Naher Osten:Abschied nach 22 Jahren

Naher Osten: Hebron ist die einzige Stadt im Westjordanland, in der rund 800 Siedler inmitten von 200 000 Palästinensern leben – im Bild ein israelischer Soldat.

Hebron ist die einzige Stadt im Westjordanland, in der rund 800 Siedler inmitten von 200 000 Palästinensern leben – im Bild ein israelischer Soldat.

(Foto: Hazem Bader/AFP)

Die internationale Beobachtermission in Hebron sollte zwischen Israelis und Palästinensern vermitteln. Jetzt muss sie ihre Arbeit einstellen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Hebron

Im Hauptquartier der internationalen Beobachtermission in der Dahiyyet-Al-Rame-Straße in Hebron ist neben dem Eingang das Schild abmontiert, die rote Fahne mit dem Schriftzug TIPH für Temporäre Internationale Präsenz in Hebron wurde abgenommen. Die Fahrzeuge sind schlicht weiß, die Aufschriften übermalt. Die bisherige Telefonnummer funktioniert nicht mehr, auch das Kontaktformular kann auf der Website nicht mehr ausgefüllt werden.

Die israelische Seite hat in den vergangenen Monaten die Mission immer schärfer kritisiert

Nach 22 Jahren haben die verbliebenen 64 Beobachter, die aus der Schweiz, Schweden, Norwegen, Italien und der Türkei entsandt wurden, ihre Arbeit eingestellt. Nun sind sie mit Kofferpacken beschäftigt, in den nächsten Wochen müssen sie die Heimreise antreten. Die Entscheidung kam "letztlich völlig überraschend", wie ein Mann kurz angebunden erklärt. Mit Journalisten dürfen sie eigentlich nicht reden.

Von israelischer Seite gab es in den vergangenen Monaten immer stärkere Kritik an dieser Mission, die seit 1997 Zusammenstöße zwischen Palästinensern und Israelis verhindern sollte. Die Beobachter patrouillierten zu Fuß in Westen mit TIPH-Schriftzug oder mit ihren gekennzeichneten Fahrzeugen durch die Straßen. Vor allem in der Altstadt kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Hebron ist die einzige Stadt im Westjordanland, in der rund 800 Siedler inmitten von 200 000 Palästinensern leben. Konflikte entzünden sich häufig im Zusammenhang mit dem Grab der Patriarchen, das in eine Synagoge und in die Ibrahim-Moschee geteilt ist.

Rechte Parteien und Siedlerorganisationen warfen den Beobachtern einseitige Parteinahme zugunsten der Palästinenser vor. Die Palästinenser wiederum hielten ihnen Untätigkeit vor, denn die unbewaffneten Beobachter konnten bei Konflikten nicht dazwischengehen und Verstöße nur dokumentieren, aber nicht ahnden. Über Vorfälle wurden Protokolle angefertigt - in den vergangenen zwanzig Jahren sollen es laut der Tageszeitung Haaretz 40 000 gewesen sein, Dutzende in den vergangenen Monaten. Veröffentlicht wurden die Berichte nicht, Konsequenzen gab es nach Wahrnehmung der Palästinenser keine.

Es gab aber auch auf Video dokumentierte Verfehlungen der Beobachter. Ein Schweizer soll einen zehnjährigen jüdischen Jungen geohrfeigt und ein anderer die Reifen eines Autos von Siedlern beschädigt haben. Drei Tage vor Ablauf der alle sechs Monate anstehenden Mandatsverlängerung verkündete Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nun, dass die Mission zum 31. Januar nicht mehr genehmigt werde. "Wir werden den weiteren Einsatz einer internationalen Kraft, die gegen uns agiert, nicht erlauben", sagte er.

Ermöglicht wurde die Mission durch die Oslo-Verträge. Entsandt wurden die Beobachter nach der Ermordung von 29 Palästinensern durch den jüdischen Siedler Baruch Goldstein 1994 in Hebron. Bezug nehmend darauf nennt der Vizebürgermeister von Hebron, Youssef Jabari, die Entscheidung Netanjahus gefährlich. "Das Massaker ist der Grund, warum die Beobachter hier sind. Die Menschen befürchten, dass wieder so etwas passieren kann, wenn die Beobachter weg sind." Seiner Ansicht nach hat die Wahl in Israel am 9. April mit Netanjahus Entscheidung zu tun. Er wolle Stimmen am rechten Rand wie jene der Siedler in Hebron für sich gewinnen. Der zweite Grund, erklärt Jabari in seinem Büro im Rathaus, sei die Dokumentation von Verstößen durch Siedler und die rund 2000 israelischen Einsatzkräfte. Wenn die Beobachter nicht mehr vor Ort seien, würden Übergriffe nicht mehr festgehalten.

Kinder aus der Cordoba-Schule, die so wie drei andere palästinensische Schulen im vorwiegend von Juden bewohnten Altstadtviertel liegt, berichten von Angriffen mit Hunden, die jüdische Siedler auf sie losließen. "Psychologisch war der Effekt der Begleitung durch die Beobachter sehr wichtig, weil sich die Kinder sicherer fühlten. Jetzt herrscht wieder Angst", erklärt Atef Aljamal, der Chef des Ministerbüros für Erziehung in Hebron.

Die Siedlerbewegung begrüßt dagegen den Abzug der Beobachter. Jishai Fleisher, der Sprecher der jüdischen Gemeinschaft in Hebron, erklärt, die Beobachter hätten "eine Atmosphäre des Konflikts geschaffen und nicht eine Friedensatmosphäre verbreitet". Juden und Palästinenser lebten in dieser Stadt seit Jahrhunderten. "Wir kennen einander und wir werden einen Weg finden, miteinander auszukommen, auch ohne die Hilfe von außen."

Die Juden, die in der Al-Shuhada-Straße vorübereilen, wo noch vergangene Woche die Beobachter ihre Runden gezogen haben, freuen sich über das Ende der Mission. "Ein Grund zum Feiern", sagt einer. Eine Frau meint schlicht: "Endlich." Ein anderer wirft den Beobachtern Einmischung und Angriffe gegen jüdisches Leben vor. Ein ultraorthodoxer Mann verweist darauf, dass es sich hier um jüdischen Boden handle, auf dem ausländische Kräfte nichts zu suchen hätten. "Das ist unser Land und das ist die Stadt unserer Vorfahren."

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