Es ist, als ob sich für Andrea Nahles ein Kreis schließt. Wer hätte das gedacht nach dem Ende, das ihre politische Laufbahn am 3. Juni 2019 nahm? Es war ein Montag, Nahles war noch einmal ins Willy-Brandt-Haus gekommen, um sich in der Parteizentrale von ihren Leuten und in den Gremien zu verabschieden. Tags zuvor hatte sie ihren Rückzug vom Partei- und vom Fraktionsvorsitz bekannt gegeben. Sie war nach gerade einmal einem Jahr als Vorsitzende an sich und ihrer SPD gescheitert.
Beim Hinausgehen nahmen Nahles und eine schmale Frau vom Sicherheitsdienst sich in den Arm. Der Frau war es ein Anliegen, Nahles noch einmal Danke zu sagen - für den Mindestlohn, der dafür sorgte, dass die Angestellte besser verdient. Schon als Arbeitsministerin hatte Nahles für die Einführung der Lohnuntergrenze gekämpft. An diesem Junitag, im Moment ihrer größten Niederlage, wurde ihre Politik ganz konkret.
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Jetzt, zweieinhalb Jahre später, steht Nahles die Rückkehr auf die große Bühne bevor. Sie soll Chefin der Bundesagentur für Arbeit werden - und wird wieder mit dem Mindestlohn zu tun haben, der in diesem Jahr auf zwölf Euro steigen soll. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite der selbstverwalteten Behörde haben am Dienstag die Eckpunkte eines Personalpakets vorgestellt und schlagen Nahles darin für das Amt vor. Ein Beschluss des Verwaltungsrates steht noch aus, auch die Bundesregierung muss noch zustimmen. Aber die wird mittlerweile vom Parteikollegen Olaf Scholz angeführt.
Scholz und Nahles traten einmal als Team auf, wollten die SPD zusammen ins Kanzleramt führen. Sie als SPD-Chefin vom Willy-Brandt-Haus aus, er als Vizekanzler und vom Finanzministerium aus. Das war der Plan nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 2017. Dann aber blieben auch bei Landtagswahlen und der Europawahl die SPD-Erfolge aus. Und mancher Genossen schämte sich für Nahles' schnoddrige, mitunter alberne Auftritte. Ihr Wirken wurde teilweise von den eigenen Leuten sabotiert. Kurz bevor sie aufgab, hatte sie in einer denkwürdigen Sondersitzung der Fraktion die offene Feindseligkeit vieler Abgeordneter zu spüren bekommen. Die Verletzungen, die sich die Partei damals zufügte, wirken bis heute nach, denn die SPD hatte sich von ihrer hässlichsten Seite gezeigt. Nahles zog sich komplett aus der Politik zurück.
Scholz merkt sich, wer einmal an seiner Seite stand
Gut ein Jahr später wurde sie Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation mit Sitz in Bonn, die Behörde ist dem Finanzministerium nachgeordnet, das damals von Scholz geführt wurde.
Scholz merkt sich, wer einmal an seiner Seite stand, das haben die vergangenen Jahre gezeigt. Als die SPD nach Nahles' Scheitern eine Doppelspitze bekommen sollte, bewarb er sich mit der erfahrenen brandenburgischen Landespolitikerin Klara Geywitz für den SPD-Vorsitz. Er kennt Geywitz privat gut und schätzt sie. Sie scheiterten. Während Scholz im Sommer 2020 ein Comeback als Kanzlerkandidat erlebte, fand Geywitz beim Landesrechnungshof als Prüfgebietsleiterin einen neuen Job, doch ihre politischen Fähigkeiten wurden dort ebenso wenig abgerufen wie die von Andrea Nahles in Bonn. Als Scholz sein Bundeskabinett besetzte, holte er Geywitz als neue Bauministerin auf die Bühne zurück.
Auch um Nahles' Zukunft hat Scholz sich früh Gedanken gemacht. Bereits im vergangenen Sommer äußerte er im SZ-Interview, dass er sich über eine Rückkehr von Nahles in die Politik freuen würde. Nach dem Wahlsieg hieß es zunächst, sie könnte vielleicht wieder Bundesarbeitsministerin werden. Immerhin hatte sie sich in diesem Amt in den Jahren 2013 bis 2017 einen sehr guten Ruf als Fachpolitikerin erarbeitet und danach als SPD-Chefin die konzeptionelle Vorbereitung für ein Bürgergeld, das Hartz IV ablösen soll, geleistet.
Aber es wäre in Partei und Fraktion schwer zu vermitteln gewesen, wenn Hubertus Heil, der das Ministerium seit 2018 führt, für sie hätte weichen müssen. Als Machtmensch ist Nahles in der Partei durchaus weiterhin gefürchtet. Gleichzeitig wären viele in der SPD froh, wenn auch sie im Windschatten der Bundeswahlsieger wieder in die Spur zurückfindet, immerhin als Chefin der Bundesarbeitsagentur. Es käme einer späten Versöhnung gleich.