Nahost:Fastenbrechen des Diplomaten

Erstmals in der Corona-Krise verlässt Außenminister Heiko Maas Europa. In Israel und Jordanien sieht er trotz alter Widerstände auch neue Chancen im Nahost-Konflikt.

Von Daniel Brössler, Amman

Nahost: Ellbogen-Gesellschaft: Außenminister Heiko Maas und sein israelischer Kollege Gabi Aschkenasi.

Ellbogen-Gesellschaft: Außenminister Heiko Maas und sein israelischer Kollege Gabi Aschkenasi.

(Foto: Menahem Kahana/AFP)

Es ist spät geworden. Als Heiko Maas in seinem fast menschenleeren Hotel eintrifft, herrscht in der jordanischen Hauptstadt schon die mitternächtliche Ausgangssperre. Der Außenminister hat einen Tag hinter sich, wie er ihn seit drei Monaten nicht mehr erlebt hat. Am Vormittag ist er mit einer Maschine der zuletzt wenig beschäftigten Flugbereitschaft in Tel Aviv gelandet. Als erster ausländischer Minister machte er der neuen Regierung in Jerusalem seine Aufwartung, am Abend flog er weiter nach Amman. Jordanien hat sich wie fast alle anderen Staaten der Welt abgeschottet mit Beginn der Corona-Pandemie. Maas ist der erste ausländische Gast seit Monaten. Im Kampf gegen das Virus ist die Diplomatie, zumeist nur noch betrieben per Video und Telefon, steril geworden. Und so ist, was Maas in Amman erlebt hat, nicht nur wegen des ausgedehnten Abendessens mit dem Außenminister eine Art diplomatisches Fastenbrechen.

Maas setzt auf ein neues Format aus Frankreich, Deutschland, Ägypten und Jordanien

Es ist die erste Reise des deutschen Außenministers ins außereuropäische Ausland, seit er höchstpersönlich im März eine weltweite Reisewarnung aussprechen musste. Hinter Maas liegt eine Zeit, in der es zunächst hauptsächlich darum ging, gestrandete deutsche Touristen heimzuholen und dann darum, geschlossene Grenzen in Europa wieder zu öffnen. Währenddessen machten die alten Krisen keine Pause, vielfach spitzten sie sich - so wie im Nahen Osten - zu. "Die Gefahr ist groß, wir stehen an einem Scheideweg", fasste das in Amman Maas' Gastgeber Ayman Safadi zusammen. Die von der neuen israelischen Regierung ab Juli geplante Annexion von Teilen des Westjordanlandes berge "großes, großes Eskalationspotenzial", warnt auch Maas. Deutschland sei sich "seiner Verantwortung in den kommenden Wochen bewusst". Es ist eine Verantwortung, die der Kalender diktiert. Deutschland übernimmt am 1. Juli die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft und für einen Monat den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat.

Deshalb hat sich Maas zu einer Reise entschlossen, die immer noch den Regeln des globalen Ausnahmezustandes folgt. In Amman warten am Flughafen drei Männer in Gummi-Schutzanzügen und mit Gasmasken auf die coronabedingt winzige Delegation des Außenministers. Ausgiebig desinfizieren sie das Gepäck. Auf Fiebermessungen wird ausnahmsweise verzichtet. Maas trägt während der Reise die obligatorische Gesichtsmaske - in Tel Aviv verziert mit der deutschen und der israelischen, in Amman mit der deutschen und der jordanischen Fahne. Seine Gesprächspartner begrüßt er mit dem Ellenbogen.

Ob er Deutschland im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nun in einer Vermittlerrolle sehe, wird Maas in Amman gefragt. "Wir werden ganz sicher eine Vermittlerrolle spielen, aber erst einmal innerhalb der Europäischen Union und innerhalb des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen", wiegelt Maas das halbherzig ab. Die unterschiedlichen Positionen zusammenzuführen werde "schon schwer genug werden". Damit meint er nicht nur den notorisch zerstrittenen Sicherheitsrat, sondern eben auch die EU. Deren Mitglieder sind sich zwar einig darin, dass Israels Annexionspläne völkerrechtswidrig sind. Während aber eine große Gruppe von EU-Ländern, unter ihnen Skandinavier und Franzosen, eine harte Antwort bis hin zu Sanktionen fordern, mahnen etwa Ungarn und Österreich zu größter Zurückhaltung. In der Mitte bewegt sich Deutschland.

Das ist eine Gratwanderung, aber bisher funktioniert sie. Wie vielleicht keinem anderen Land werden Deutschland sowohl auf israelischer als auch auf arabischer Seite ehrliche Absichten unterstellt. "Ihre Sichtweise als die eines unserer engsten Freunde anzuhören und sie zu berücksichtigen, ist uns wichtig. Das ist es, was wir tun", sagt in Jerusalem Außenminister Gabi Aschkenasi. Der deutsche Beitrag sei "sehr wichtig", betont in Amman Außenminister Safadi. Er sei überzeugt, dass Deutschland eine "große Rolle" spielen werde. Nur welche?

Wenige Wochen vor der möglichen Entscheidung, im Jordantal mit der Annexion von Territorium zu beginnen, herrscht eine diplomatische Blockade. Die palästinensische Seite hat mit dem Stopp jeglicher Zusammenarbeit gedroht und lehnt Gespräche mit Israel ab. "In dieser kritischen Phase muss es vor allem darum gehen, neue kreative Impulse für die Wiederbelebung der Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern zu setzen", appelliert Maas. Deutschland stehe bereit, dazu "beizutragen". Dabei setzt Maas auf ein neues Format aus Frankreich, Deutschland, Ägypten und Jordanien, das am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz schon einmal zusammengekommen ist.

Zentral bleibt die Frage, ob es nach dem von US-Präsident Donald Trump verkündeten "Jahrhundertdeal", der Israel 32 Prozent des Westjordanlandes und den Palästinensern nur ein zerstückeltes Land offeriert, überhaupt Spielraum für Diplomatie gibt. Ja, gibt es, lautet die Botschaft jener beiden Männer, die Maas auf seiner Reise am meisten interessiert haben. Neben Außenminister Aschkenasi ist das Benny Gantz, Verteidigungsminister und "alternierender Ministerpräsident", der von Benjamin Netanjahu nach 18 Monaten die Amtsgeschäfte übernehmen soll. Die beiden Ex-Generäle stehen in der neuen Regierung für das Zentrumsbündnis Blau-Weiß, für einen diplomatischeren Ton und, wie Maas es empfunden hat, Offenheit für kritische Mahnungen. Die Annexionspläne sind im Koalitionsvertrag der neuen Regierung verankert. Aber wie und mit welchem Umfang sie umgesetzt werden, scheint noch im Fluss zu sein. Von Netanjahu hört Maas freilich wieder das Gewohnte: Trumps Plan sei der einzige Weg zum Frieden.

Ob es noch Chancen für Diplomatie gibt, hängt also zum einen von der Dynamik innerhalb der neuen Regierung ab, zum anderen aber auch von den Palästinensern. Auf dem Tisch liege der Plan der USA, sagt Maas. Nun halte er es für "sinnvoll, dass auch von der palästinensischen Seite Vorschläge dafür gemacht werden, wie es weitergehen kann, um diesen Dialog dann auch beginnen zu können". Einen Abstecher nach Ramallah vereitelt Israel mit Verweis auf die Corona-Regeln. Zusammen mit Safadi versucht Maas deshalb von Amman aus in einer Videokonferenz dem palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Schtaje klarzumachen, dass er nun mehr liefern müsse als nur Empörung - freilich vorerst ohne Erfolg.

Er treffe "ständig Leute, die bereit sind zu Verhandlungen, aber die es bisher nie geschafft haben, sich zusammen an einen Tisch zu setzen", resümiert Maas. Nötig seien nun nicht nur Worte, "sondern auch mal Taten". Als er am Donnerstagmorgen nach Hause aufbricht, wirkt Maas trotzdem nicht unzufrieden mit seinem Ausflug in die reale Diplomatie. In Berlin wartet derweil die nächste Videoschalte. Thema: Reisen innerhalb Europas.

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