Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Mehr als zwölf Stunden Dauerbeschuss

  • Am Samstag haben militante Palästinenser der israelischen Armee zufolge mehr als 300 Raketen auf Israel abgefeuert.
  • Die israelische Armee griff daraufhin bis zum Abend rund 120 Ziele von Hamas und Islamischem Dschihad im Gazastreifen an.
  • Schon am Freitag waren bei Auseinandersetzungen im Grenzgebiet vier Palästinenser getötet und zwei Israelis verwundet worden.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Es ist eine neue Eskalation im gewaltsamen Konflikt zwischen der israelischen Armee und den radikalislamischen Gruppen im Gazastreifen, die an diesem Samstag ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Den ganzen Tag über fliegen die Raketen in Richtung Israel, mehr als zwölf Stunden lang ununterbrochenem Beschuss. Etwa 300 Raketen feuern militante Palästinenser ab. Nicht nur in den Gemeinden, die an den Gazastreifen angrenzen, sondern auch in den etwas weiter nördlich am Meer gelegenen Städten Ashkelon und Ashdod, sind Explosionen zu hören.

Dutzende Geschosse werden nach Militärangaben vom israelischen Raketenabwehrsystem Iron Dome (Eisenkuppel) abgefangen, viele gehen über unbewohntem Gebiet nieder, aber es werden auch zwei Häuser getroffen. Dabei werden eine 50-jährige Frau und ein Jugendlicher verletzt. In den betroffenen Regionen heulen immer wieder die Sirenen, zehntausende Menschen müssen in Schutzräume flüchten.

Wie Armeesprecher Jonathan Conricus im Gespräch mit Journalisten erklärt, handle es sich um eine "koordinierte Aktion" von Hamas und Islamischem Dschihad. Das israelische Militär antwortet auf die Angriffe aus dem Gazastreifen und greift bis zum späten Abend etwa 120 Ziele der beiden Palästinensergruppierungen an. Dabei wird bei der Stadt Rafah auch ein grenzüberschreitender Tunnel des Islamischen Dschihad, der zweitgrößten Gruppe im Gazastreifen, zerstört. Bei einem der Luftangriffe wurde nach Augenzeugenberichten auch ein sechsstöckiges Gebäude im Westen von Gaza-Stadt zerstört. In dem Gebäude habe sich unter anderem das Büro der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu befunden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verurteilte den Angriff "aufs Schärfste".

Bei den Bombardements kommen nach palästinensischen Angaben vier Menschen ums Leben, darunter sollen sich einen Mutter und ihr Baby befinden. Zudem sei ein 22-jähriger Zivilist bei einem Luftschlag der Israelis im Norden des Gazastreifens getötet worden. Ebenfalls dort wurde ein junger Mann von Granatsplittern tödlich getroffen. Sechs weitere Menschen, drei Zivilisten und drei Kämpfer, seien verletzt worden.

Israels Armeesprecher Conricus kündigt am Nachmittag eine Ausweitung der Attacken an. Als erste Reaktion haben israelische Panzer am Samstagvormittag mehrere Militärposten im Gazastreifen beschossen.

Die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen in Richtung Israel gehen auch weiter, als die israelische Armee ihrerseits mit Luftangriffen antwortet. Offensichtlich weiten die Palästinenser den Aktionsradius aus, denn es gibt selbst in Bet Schemesch Raketenalarm, eine Stadt nahe Jerusalem, die 70 Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt liegt. Vorsorglich lässt das israelische Militär am Samstagmorgen Straßen rund um den Gazastreifen und einen nahe gelegenen Strand sperren. Die Stadt Ashkelon kündigt an, ihre Schutzräume zu öffnen.

Der Beschuss aus Gaza und die Antwort der israelischen Armee kommen nicht unerwartet, nach den Vorfällen vom Freitag. Zwei israelische Soldaten auf Patrouille entlang der Grenze wurden von palästinensischen Scharfschützen angeschossen und verletzt. Nach Einschätzung der israelischen Armee steckt der Islamische Dschihad dahinter. Die Hamas, die im Gazastreifen seit 2007 regiert, habe die Lage nicht voll unter Kontrolle. Der Islamische Dschihad soll unzufrieden mit den Waffenstillstandsverhandlungen unter ägyptischer Vermittlung sein und mit gezielten Aktionen versuchen, diese zu stören. In einer Videobotschaft drohte die Gruppe am Samstag damit, Raketen mit größerer Reichweite nach Israel abzufeuern.

Höchste Sicherheitsvorkehrungen für den Eurovision Song Contest in Tel Aviv

Am Freitag protestierten mehr als 5000 Palästinenser im Rahmen der seit einem Jahr andauernden Demonstrationen an der Grenze. Vier Menschen starben bei Zusammenstößen mit der israelischen Armee und bei Luftangriffen, etwa 50 werden verletzt. Unter den Toten waren zwei Kämpfer der Kassam-Brigaden, dem militanten Arm der Hamas. Israelische Panzer eröffneten laut palästinensischen Angaben auch das Feuer auf Demonstranten östlich des al-Bureij-Flüchtlingscamps, zwei weitere Palästinenser starben dort nach Schusswunden.

Am vergangenen Dienstag hatten die israelischen Streitkräfte damit begonnen, das Raketenabwehrsystem Iron Dome im ganzen Land aufzubauen, insbesondere rund um Tel Aviv. Am 14. Mai startet der Eurovision Song Contest in der Stadt. Die Sicherheitsvorkehrungen rund um das Großereignis werden besonders umfangreich sein. Im Mai ist außerdem der 71. Jahrestag der Staatsgründung Israels, im Vorjahr war es zu Auseinandersetzungen an der Grenze zum Gazastreifen gekommen, an dem Tag, als die USA ihre Botschaft nach Jerusalem verlegt hatten. Mehr als 60 Palästinenser wurden an diesem Tag an der Grenze von israelischen Soldaten erschossen.

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