Nachträgliche Sicherungsverwahrung:Wegsperren, um das Volk zu beruhigen

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Experten halten wenig davon, gefährliche Straftäter in nachträglicher Sicherungsverwahrung hinter Gittern zu halten. Die Haft nach der Haft erwecke nur die Illusion von mehr Sicherheit.

J. Käppner

Der Mann hatte sein eigenes Kind zahlreiche Male missbraucht und gequält, 16 Jahre lang. Als die Polizei ihn schließlich abholte, war die Halbwüchsige von einst schon eine junge Frau, doch ihr Leidensweg setzte sich trotz der Verurteilung ihres Vaters 1998 fort. Der Vergewaltiger verbüßte in Baden-Württemberg eine lange Haftstrafe, er saß die vollen zwölf Jahre ab. Hinter Gittern stieß er Drohungen aus. Einem Beamten soll er gesagt haben: Wenn er nun hinauskomme, dann werde er es seiner Familie heimzahlen. Nachher beteuerte der Häftling, das sei nicht ernst gemeint gewesen; was die Staatsanwaltschaft aber nicht davon abhielt, die nachträgliche Sicherungsverwahrung zu beantragen.

In der Koalition ist ein Streit um die nachträgliche Sicherungsverwahrung entbrannt.  Auch Experten kritisieren die Möglichkeit, Straftäter nach verbüßter Haftstrafe auch dann im Gefängnis festhalten zu können, wenn im Urteil keine Sicherungsverwahrung angeordent war. (Foto: dpa)

Solche Fälle bilden den Hintergrund des Koalitionsstreits um das Wegsperren jener gefährlichen Straftäter, welche die eigentliche Haftstrafe bereits verbüßt haben. Besonders die CSU rebelliert gegen ein Konzept von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Den besonderen Zorn der Kritiker zieht der Plan der Ministerin auf sich, die nachträgliche Sicherungsverwahrung abzuschaffen. Diese erlaubt es seit 2004, einen Täter nach verbüßter Strafe auch dann im Gefängnis festzuhalten, wenn ursprünglich gar keine Verwahrung angeordnet wurde.

Kein Bestand vor dem EGMR

Obwohl das Ministerium dies bestreitet, sehen viele Experten in dem gescholtenen Entwurf auch eine Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (EGMR), das die deutsche Praxis des Wegschließens in einem anderen Fall erstmals für rechtswidrig erklärt hatte.

Im Streit um das Wegsperren haben die Hardliner aus der Union nicht nur die Liberalen, sondern viele Experten gegen sich. "Die nachträgliche Sicherungsverwahrung hat sich bereits überlebt", sagt Jörg Kinzig, Professor für Strafrecht in Tübingen, "sie ist schädlich und wird vor dem EGMR keinen Bestand haben." Davon geht auch Norbert Nedopil aus. Der Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie an der Münchner Universität glaubt überdies: "Wenn das Gericht bei dem Strafurteil die Gefahr, die von dem Täter ausgeht, richtig beurteilt, braucht man die nachträgliche Sicherungsverwahrung gar nicht." Das Gericht könne ja, wie im Entwurf Leutheusser-Schnarrenbergers vorgesehen, sich im Urteil die Möglichkeit vorbehalten, einen Täter in Haft zu behalten, wenn er erkennbar gefährlich bleibt. Nedopil ist überzeugt, dass Anträge, einen Täter im Nachhinein fortzusperren, häufig nur versuchen, Mängel im Strafurteil zu korrigieren.

Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes in Hannover und frühere Justizminister Niedersachsens, Christian Pfeiffer, bezeichnet die nachträgliche Sicherungsverwahrung als "Volksberuhigungsgesetz", das nur "die Illusion von mehr Sicherheit" wecken solle. Pfeiffer sagt: "Das Instrument ist untauglich. Es gibt doch kaum Fälle, auf die es passt." Auch er glaubt nicht, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung Bestand in Straßburg haben wird.

Übereinstimmend gehen die Experten davon aus, dass sie in Deutschland nur etwa zwanzig Mal mit Erfolg beantragt wurde. Ein Hauptargument der Kritiker: Die Prognose, was ein Mensch noch tun könnte, sei nie mit letzter Sicherheit zu treffen, die nachträgliche Sicherungsverwahrung treffe daher womöglich zu viele Unschuldige. Man dürfe eines nicht vergessen, sagt Kinzig: "Die Sicherungsverwahrung ist Haft für Taten, die gar nicht begangen wurden." Statt sie als allerletztes Mittel zu begreifen, habe der Staat sie ständig ausgeweitet - "als ob es möglich sei, jede Straftat durch neue Gesetze zu verhindern. Aber das ist eine reine Utopie".

"In der Praxis einfach nicht tauglich"

Für besonders wenig sinnvoll hält Kinzig den Vorschlag des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann, die Sicherungsverwahrung auf weit mehr Straftaten als bisher auszuweiten. Leutheusser-Schnarrenberger dagegen will sie auf Sexual- und Gewaltverbrechen beschränken. Kinzig gibt ihr recht: "Am Ende sind wir dort, dass wir Diebe und Betrüger als Wiederholungstäter auf unabsehbare Zeit im Gefängnis behalten und die großen Wirtschaftskriminellen nach einem Deal mit der Staatsanwaltschaft als freie Leute den Gerichtssaal verlassen."

Der Vergewaltiger aus Baden-Württemberg übrigens muss wohl nicht in Sicherungsverwahrung. Der Kriminologe Rudolf Egg und ein psychiatrischer Gutachter kamen zu dem Schluss: Gefährlich für die Angehörigen sei der Mann schon. Dennoch greife das Gesetz nicht. Es verlangt nämlich "neue Tatsachen", und Drohungen gegen die Familie seien keine, weil er solche zur Zeit des Urteils schon geäußert habe. Das Gesetz zum nachträglichen Wegsperren hat nichts genutzt. Egg sagt: "Es ist in der Praxis einfach nicht tauglich genug."

© SZ vom 12.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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