Nahost:Auf Stimmungssuche

Palestinians mark Nakba and protest against Israeli plan to annex parts of the occupied West Bank

Am Freitag begingen Palästinenser wie jedes Jahr den Nakba-Tag mit Protesten.

(Foto: Mohamad Torokman/Reuters)

Israels Regierung will Teile des Westjordanlands annektieren. Sollte die EU mit Sanktionen drohen? Einige Mitgliedsländer sind dagegen.

Von Matthias Kolb und Paul-Anton Krüger, Brüssel/München

Mit einem positiven Signal an Israel wollten die 27 EU-Außenminister am Freitag ihre Beratungen beginnen und die Bildung einer neuen Einheitsregierung unter Premier Benjamin Netanjahu begrüßen. Doch die wurde auf Sonntag verschoben, nachdem der Likud des Regierungschefs mit der Verteilung der Kabinettsposten unzufrieden war. Auf diese Botschaft hätten sich die Außenministerin ihrer Videoschalte wohl noch verständigen können. Doch bei der Frage, wie Europa der von Netanjahu angestrebten und im Koalitionsvertrag mit seinem Rivalen Benny Gantz vorgesehenen Annexion entgegentreten will, liegen die Positionen weit auseinander. Es geht um Teile des Westjordanlands und des strategisch wichtigen Jordantals an der Grenze zu Jordanien. "Die Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern bleibt eine Priorität für die EU", sagte anschließend der Außenbeauftragte Josep Borrell. Man warne vor jeder "einseitigen Aktion", die eine Zwei-Staaten-Lösung erschwere. Mit Israels neuer Regierung will die EU "konstruktiv und umfassend" kooperieren.

Einig sind sich die Mitgliedstaaten zwar in der Beurteilung, dass eine Annexion "völkerrechtswidrig" wäre, wie es Borrell schon im Februar formuliert hatte - die Palästinenser beanspruchen das Gebiet als Kern eines künftigen Staates. Umstritten bleibt aber, wie man reagieren soll. Acht oder neun Staaten haben den von Borrell geleiteten Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) vergeblich aufgefordert, einen "Bericht mit Optionen" zu erstellen, welche Maßnahmen denkbar wären. Frankreich möchte Israel eine harte Antwort androhen, sprich Sanktionen. Auch Schweden, Irland oder Belgien halten dies für das beste Mittel, um zu verhindern, dass Netanjahu sein Vorhaben umsetzt.

Bundesaußenminister Heiko Maas fordert einen "Dialog mit beiden Seiten"

Dem hatte Borrell schon vorab entgegengehalten, dass in außenpolitischen Fragen Einstimmigkeit nötig ist. "Wir sind also vorerst weit davon entfernt, über Sanktionen zu diskutieren." Als stärkster Hebel gilt in Brüssel der Zugang zum EU-Forschungsprogramm "Horizon 2020", das auch israelische Unternehmen und Institutionen unterstützt - seit 2014 mit mehr als einer Milliarde Euro. Auch die Teilnahme am Erasmus-Programm für Studenten stellen manche im Ernstfall in Frage. Einen "Dialog mit beiden Seiten" forderte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), mit Israel und den Palästinensern. Brüssel und Berlin komme "eine besondere Verantwortung zu". Heißt: Sie könnten vermitteln und versuchen, Netanjahu umzustimmen. Laut Borrell wollen die 27 EU-Mitglieder nun alle Gesprächskanäle nutzen. Das Ziel muss laut Maas "eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung" sein. Vergleiche seines Luxemburger Kollegen Jean Asselborn mit der Annexion der Krim durch Russland wies Maas zurück. Die EU hatte Moskau dafür mit Sanktionen belegt; der Großteil ist aber gegen die Kriegsführung in der Ostukraine gerichtet. Wichtig sei es, die Einheit der EU zu wahren, sagte Maas - und das dürfte Zeit kosten. Zur Lage in Nahost wurden keine Beschlüsse gefasst.

Die EU befürchtet einen Ausbruch von Gewalt, sollte es zur Annexion kommen, über die Netanjahu von Juli an im Kabinett beraten will, für die er aber bislang noch keinen Termin genannt hat. Borrell hatte im Februar vor dem Europaparlament eindringlich gewarnt: "Wenn dies passiert, dann wird es nicht friedlich ablaufen, da können Sie sicher sein." Die EU sieht sich hohen Erwartungen arabischer Staaten gegenüber, auch wenn es viele nicht wagen, sich offen gegen den Nahost-Plan von US-Präsident Donald Trump zu stellen.

Jordaniens König Abdullah II. warnte im Spiegel, falls Israel im Juli das Westjordantal annektiere, würde dies zu "einem massiven Konflikt" mit Amman führen - und womöglich zum Zusammenbruch der palästinensischen Autonomiebehörde, was noch mehr Gewalt und Extremismus nach sich ziehen werde. US-Außenminister Mike Pompeo hatte bei einem Besuch in Jerusalem gesagt, Netanjahu und Gantz müssten "einen gemeinsamen Weg finden". US-Diplomaten ergänzten, dies könne "eine Weile dauern" - was als Zeichen gewertet wurde, dass auch die USA eine schnelle Annexion kritisch sehen.

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