Nächtliche Straßenschlachten in der Türkei:"Wir wehren uns, bis wir gewinnen"

Demonstranten durchbrechen mit einem Bagger eine Polizeiabsperrung in Istanbul, die Polizei stürmt ein Einkaufszentrum in Ankara: In der Nacht ist es in mehreren türkischen Städten erneut zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften gekommen. EU und US-Regierung verurteilen die Härte der Polizeieinsätze.

Bei den Protesten gegen die türkische Regierung ist es in der Nacht wieder zu Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften gekommen. Im Istanbuler Stadtteil Beşiktaş setzte die Polizei Tränengas und Wasserwerfer gegen Tausende Demonstranten ein, berichteten Aktivisten und türkische Medien. In dem Stadtteil befindet sich auch ein Büro des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Menge rief: "Diktator, tritt zurück! Wir wehren uns, bis wir gewinnen."

Auch am frühen Montagmorgen gingen die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften weiter. Wie die Korrespondentin des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira aus Beşiktaş berichtete, durchbrachen Demonstranten mit einem Bagger und mehreren Lastwagen eine Polizeiabsperrung in Richtung der Regierungsbüros. Allerdings seien sie kurze Zeit später von einem massiven Aufgebot der Sicherheitskräfte zurückgedrängt worden. Mehrere Demonstranten seien durch Tränengasgranaten verletzt worden.

Der britischen BBC zufolge wurden Moscheen, Geschäfte und eine Universität als provisorische Krankenhäuser genutzt, um die Verletzten zu versorgen.

Zusammenstöße wurden auch aus anderen Bezirken der türkischen Metropole berichtet. Friedlich verliefen erneute Demonstrationen auf dem Taksim-Platz, nachdem sich die Polizei am Wochenende von dort zurückgezogen hatte. Die Protestwelle hatte sich an der gewaltsamen Räumung eines Protestlagers entzündet, mit dem die Zerstörung des Gezi-Parks am Rande des Taksim-Platzes verhindert werden sollte. Inzwischen richtete sie sich vor allem gegen einen als immer autoritärer empfundenen Kurs Erdogans und seiner islamisch-konservativen Partei AKP.

Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und der Polizei gab es auch in Ankara. In der türkischen Hauptstadt stürmte die Polizei ein Einkaufszentrum, in dem zahlreiche Demonstranten Schutz gesucht hatten. Wie al-Dschasira berichtete, ging die Polizei auch in Izmir, der drittgrößten türkischen Stadt, mit Wasserwerfern gegen Demonstranten vor.

EU verurteilt Vorgehen der Polizei

Die Härte der Polizeieinsätze wurde weltweit kritisiert. Im Internet kursierten zahlreiche Videos, auf denen friedliche Demonstranten von der Polizei misshandelt werden. Aktivisten berichteten auch, die Polizei habe auf kurze Distanz Tränengasgranaten auf die Körper der Demonstranten gefeuert und mehrere Menschen schwer verletzt.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton kritisierte den "unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt" durch die Polizei. Sie forderte in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung alle Seiten zur Zurückhaltung auf. "Ein Dialog sollte aufgenommen werden, um eine friedliche Lösung zu finden."

Ähnlich kritisch äußerte sich eine Sprecherin der US-Regierung. Friedliche Demonstrationen seien Ausdruck der Meinungsbildung in einer Demokratie, weshalb die USA von den türkischen Sicherheitskräften Zurückhaltung erwarteten, sagte die Sprecherin. Beide Seiten sollten sich für eine Beruhigung der Lage einsetzen und an einer Lösung des Konflikts arbeiten.

Bislang sollen bei den brutalen Einsätzen der Polizei bereits mehr als 1000 Menschen verletzt worden sein. Zudem gebe es Berichte über mindestens zwei Tote, teilte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Sonntag mit. Knapp 1000 Demonstranten wurden nach Angaben der Regierung festgenommen. Innenminister Muammer Güler sprach nach Berichten türkischer Medien von 90 Demonstrationen in 48 Provinzen des Landes.

Erdogan räumte Fehler beim Polizeieinsatz ein, will sich den Demonstranten aber nicht beugen. Zugleich wies er am Sonntag Kritik an seinem autoritären Regierungsstil zurück. "Wenn sie jemanden Diktator nennen, der ein Diener des Volkes ist, habe ich nichts mehr zu sagen", sagt er. Er griff die Demonstranten scharf an. Für Projekte müsse er nicht "einige Marodeure" um Erlaubnis fragen.

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