Nada-Video:Propaganda funktioniert nicht mehr mit Lügen

Die Geschichte von Nada al-Ahdal könnte durchaus stimmen. Auch wenn die einzigen Quellen bisher das Video und ein Interview mit Nadas Onkel Abdel Salam al-Ahdal sind, einem Fernsehtechniker in Sanaa, das die libanesische Nachrichtenwebseite Now geführt hat. Demnach lebte Nada seit ihrem dritten Lebensjahr bei ihrem Onkel. Bei einem Besuch bei ihren Eltern verschwand sie. Als er eine Anzeige wegen Kindesentführung aufgab, gestand Nadas Vater, dass sie das Mädchen einem erwachsenen Mann zur Frau versprochen hatten. Doch Nada kehrte zu ihrem Onkel zurück.

Die politische Dimension der Videos, die Memri übersetzt und verbreitet, ist der Filter, den die Organisation ansetzt. Bearbeitet werden in erster Linie extreme Stimmen und Fälle aus der islamischen Welt. Der Missbrauch von Kindern steht oft im Mittelpunkt. Im Januar übersetzte Memri das Interview mit dem saudi-arabischen Standesbeamten Ahmad al-Mu'Bi, einem grobschlächtigen Mann im Scheichgewand, der einem konsternierten libanesischen Interviewer auf die Frage, wann früh verheiratete Mädchen Sex haben sollten, erklärt, schon der Prophet habe die sechsjährige Aischa geheiratet und die Ehe mit ihr vollzogen, als sie neun war, das sei das Vorbild.

Wie schnell ein politisch motiviertes Online-Video viral gehen und die Debatten bestimmen kann, haben die vergangenen Jahre immer wieder gezeigt. Vor allem wenn es um den Missbrauch von Kindern geht, der stets berechtigte Empörung auslöst. Bis heute ist nicht geklärt, ob es israelische Kugeln waren, die im September 2000 den zwölfjährigen Palästinenserjungen Mohammed al-Durra töteten. Zum Symbol der Intifada wurde er trotzdem. Die Online-Kampagne gegen den Warlord Joseph Kony, der für seine Lord's Resistance Army im Norden Ugandas Kinder zwangsrekrutierte, führte sogar zu US-Militäraktionen.

Auch Jemen ist ein Kriegsschauplatz - nach Recherchen des amerikanischen Journalisten Jeremy Scahill eine von mehr als 70 Fronten im immer geheimeren Krieg der USA gegen den Terror. In den USA wird der ehemalige Präsident der Universität von Sanaa, Nasser al-Awlaki, vor ein Bundesgericht ziehen, um die Umstände zu klären, unter denen erst sein Sohn, der radikale Prediger Anwar, und dann sein Enkel, der politisch unbelastete 16-jährige Abdulrachman, von Drohnen getötet wurden. Beide waren US-Staatsbürger.

Scahills neues Buch "Dirty Wars" und die Verhandlungen werden den unerklärten Krieg in Jemen ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Es mag nur Zufall sein, aber es wird eine Debatte über ein Land sein, in dem die elfjährige Nada zwangsverheiratet werden sollte.

Update, 30. Juli 2013:

Nachdem Nadas Fall bekannt geworden war, sollen sich zwei Menschenrechtsgruppen dem Mädchen angenommen haben. Die Kinderrechtsorganisation Seyaj und die Yemeni Women Union (YWU) hätten nach Gesprächen mit der Elfjährigen und ihrer Familie bestätigt, dass die Geschichte erfunden wurde, berichtet der arabische Sender Al Dschasira berichtet auf seiner Internetseite.

Sie habe sich mit Nada und ihrem Onkel für gute fünf Stunden getroffen, erzählt die Vorsitzende der YWU, Ramzia al-Eryani, in einem Interview, das Al Dschasira ins Englische übersetzt hat. Laut der Menschenrechtlerin lebe Nada nun wieder bei ihren Eltern. Der Vorsitzende von Seyaj, Ahmad Algorashi, bestätigt, es habe ein Angebot für eine Heirat mit Nada gegeben habe. Er betont aber, dass die Eltern die Hochzeit abgelehnt haben.

Seyaj will außerdem herausgefunden haben, dass Nadas Onkel sie zu dem Video überredet habe. Er wolle sie berühmt und zum neuen Aushängeschild gegen Zwangsehen machen, so zitiert das in London herausgegebene, arabische Magazin The Majalla die Kinderrechtsorganisation. Das Magazin hat nach eigenen Angaben vom jemenitischen Innenministerium erfahren, dass Nada nie Anzeige gegen ihre Eltern erstattet habe. Die Elfjährige hatte das in ihrem Video behauptet.

Allerdings ist der Fall Nada nach wie vor voller Ungereimtheiten: Zwei Tage vor dem Bericht von Al Dschasira hat die BBC die YWU-Vorsitzende Al-Eryani mit der Aussage zitiert, Nadas Geschichte sei wahr.

Einigkeit besteht in dem verworrenen Vorfall nach wie vor nur darüber, dass Zwangsehen im Jemen ein großes Problem sind - ob nun Nadas Geschichte wahr ist oder nicht. "Das Problem, das wir im Jemen haben, ist der Mangel an Gesetzen, die Kinderheirat verbieten", so Menschenrechtlerin Al-Eryani bei Al Dschasira.

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