Süddeutsche Zeitung

SPD:Die Demontage der Andrea Nahles - zutiefst unwürdig

Einige Genossen haben ihre Chefin aus der Politik getrieben. Das ist nicht nur unfair und destruktiv - es schadet auch der politischen Kultur in Deutschland.

Kommentar von Ferdos Forudastan

Mal angenommen, SPD und CDU würden in der Sache künftig fast alles richtig machen: klimapolitisch den Hebel umlegen, die Digitalisierung viel ernster nehmen, in der Ansprache junger Menschen den richtigen Ton treffen. Nur im Umgang mit eigenen Parteifreunden würden sie es so treiben wie bisher. Die Sozialdemokraten würden gegen ihr gerade neu ausgegucktes kommissarisches Führungstrio sticheln, was das Zeug hält. Wäre die oder der neue Vorsitzende gewählt, ginge das gleiche Spiel wieder los.

Die CDU käme zwar auf offener Bühne etwas vornehmer daher. Hinter vorgehaltener Hand allerdings hätten auch weiterhin besonders einige männliche Christdemokraten keine Scheu, wenig vornehm gegen Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer zu stänkern - hoffend, dass diese Häme den Weg in die Öffentlichkeit findet.

Die Koalition könnte sich auf ihren letzten Metern politisch alle Beine ausreißen - ihr gelänge nicht mal ein halbwegs respektabler Abgang; die SPD könnte das Projekt Erneuerung gleich begraben; die CDU müsste sich keine weiteren Gedanken darüber machen, mit welcher Strategie sie ihren Abwärtstrend stoppen kann.

Keine Frage, der vor allem nach Wahlniederlagen beliebte Politiker-Satz "Es geht jetzt um Inhalte" stimmt fast immer. Aber er ist selten richtig ohne diesen Zusatz: "wenn auch nicht nur". Denn natürlich spielt es eine große Rolle, welche Personen diese Inhalte vertreten, ja verkörpern. Und wesentlich für das Erscheinungsbild der jeweiligen Partei ist auch, wie diese Personen miteinander umgehen.

Wie etliche Sozialdemokraten, darunter sehr namhafte, mit ihrer nun abgetretenen Vorsitzenden umgegangen sind, hat der ohnehin schwer gebeutelten SPD weiteren großen Schaden zugefügt. Diese Genossen haben Andrea Nahles' unbestreitbare Stärken ignoriert, ihre unbestreitbaren Schwächen großgeredet und unablässig an ihrem Stuhl gesägt. Das ließ nicht nur die ehemalige Vorsitzende, sondern die Partei als Ganzes noch schlechter dastehen, als es auch ohne dieses fiese Verhalten der Fall gewesen wäre. In der CDU sind die Angriffe auf die Parteichefin aus den eigenen Reihen zwar ungleich moderater ausgefallen. Aber auch dort haben besonders Heckenschützen mit dafür gesorgt, dass die CDU-Chefin gerade in den Wochen vor der Europawahl ein noch weniger überzeugendes Bild abgegeben hat als ohnehin schon.

So sehr gerade der Fall Nahles auch damit zu tun hat, dass hier ein paar Männer keine Skrupel hatten, die von ihnen schon wegen ihres Geschlechts chronisch unterschätzte Vorsitzende niederzumachen: Neu ist das Phänomen des zuweilen sehr hässlichen Umgangs miteinander in der Politik nicht. Die Attacken des früheren CSU-Chefs Franz Josef Strauß auf den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl, die Intrigen Helmut Kohls gegen seinen Nachfolger Wolfgang Schäuble, die demonstrative Verachtung des ehemaligen SPD-Fraktionschefs Herbert Wehner für den damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt, das erbarmungslose Mobbing führender Sozialdemokraten gegen ihren früheren Vorsitzenden Kurt Beck, die oft bewusst verletzenden Kämpfe zwischen Realos und Fundis einstmals bei den Grünen: All das und noch einiges mehr ist Legende.

Nur hat sich erstens die Erinnerung daran ein wenig verflüchtigt. Und zweitens erhöhen auch hier das Internet im Allgemeinen und soziale Medien im Besonderen die Schlagzahl: Angriffe und Gegenangriffe kommen schneller, häufiger und finden vor einem ungleich größeren Publikum statt - einem Publikum zumal, das sich seinerseits teilweise sehr grob, ja grausam zu Wort meldet und den einen oder anderen ebenso unfairen wie destruktiven Kampf mit anheizt.

Nein, längst nicht jede heftige Auseinandersetzung in der Politik ist eben das: unfair und destruktiv. Damit die Bürger wissen, woran sie sind, müssen Amts- und Mandatsträger auch mal hinlangen. Dass sie dabei zuweilen überziehen - geschenkt. Aber das, was sich im Fall Andrea Nahles ereignet hat, geht weit darüber hinaus.

Hier haben nicht einfach Genossen ihre Unzufriedenheit mit der eigenen Chefin artikuliert. Hier ist ein weiterer Mensch an der Spitze der SPD von Teilen der eigenen Partei planmäßig demontiert und aus der Politik getrieben worden. Dass Andrea Nahles selbst fintenreich und hart sein konnte, stimmt zwar. Dafür, was sich hier abgespielt hat, passt das Wort hart aber nicht mehr. Es war zutiefst unwürdig. Manöver wie dieses schaden der politischen Kultur. Sie geben eine der Antworten darauf, wieso der politische Betrieb viele Bürger abschreckt. Sie liefern eine der Erklärungen dafür, dass es immer schwieriger wird, Frauen und Männer zu finden, die sich für Spitzenämter in der Politik interessieren. Und schließlich legt der Fall Nahles nahe, wieso etliche Sozialdemokraten nicht oder nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren möchten.

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SZ vom 04.06.2019
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