Süddeutsche Zeitung

Naher Osten:Minarett statt Minirock

In der arabischen Welt ist die Religion allgegenwärtig, nicht nur bei Muslimen. Vor 50 Jahren war das noch ganz anders. 1967 war ein Schicksalsjahr.

Von Sonja Zekri

Ein VW-Käfer, ein Zopf, drei Miniröcke - und dazu dieses lässige Selbstbewusstsein, diese Tragik der arabischen Frauen. Das alles passt auf das Bild aus dem Irak der 1960er-Jahre. Die Studentinnen besuchen damals eine Hochschule in Bagdad, an der heute so gut wie alle Frauen verschleiert sind, so wie in der ganzen Stadt, im ganzen Land, so wie im ganzen arabischen Raum.

Ist das nun die Folge eines religiösen Erwachens? Eines Erwachens, das so augenfällig im Gegensatz steht zum Siechtum des christlichen Glaubens in Mittel- und Westeuropa? Waren die Menschen im Nahen Osten vor 40, 50 Jahren also weniger religiös? Nun, sie waren es in jedem Fall weniger demonstrativ. Religion war in vielerlei Hinsicht Privatsache, die Konfession ebenfalls. Menschen im Irak oder in Syrien konnten jahrzehntelang nebeneinander leben, ohne zu wissen, ob der Nachbar Sunnit oder Schiit war. Diesen religiösen Nippes, etwa den Gebetsruf als Klingelton, diese Durchdringung des Alltags mit religiösen Gesten und Bekenntnissen, blockierten Gehwegen zur Gebetszeit, dem zur Schau gestellten - oft künstlich hergestellten - Gebetsmal auf der Stirn, das alles gab es noch nicht.

Es geht dabei nicht nur um die Muslime. Die Christen des Nahen Ostens präsentieren die alten und neuen Ausdrucksform ihrer Religion mit trotzigem Stolz, die wandhohen Marienbilder, die tätowierten Kreuze am ganzen Körper, die Pilgerreisen, die christlichen Exil-Sender. Das bedeutet nicht, dass es im Nahen Osten keine Atheisten oder Agnostiker gibt. Nur ist es schwierig, mancherorts sogar gefährlich, sich zur Gottlosigkeit zu bekennen.

Wie wäre die Entwicklung wohl verlaufen, wenn Napoleon nie in Ägypten gelandet wäre? Oder wenn Saudi-Arabien nie Öl gefunden hätte? Der erste intensive Kontakt mit dem Westen nämlich, die Ankunft der Franzosen und ihrer Wissenschaftler, die am Nil Ballons aufsteigen ließen und chemische Experimente vollführten, warf eine quälende Frage auf: Wenn der Islam die bessere Religion ist - warum ist der Westen den Muslimen dann technisch und militärisch überlegen? Die Antwort einiger Reformer klang anfangs einleuchtend, führte die Region aber im Laufe der Zeit nur tiefer in die Stagnation: Weil wir dem Islam nicht gerecht werden, weil wir zurückfinden müssen zum wahren Islam. So oder so ähnlich formulierten es auch die Islamisten des 20. Jahrhunderts, etwa die ägyptischen Muslimbrüder, Ur- und Dachorganisation fast aller islamistischen Strömungen der Region. Korrupte Könige, Fremdherrschaft, Armut und Analphabetismus schwächten die islamische Gemeinschaft, die Umma. Als sich die Völker der Region gegen die Kolonialherren und die monarchistischen Statthalter des Westens erhoben, reihten sich auch die Islamisten in den Kampf ein. Gegenüber den nationalen Befreiungsbewegungen, den arabischen Ideologen der quasi-sozialistischen Baath-Partei etwa, waren sie ideologisch allerdings kaum konkurrenzfähig. Die Vierziger, Fünfziger, Sechziger waren schwierige Jahre, voller Putsche und Kriege. Aber sie brachten auch zukunftstrunkene Fotos hervor, wie jenes der irakischen Studentinnen oder andere, auf denen Frauen Minirock und Kopftuch trugen, in der Hand eine Zigarette. Es herrschte ein Klima des Aufbruchs und der Selbstermächtigung, wie es Jahrzehnte später im Arabischen Frühling aufblitzte. Und verschwand.

Ohne das saudische Öl wäre vieles wohl anders verlaufen

Dazwischen lagen Jahrzehnte, in denen die Religiösen an Boden gewannen, anfangs kaum wahrnehmbar und von den neuen Militärherrschern in Kairo, Bagdad, Damaskus oder Tripolis mal bekämpft, mal umworben, dann scheinbar unaufhaltsam. Ein Schicksalsjahr war zweifellos 1967, als die Niederlage Ägyptens im Sechs-Tage-Krieg gegen Israel nicht nur dem Präsidenten und Populisten Gamal Abdel Nasser das Rückgrat brach, sondern den Panarabismus als säkulare, identitätsstiftende Utopie von der Gemeinschaft aller Araber gleich mit erledigte.

Langfristig mindestens ebenso folgenschwer aber war das saudische Öl. So heikel historische Konjunktive sind, es spricht vieles dafür, dass die Geschichte der islamischen Welt anders verlaufen wäre, wenn auf der arabischen Halbinsel nie Öl gefunden worden wäre. Denn die Araber am Golf finanzierten die Ausbreitung ihrer Steinzeitauslegung des Islam, den Wahabismus, mit märchenhaften Summen. Sie bauten Moscheen in Zentralasien, finanzierten Koranschulen in Pakistan, förderten Beton-Islamisten im Nahen Osten. Millionen Ägypter, Jemeniten, Iraker wiederum arbeiteten am Golf - viele trugen den konservativen Islam zurück in ihre Heimat. Öffentliches Beten, Kopftuch, eine religiös getränkte Sprache, was einst eine Sache zwischen dem Menschen und Gott war, galt plötzlich als Frage der Identität. Oft aber ist es nur der Wunsch, sozial nicht aufzufallen.

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SZ vom 20.08.2016
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