Süddeutsche Zeitung

SPD:Nahles hat nichts zu gewinnen

Am Nachmittag tritt die SPD-Fraktion zusammen, dabei geht es auch um Nahles' Ankündigung, bald über den Vorsitz abstimmen zu lassen. Die Parteichefin zieht damit alle Pfeile auf sich - und das ohne Not.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus - und die Sozialdemokraten um sich. Es war der 22. Mai 2005, als Gerhard Schröder nach einer krachenden Niederlage der SPD in Nordrhein-Westfalen auf vorgezogene Neuwahlen im ganzen Land setzte.

Und es war nun fast auf den Tag genau 14 Jahre später Andrea Nahles, die vorgezogene Neuwahlen ankündigte, wenn auch nur in der SPD-Bundestagsfraktion. Gemessen an Schröders Vertrauensfrage ist die von Nahles natürlich drei Nummern kleiner, aber das ist die SPD von heute ja inzwischen auch.

Nahles' Entscheidung ist menschlich nachvollziehbar, aber politisch zweifelhaft. Sie verspricht sich klare Verhältnisse und Geschlossenheit, aber die wird sie nicht bekommen, selbst wenn sie gewinnt. Seit dem Sonderparteitag in Berlin 2003, als die SPD mit breiter Mehrheit für Schröders Agenda-Politik stimmte, der Widerstand aber trotzdem kein Ende nahm, haben klare Verhältnisse in der SPD eigentlich nie wieder für Geschlossenheit gesorgt.

Nahles stellt einen Posten zur Disposition, der mit dem Wahlergebnis nichts zu tun hat

Sozialdemokratische Gegner der großen Koalition zum Beispiel, die trotz des eindeutigen Ergebnisses in der Mitgliederbefragung bis heute weitermäkeln, stehen in dieser unheilvollen Tradition. Der jetzt im SPD-Vorstand geprägte Satz, die 15 Prozent der Europawahl seien das Ergebnis der vergangenen 15 Jahre, trifft so gesehen durchaus zu.

Vorausgesetzt also, es kommt zu der von Nahles gewünschten Wahl, mit oder ohne Gegenkandidatur: Was genau hat sie zu gewinnen? Wenn die Fraktionsvorsitzende Nahles gestürzt werden sollte, kann sie den Parteivorsitz gleich mit aufgeben.

Sollte die Fraktionsvorsitzende indes bestätigt werden, müsste sie schon auch ein sehr gutes Ergebnis erzielen, um nicht gleich wieder als geschwächt zu gelten. Außerdem bleibt noch immer die Parteivorsitzende, an der sich die Kritiker abarbeiten können.

Nahles' Hauruck-Wahl wird jene Skeptiker bestärken, die sie für zu emotional halten. Einen Gegner auszusitzen, da kann sie von Angela Merkel noch viel lernen. Sie stellt zudem einen Posten zur Disposition, der mit dem Wahlergebnis vom Sonntag nichts zu tun hat.

Nahles muss sich sehr wohl einen schweren strategischen Fehler ankreiden lassen, weil sie beim Thema Klimaschutz erst davor warnte, den Grünen hinterherzulaufen, es dann aber mit hohem Tempo plötzlich selber tat - allerdings erst, als es zu spät war. Das aber war ein Irrtum der Parteivorsitzenden Nahles.

Es fällt auf, dass Nahles nach Wahlniederlagen immer wieder alle Pfeile auf sich zieht. Sie spüre die Verantwortung und wolle ihr gerecht werden, hat sie nach der Schlappe vom Sonntag gesagt. Aber was ist eigentlich mit dem langweiligen Wahlkampf der Spitzenkandidatin Katarina Barley? Was ist mit den kollektivistischen Störmanövern des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert? Und was ist vor allem mit Olaf Scholz, der als Vizekanzler die Verantwortung für all die unheimlich raffinierten taktischen Tricks trägt, mit denen in der Regierung die Union vorgeführt werden soll und mit denen sich die SPD doch nur immer tiefer in den Keller schaufelt?

Auch jetzt ist es alleine Andrea Nahles, die sich infrage stellen lässt. Sie führt diese Personaldebatte gegen den Willen der restlichen SPD-Spitze. Nahles wird darauf achten müssen, den Eindruck zu vermeiden, sie lege es geradezu darauf an, endlich zu verlieren.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2019/bepe
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