Naher Osten:Wut auf den Westen

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Der frühere Büroleiter von Al Jazeera in Deutschland, Aktham Suliman, analysiert die Lage im Irak und in den Nachbarländern. Es ist ein Blick von innen - aber vieles bleibt ungesagt.

Von Simon Wolfgang Fuchs

Aktham Suliman hat sich bewaffnet. Der syrisch-deutsche Journalist schwingt in seinem Abgesang auf den Nahen Osten behände die Keule der Ironie. Etwa gegen amerikanische Denkfabriken, die nach dem 11. September 2001 die Demokratisierung der islamischen Welt als den Königsweg zur Beendigung des Terrorismus vorgaben. Solch ein Politikwechsel wirke als Allheilmittel in der Region eben nicht nur gegen Fanatismus und Armut - sondern vermutlich auch gegen "Unkraut, Umweltverschmutzung, Haarausfall und Hämorrhoiden". Suliman spottet beißend darüber, mit welcher medialen Raffinesse politische Hoffnungsträger für Afghanistan oder Libyen messiasgleich auf der internationalen Bühne vorgeführt wurden: "Die Zeit der Wunder ist, zumindest wenn sie sich der Westen tatkräftig zurückwünscht, noch nicht vorbei."

Den ersten Golfkrieg sieht der einstige Al-Dschasira-Journalist als Auslöser von allem Übel

Jedoch können diese zynischen Einwürfe nicht verdecken, dass der ehemalige Büroleiter des arabischen Satellitensenders Al Jazeera in Deutschland vor allem ratlos und bestürzt ist. Und das bereits seit Herbst 1990. Damals, als Zwanzigjähriger frisch in der Bundesrepublik zum Studium angekommen, empfand er Machtlosigkeit angesichts des heraufziehenden ersten Golfkrieges. Es ist dieser Konflikt, den Suliman als wahren Schuldigen für die heutige Situation, für Krieg und Chaos in Nahost, ausmacht. Bei der internationalen Intervention zur Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung im Frühjahr 1991 habe es sich nur um den ersten Akt eines heimlichen und bis heute andauernden "Dritten Weltkrieges" gehandelt. Der Westen und allen voran die USA hätten handfeste geostrategische Interessen im Blick gehabt und wollten gleichzeitig Russland schwächen. Empfindlich getroffen habe freilich alle Einmischung in erster Linie die arabische Zivilbevölkerung: Erst die gegen den Irak verhängten, umfassenden Sanktionen hätten diesen im Laufe der 90er-Jahre in einen "failed state" verwandelt. Das Land konnte seine Kinder nicht mehr ernähren, sah sich mit einer zunehmend wertlosen Währung konfrontiert und verlor seine besten Köpfe durch Abwanderung.

Der Irak war in Sulimans Darstellung dabei nicht irgendein Akteur, sondern - gemeinsam mit Syrien und Libyen - einstmals ein arabischer Vorzeigestaat, ein Bollwerk von "weltlichen, progressiven und zukunftsorientierten Ideologien". Alle diese politisch-gesellschaftlichen Überzeugungen, egal ob sozialistisch angehaucht oder am arabischen Nationalismus ausgerichtet, hätten in den vergangenen 25 Jahren im gesamten Nahen Osten mehr und mehr an Boden verloren. Suliman erkennt seine eigene Herkunftsregion nicht mehr wieder. Nach dem Krieg gegen den Terror und dem Arabischen Frühling habe heute von Nordafrika bis nach Mesopotamien allein der politische Islam das Sagen. Der Westen liege grundfalsch dabei, diese Entwicklung noch weiter zu befeuern und der Mär von gemäßigten Islamisten auf den Leim zu gehen. Die Revolutionen in Ägypten und Tunesien hätten lediglich "Fata-Morgana-Demokratien" hervorgebracht. Dort seien politische Systeme entstanden, die ohne Religionsfreiheit, Minderheitenschutz, Bildung, Arbeitsplätze und Geschlechtergleichheit auszukommen glauben und sich lediglich ein parlamentarisches Mäntelchen umhingen.

Sulimans Hoffnungslosigkeit und Zynismus werden in den persönlichen Passagen des Buches verständlich. Diese schildern das tragische Schicksal dreier enger Freunde und Kollegen, die im Irak als Journalisten gewaltsam zu Tode kamen. Beschossen von einem US-amerikanischen Hubschrauber, entführt von islamistischen Gruppen, getroffen bei Filmaufnahmen im Kugelhagel. Schockiert berichtet Suliman, der von 2003 bis 2004 selbst aus dem Irak für Al Jazeera berichtete, von einer Szene, die ihm den Irrwitz der alltäglichen Gewalt im "neuen Irak" vor Augen führte. In Panik geratene amerikanische Soldaten hatten "versehentlich" zehn irakische Polizisten getötet, die ihnen eigentlich nach einem Anschlag zu Hilfe geeilt waren. Vom Ort der Explosion berichtend entdeckt Suliman ein gut sichtbares Stück heller menschlicher Hirnmasse auf dem dunklen Asphalt. Trotz aller Routine lähmt ihn dieser Anblick. Ein etwa zwölfjähriger Junge greift indes unbekümmert zu einem Stock und wendet das Stück toten Gehirns auf die blutige Seite. Er erklärt, den Reportern damit zu besseren Aufnahmen verhelfen zu wollen. An bewegenden Stellen wie dieser vermittelt der Autor eine packende Sicht des Krieges aus der Perspektive eines Augenzeugen und Medienschaffenden. Offen erzählt er davon, wie das Eilen zu Explosionen und Attentaten für ihn und seine aus dem Irak berichtenden Kollegen fast schon zum Pawlow'schen Reflex gerät.

Aktham Suliman: Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht. Nomen-Verlag Frankfurt a. M. 2017. 232 Seiten, 17,90 Euro. (Foto: nomen)

Die Probleme liegen aber tiefer, der Autor hantiert oft allzu selektiv mit der Geschichte

Suliman rechnet zudem deutlich mit seinem ehemaligen Arbeitgeber Al Jazeera ab, den er 2012 unter Protest verlassen hat. Der Sender habe sein einstiges Markenzeichen der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit gänzlich aufgegeben und sei zu einem reinen Sprachrohr des Emirates Katar verkommen. Al Jazeera habe sich seit 2011 in eine Fernsehstation verwandelt, die westliche militärische Interventionen "plakativ als humanitär ansieht, fordert und propagiert". Im Falle Syriens habe der Sender mitgeholfen, die Illusion der Freien Syrischen Armee als Sammelbecken von Deserteuren zu erfinden - in Wahrheit seien aber von Anfang an Dschihadisten gegen die Regierung von Baschar al-Assad vorgegangen.

Gerade letzte, hochgradig problematische Bemerkung zeigt auf, wo die blinden Flecken des Buches liegen. Suliman sieht die Länder des Nahen Ostens - mit der Ausnahme von Saudi-Arabien und einigen anderen, pro-westlichen Golfstaaten - in erster Linie als Opfer finsterer Machenschaften Europas und der USA. Westliche Medien und selbst Universitäten erscheinen in diesem Buch gleichgeschaltet und darauf bedacht, stark ideologisch gefärbte Ansichten wie den von Samuel Huntington propagierten und berüchtigten "Kampf der Kulturen" unhinterfragt zu verbreiten. In seinem nachvollziehbaren Sehnen nach einer säkularen Ordnung, wie sie beispielsweise immer noch die in Syrien regierende Baath-Partei verkörpert, ist Suliman bereit, selektiv mit der Geschichte zu hantieren. Das Erstarken des Islamismus lässt sich eben nicht bequem an der irakischen Niederlage von 1991 festmachen. Skrupellose Repression einerseits und bewusste Manipulation von Religion durch "weltliche" (und gar "progressive") autoritäre Herrscher andererseits bereiteten der Politisierung des Islam schon Jahrzehnte vorher den Boden, sei es in Ägypten, in Syrien oder im Irak. Dem Islamismus allein ein Entstehen aus einem "ideologischen Vakuum" zuzuschreiben, greift zu kurz und verkennt die zwingende Macht von dessen Ideen. Interne Rivalitäten und das Streben um Vorherrschaft in der Region, manifestiert beispielsweise in der iranischen Revolution und ihrer Strahlkraft im Nahen Osten, kommen in Sulimans Darstellung praktisch nicht vor. Stattdessen bietet das Buch über weite Strecken wenig Neues. Der Autor handelt bekannte Aspekte wie die Diskussion um die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak und die von den USA unterstellte Al-Qaida-Verbindung als konstruierten Kriegsgrund 2003 solide ab. Ausführlich widmet er sich der anti-muslimischen Hysterie westlicher Gesellschaften nach dem 11. September und zeichnet den chaotischen Verlauf des Arabischen Frühlings verständlich nach. Das alles ist durchaus lesenswert. Eine dezidiert erkenntnisreiche arabische Sicht ist es freilich nicht.

Simon Wolfgang Fuchs ist Akademischer Rat am Orientalischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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