Nahostkonflikt:Die Regeln des Krieges

Nahostkonflikt: Ein Wohnhaus in Petah Tikva, getroffen von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete: Diese Angriffe seien völkerrechtswidrig, sagen Juristen.

Ein Wohnhaus in Petah Tikva, getroffen von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete: Diese Angriffe seien völkerrechtswidrig, sagen Juristen.

(Foto: AP)

Angriffe gegen Zivilisten sind grundsätzlich verboten, trotzdem können Bomben auf ein Wohnhaus erlaubt sein. Die Vorschriften des Völkerrechts sind nicht immer eindeutig und hängen sehr vom Einzelfall ab, wie sich in Israel und Gaza zeigt.

Von Paul-Anton Krüger

Es sind die steigenden Zahlen getöteter Zivilisten, die Videos von zusammenstürzenden Hochhäusern, die Schwere der Luftangriffe, die zum Beginn der zweiten Woche des militärischen Schlagabtausches zwischen der Hamas und Israel Fragen aufwerfen: Wie weit reicht das Recht auf Selbstverteidigung? Und welchen Schutz genießen Zivilisten? Das Völkerrecht hält Antworten bereit, allerdings fallen diese oft nicht eindeutig aus.

Zunächst gelte es zu unterscheiden zwischen dem Recht auf Selbstverteidigung, dem ius ad bellum, und dem humanitären Völkerrecht, dem ius in bello, das die Regeln in einem bewaffneten Konflikt bestimmt, sagt Matthias Hartwig, Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Die Hamas könne ein Selbstverteidigungsrecht gegen die mögliche Zwangsräumung palästinensischer Bewohner in Ostjerusalem nicht in Anspruch nehmen, auch wenn diese Maßnahme gegen das Völkerrecht verstoße. Damit sind die Raketenangriffe der Hamas völkerrechtswidrig, und Israel kann sein Selbstverteidigungsrecht ausüben.

Matthias Hartwig

Die Raketenangriffe der Hamas seien völkerrechtswidrig, sagt der Jurist Matthias Hartwig.

(Foto: privat/privat)

"Grundsätzlich darf der angegriffene Staat in den Verteidigungsmaßnahmen aber nur so weit gehen, wie das zur Abwehr des Angriffs notwendig ist", fügt Hartwig hinzu. Mit Blick auf Vermittlungsbemühungen Ägyptens und anderer Drittstaaten sagt er, diese könnten zum Erlöschen des Selbstverteidigungsrechts führen, wenn dadurch eine dauerhafte Beendigung des Angriffs zu erwarten ist. Allerdings dürfe der angegriffene Staat "Maßnahmen ergreifen, sodass er für einen längeren Zeitraum nicht befürchten muss, dass die Angriffe wiederaufgenommen werden".

Im Konflikt selbst gilt das humanitäre Völkerrecht. "Israel ist Vertragspartei der vier Genfer Abkommen von 1949, nicht aber der Zusatzprotokolle von 1977, sodass hier weitgehend Gewohnheitsrecht zur Geltung kommt", erläutert Wolff Heintschel von Heinegg, Professor für Öffentliches Recht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Auch die Hamas sei verpflichtet, sich an humanitäres Völkerrecht zu halten - Angriffe, die nicht gegen ein bestimmtes zulässiges militärisches Ziel gerichtet sind, seien auf jeden Fall verboten.

"Grundsätzlich verboten sind Angriffe gegen die Zivilbevölkerung oder einzelne Zivilpersonen", sagte Heintschel von Heinegg. Das bedeute aber nicht, "dass Zivilpersonen nicht zu Schaden kommen dürften nach dieser Rechtsordnung". Ein Angriff auf ein zulässiges militärisches Ziel, ob Personen oder Objekte, sei nicht verboten, auch wenn Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen werden, "wenn der zu erwartende Kollateralschaden nicht in einem exzessiven oder krassen Missverhältnis zu dem zu erwartenden militärischen Vorteil steht". Israelische Luft- und Artillerieangriffe seien also nicht per se rechtswidrig, wenn dabei Zivilisten zu Schaden kommen.

Nahostkonflikt: "Grundsätzlich verboten sind Angriffe gegen die Zivilbevölkerung": der Völkerrechtler Wolff Heintschel von Heinegg.

"Grundsätzlich verboten sind Angriffe gegen die Zivilbevölkerung": der Völkerrechtler Wolff Heintschel von Heinegg.

(Foto: privat/privat)

Bewerten lässt sich das nur im konkreten Einzelfall und mit Kenntnis der Umstände, da sind sich die beiden Völkerrechtler einig. Maßgeblich für die Beurteilung sei die dem Kommandeur vorliegende Informationslage zum Zeitpunkt, an dem er über einen Angriff entscheidet, nicht die Betrachtung des Ergebnisses eines Angriffs im Nachhinein, etwa der unbeabsichtigte Tod von Zivilisten. Bei der israelischen Armee, sagt Heintschel von Heinegg, hätten die Rechtsberater in den Operationsstäben eine herausgehobene Stellung und könnten Angriffe im Zweifel unterbinden.

Allerdings gibt es zu manchen Fragen unter Juristen unterschiedliche Einschätzungen, die sich etwa an dem Luftangriff auf ein Hochhaus verdeutlichen lassen, in dem laut Israel militärische Einrichtungen der Hamas untergebracht waren - aber auch Büros internationaler Medien. Manche Juristen seien der Auffassung, dass nur der militärisch genutzte Teil eines Gebäudes ein zulässiges militärisches Ziel sei, andere würden dagegen das ganze Haus als solches einstufen, sagt Heintschel von Heinegg. Das wirkt sich dann auf die Abwägung zwischen dem zu erzielenden militärischen Vorteil und dem Kollateralschaden aus, der in Kauf genommen werden dürfe. Rechtlich seien Journalisten anderen Zivilisten gleichgestellt.

Zentral sei, dass Befehlshaber verpflichtet seien, alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen bei einem Angriff zu treffen. Dabei müssen sie humanitäre Erwägungen genauso einbeziehen wie die militärische Notwendigkeit. "Sie müssen verifizieren, dass es sich um ein zulässiges militärisches Ziel handelt, und wenn und soweit ein Kollateralschaden zu erwarten ist, dann müssen sie alles praktisch Mögliche tun, um diesen zu vermeiden oder zu minimieren." Das sei etwa durch Warnungen an zivile Bewohner eines Gebäudes möglich, wie sie die israelische Armee in einigen Fällen ausgesprochen habe. Hartwig betont, Befehlshaber müssten alle Informationsmöglichkeiten ausschöpfen, die ihnen zur Verfügung stehen, um sich Kenntnis von der Lage zu verschaffen.

Luftangriffe sind nicht per se verboten, wenn sich ein militärisches Ziel in einem Wohngebiet befindet. Angriffe auf Waffendepots oder Munitionsfabriken etwa gelten als gerechtfertigt. Es muss von ihnen nicht eine unmittelbare Bedrohung ausgehen, sondern es genügt, dass solche Einrichtungen "einen wirksamen Beitrag zu militärischen Handlungen des Gegners leisten". Und ihre Zerstörung muss einen eindeutigen militärischen Vorteil bringen, sagt Heintschel von Heinegg.

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