Naher Osten:Der Prinz und die Kernkraft

Naher Osten: Ein Mann der entschlossenen Schritte: Der saudische Kronprinz, Vizepremier und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, hier bei einem London-Besuch vorvergangene Woche, setzt auf die Überzeugungskraft des Urans.

Ein Mann der entschlossenen Schritte: Der saudische Kronprinz, Vizepremier und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, hier bei einem London-Besuch vorvergangene Woche, setzt auf die Überzeugungskraft des Urans.

(Foto: AFP)
  • Bei der Stadt Ruwais im Emirat Abu Dhabi wird das erste kommerzielle Atomkraftwerk in einem arabischen Land gebaut.
  • In den kommenden Jahren steht der Region ein nuklearer Boom bevor - Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien haben konkrete Pläne.
  • Zugleich wächst die Sorge, dass Nukleartechnik nicht nur für die Stromerzeugung gefragt ist, sondern dass damit Interesse an militärischer Nutzung einhergeht.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Vier graue Betonkuppeln ragen in den blauen Himmel am Persischen Golf, etwa 50 Kilometer von der Stadt Ruwais im Emirat Abu Dhabi. Darunter verbergen sich die Reaktoren des Atomkraftwerks Barakah, das Südkorea dort errichtet. Noch in diesem Jahr soll der erste Block ans Netz gehen; es wird das erste kommerzielle Atomkraftwerk in einem arabischen Land sein und das zweite im gesamten Nahen Osten. Das erste läuft auf der anderen Seite des Golfs, im iranischen Buschir.

In den kommenden Jahren steht der Region ein nuklearer Boom bevor: In der Türkei haben die Bauarbeiten für vier Reaktor-Blöcke in Akkuyu am Mittelmeer begonnen, für vier weitere in Sinop am Schwarzen Meer sind die Aufträge vergeben. Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien haben konkrete Pläne, Iran will zwei weitere Meiler in Buschir errichten. Zugleich wächst die Sorge, dass Nukleartechnik in der Region nicht nur für die Stromerzeugung gefragt ist, sondern dass damit Interesse an militärischer Nutzung einhergeht.

Ein Wettlauf um die Bombe in einer der instabilsten Regionen der Erde - seit Jahren warnen Experten und Diplomaten vor einem Domino-Effekt, sollte es einem Land gelingen, sich Atomwaffen zu verschaffen. Gemeint war immer Iran, denn die Islamische Republik hat neben dem Reaktor von Buschir Anlagen zur Urananreicherung gebaut, eine von zwei möglichen Methoden zur Gewinnung von spaltbarem Material für einen Atomsprengkopf. Dies zu verhindern war einer der wesentlichen Beweggründe für das Atomabkommen.

Nun aber rückt Saudi-Arabien verstärkt in den Blick. 16 Atommeiler sollen in den nächsten 30 Jahren im Königreich entstehen, das eine Million Barrel Öl pro Tag verbrennt, um seinen Strombedarf zu decken. Das Kabinett in Riad beschloss jüngst eine neue Nuklearpolitik, die sich explizit auf "friedliche Zwecke" beschränkt. Aufhorchen ließ wenig später Kronprinz Mohammed bin Salman, der dem US-Sender NBC sagte: "Saudi-Arabien will keine Atombombe besitzen, aber kein Zweifel, wenn Iran eine Atombombe baut, werden wir so schnell wie möglich nachziehen."

Zukunft des Atomabkommens mit Iran wird fraglicher

Seine Äußerung fällt in eine Zeit, in der die Zukunft des Atomabkommens mit Iran fraglicher ist denn je. US-Präsident Donald Trump hat den Europäern ein Ultimatum bis 12. Mai gesetzt, die nach seiner Ansicht gravierenden Schwachpunkte der Vereinbarung zu beheben. Deutschland, Frankreich und Großbritannien werden den anderen EU-Staaten an diesem Montag neue gezielte Sanktionen gegen das iranische Raketenprogramm und die Revolutionsgarden vorschlagen. Ob Trump sich damit aber davon abhalten lässt, aus dem Abkommen auszusteigen, ist offen.

Zugleich versucht Trump, dem US-Konzern Westinghouse das Geschäft mit den Saudis zu verschaffen - auch wenn die USA dabei auf Beschränkungen verzichten, die sie den Vereinigten Arabischen Emiraten noch abverlangt hatten. Um an US-Nukleartechnik zu kommen, müssen Länder ein Kooperationsabkommen unterzeichnen, nach der entsprechenden Passage des US-Atomenergiegesetzes "123-Vereinbarung" genannt. Die Emirate verzichteten darin nicht nur auf die Urananreicherung, sondern auch auf jegliche Wiederaufarbeitung, bei der Plutonium anfällt - der zweite mögliche Stoff für die Bombe.

Diese Klauseln wurden als "Goldstandard" bekannt und sollten möglichst bei allen Abkommen zur Anwendung kommen, um die Weiterverbreitung sensibler Technik zu verhindern. Unter Trumps Vorgänger Barack Obama waren daran Gespräche mit Riad gescheitert. Doch jetzt hat Saudi-Arabien die ersten beiden Reaktoren ausgeschrieben, will bis Jahresende das Projekt vergeben: Russland, China, Frankreich und Südkorea bieten darauf.

Die USA geraten ins Hintertreffen

Trump schickte jüngst seinen Energieminister Rick Perry nach London, um dort mit dem saudischen Kronprinzen zu reden. Eine geplante Indienreise musste Perry verschieben, aber Westinghouse ist nun offenbar wieder im Rennen. Insgesamt könnte es in Saudi-Arabien um 80 Milliarden Dollar gehen. Offen ist, ob der Kongress ein Abkommen ohne Goldstandard billigt - im Falle Vietnams, in dem die Obama-Regierung darauf verzichtete, hat er es 2014 getan.

Die Konkurrenz ist groß, und sie ist weniger wählerisch: Die vier Blöcke in der Türkei errichtet der russische Staatskonzern Atomstroiexport, als dessen Chef-Verkäufer Präsident Wladimir Putin fungiert. Auch in Ägypten kam er zum Zug für das Kraftwerk el-Dabaa, das ebenfalls vier Blöcke umfasst. In beiden Fällen sehen die Verträge vor, dass Russland über Jahrzehnte Brennstoff liefert und die abgebrannten Brennstäbe zurücknimmt. Aber weder Ankara noch Kairo waren bereit, Einschränkungen bei Anreicherung oder Wiederaufarbeitung zu akzeptieren - und Russland fragt nicht danach. Jordanien hat die Machbarkeitsstudie für sein Kraftwerk ebenfalls in Russland in Auftrag gegeben.

Diese Verträge sichern Moskau Einfluss, zumal es den Großteil der Finanzierung stemmt. Die USA, lange der bevorzugte Partner in Ankara, Kairo und Amman, geraten ins Hintertreffen. Auch Riad arbeitet in Energiefragen mit Putin zusammen - so bei der Stabilisierung der Ölpreise. Letztlich richtet sich dieses Arrangement gegen die Schieferöl-Produzenten in den USA. Schwer vorstellbar, dass Trump nicht alles tut, um mit den Saudis ins Geschäft zu kommen, die er neben Israel als engste Verbündete in der Region sieht.

Anders als die Türkei und Ägypten hat Saudi-Arabien keine über Jahrzehnte aufgebaute nukleare Infrastruktur mit Forschungsreaktoren und Labors, die Keimzelle für ein Waffenprogramm werden könnten. Es hat den Atomwaffensperrvertrag und andere Vereinbarungen unterzeichnet, die internationale Kontrolle gewährleisten. Aber es ist wohl auch nicht darauf angewiesen, sein ziviles Programm für militärische Zwecke zu missbrauchen.

Nach Ansicht westlicher Geheimdienste hat Riad maßgeblich das pakistanische Atomwaffenprogramm finanziert - geknüpft an die Erwartung, im Ernstfall einsatzbereite Sprengköpfe erhalten zu können. Die strategischen Raketenstreitkräfte Saudi-Arabiens verfügen über Trägerraketen aus chinesischer Produktion, die Atomsprengköpfe tragen können. Damit stünde Riad eine Abkürzung zur Bombe offen.

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