat sich abgezeichnet, dass der Spitzenkandidat des blau-weißen Bündnisses, Benny Gantz, keine Regierung in Israel zustande bringt. Zuvor war bereits der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gescheitert. Damit steuert das Land nach Urnengängen im April und September auf die dritte Parlamentswahl in einem Jahr zu.

Nach dem Scheitern der Parteichefs haben die Abgeordneten der Knesset noch 21 Tage Zeit, sich mit einer Mehrheit von 61 der 120 Stimmen auf einen Kandidaten aus ihren Reihen zu verständigen: Das könnte Gantz oder Netanjahu, aber auch ein anderes Parlamentsmitglied sein. Dieser Fall ist seit der Staatsgründung 1948 jedoch noch nie eingetreten. Als wahrscheinlicher gilt, dass die Abgeordneten noch vor Ablauf der Frist am 11. Dezember das Parlament vorzeitig auflösen. Die nächste Wahl dürfte im März stattfinden.

Der ehemalige Militärchef Gantz hatte mit seinem blau-weißen Parteienbündnis die Parlamentswahl am 17. September knapp vor Netanjahus rechtsnationalem Likud gewonnen. Aber weder Netanjahus rechter Block noch Gantz' Mitte-links-Lager hatten eine Mehrheit. Laut Umfragen wird sich bei neuen Wahlen an der bisherigen Patt-Situation wenig ändern, weil keine massiven Verschiebungen zwischen den beiden Lagern zu erwartet sind.

Gantz warf Netanjahu am Mittwoch vor, sich einer Einheitsregierung zu verweigern. Netanjahu würde alles tun, um Israel in eine dritte Wahl zu ziehen. Ein Verhandlungsführer des Likud warf wiederum Gantz vor, keine Konzessionen gemacht zu haben. Netanjahu bot am Mittwoch erneut an, dass Gantz mit Blau-Weiß der bisherigen Koalition beitritt, der neben dem Likud noch die zwei ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum angehören. Gantz strebte dagegen eine große Koalition aus Blau-Weiß und Likud an.

Präsident Reuven Rivlin schlug ein Modell vor, wonach sich Gantz und Netanjahu in der Mitte der Legislaturperiode im Amt des Ministerpräsidenten abwechseln sollten. Netanjahu bestand darauf zu beginnen. Ihm drohen Anklagen in bis zu drei Fällen wegen Korruption. Nur als Ministerpräsident muss er nicht zurücktreten und kann bis zum Prozessende im Amt bleiben. Rivlin schlug vor, dass Netanjahu während eines Verfahrens das Amt ruhen lässt. Es wird erwartet, dass Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit in den kommenden Tagen die Entscheidung über die Anklageerhebungen bekannt gibt.

Avigdor Lieberman hätte den Koalitionsverhandlungen noch eine andere Wendung geben können. Am Mittwochnachmittag erklärte der Chef der nationalistischen Partei Unser Haus Israel jedoch, er wolle weder Netanjahus rechtem Block zu einer Mehrheit verhelfen noch eine von Gantz' geführte Minderheitsregierung unterstützen. Der Likud gab bekannt, dass keine parteiinternen Vorwahlen mehr stattfinden werden. Der ehemalige Innenminister Gideon Saar hatte angekündigt, er stünde als Nachfolger für Netanjahu bereit.

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SZ vom 21.11.2019
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