Nachruf:Vom Versuch, links zu leben

Nachruf: Erhard Eppler, geboren am 9. Dezember 1926, gestorben am 19. Oktober 2019. Diese Aufnahme zeigt ihn auf dem SPD-Parteitag im Jahr 2011.

Erhard Eppler, geboren am 9. Dezember 1926, gestorben am 19. Oktober 2019. Diese Aufnahme zeigt ihn auf dem SPD-Parteitag im Jahr 2011.

(Foto: Regina Schmeken)

Zum Tod des Sozialdemokraten Erhard Eppler. Er predigte Gerechtigkeit, trat schon früh für ökologisches Wirtschaften ein und war zwar kein Pazifist, aber ein begnadeter Friedenspolitiker.

Von Heribert Prantl

Er redete nicht nur von Ökologie, er lebte sie auch. Wenn man ihn in den vergangenen Jahren telefonisch zu erreichen versuchte, weil er der Süddeutschen Zeitung gerade wieder einen schönen Text geschickt hatte, dann hörte man von seiner Frau oft: "Mein Mann ist im Garten." Dort saß der gut Neunzigjährige nicht in der Hollywood-Schaukel; in so etwas hätte er sich nie gesetzt. Erhard Eppler hackte Kartoffeln, pflanzte Salat, jätete - und spann dabei seine Gedanken über die Zukunft der Sozialdemokratie und den richtigen Umgang mit Putin. Das war im großen Garten seines Elternhauses, in das er 1990 gezogen war. Dort, auf einem Hügel über Schwäbisch Hall, werkelte er bis in den späten Herbst hinein täglich stundenlang. Dem Besucher sagte er, durchaus stolz: "Die Kartoffeln, die ich anbaue, reichen bis Mitte Januar". Wenn er jemanden mochte, zeigte er sie auch gern her. Sie waren die Widerlegung des Satzes, dass die dümmsten Bauern die größten Kartoffeln haben.

Er war ein grüner Sozialdemokrat und er warb schon für ökologisches Wirtschaften, als die heutige Führung der Grünen noch in den Windeln lag. Er war kein politischer Macher wie Helmut Schmidt; Schmidt und Eppler mochten sich nicht. Er war ein politischer Denker und Prediger. Seine Predigten waren aber keine gefällige Salbaderei, sondern sprachgewaltige Weckrufe. Eppler konnte Parteitage überzeugen und Großdemonstrationen begeistern. Er war kein radikaler Pazifist, aber ein begnadeter Friedenspolitiker: 200 000 Menschen hörten ihm 1981 im Bonner Hofgarten, bei der Großdemonstration gegen die Nachrüstung, mit revolutionärer Andacht zu.

1968 wurde Eppler als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit in die von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger geführte Regierung berufen. Dieses Amt behielt er auch unter Kanzler Willy Brandt. Einer wie Helmut Schmidt konnte mit Eppler freilich gar nichts anfangen: Der Kanzler Schmidt protzte damit, den "Pietcong" - wie Herbert Wehner über Eppler spottete - 1974 aus dem Kabinett entfernt zu haben. Das stimmte so nicht. Eppler selbst hatte sein Amt zur Verfügung gestellt, weil er sich mit Schmidt über Haushaltsfragen nicht einigen konnte. Die politischen Prioritäten von Schmidt und Eppler waren zu unterschiedlich.

Eppler war ein schmächtiger, ja asketisch aussehender Mann. Äußerlich hatte Erhard Eppler mit Martin Luther wenig gemein; aber er hatte einen Furor und eine Sprachgewalt, die einen an den Reformator erinnern. Er war ein evangelischer Christ und ein demokratischer Sozialist, er war ein belesener, nachdenklicher Mensch, der auf das politische Denken der Bundesrepublik Einfluss hatte. Er war viele Jahre lang Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD - und solange er das war, merkte man das der SPD an. Er war das Gewissen seiner Partei, er war die Verkörperung der Nachhaltigkeit in der Politik. "Links leben" war der Titel seiner grandiosen Autobiografie, die er 2015 auf 336 Seiten publiziert hat. Er lebte das, was er von einem Politiker in seinen Büchern immer wieder verlangte: "Das Wichtigste ist Glaubwürdigkeit."

Mit dieser moralischen Autorität hat er 2003 entscheidend dazu beigetragen, dass Kanzler Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 in der Partei durchkam. Ganz wohl war Eppler deswegen später nicht. Er warf sich vor, die Einzelheiten der Agenda nicht gut genug gekannt zu haben, als er sie durchzusetzen half. So etwas war eigentlich untypisch für ihn: Seine Spezialität war es, den Dingen auf den Grund zu gehen, bis er ihn fand. Eine Podiumsdiskussion mit ihm zu moderieren, war daher keine ganz einfache Sache. Er wusste, was er unbedingt sagen wollte - und er sagte es, auch wenn man gar nicht danach fragte. Der erste Eindruck über ihn war daher: Mit dem Mann ist nicht gut Kirschen essen. Aber das stimmte nicht. Er wollte freilich die Kirschen nicht nur essen, er wollte auch darlegen, wie man sie anbaut.

Ein nachdenklicher Patriot und ein Sozialdemokrat alter Schule

Wenn Erhard Eppler eine SPD-Kommission leitete, konnte man sicher sein: Da wird akribisch gearbeitet. Er tat das mit Klugheit, Fleiß, Bescheidenheit und der besessenen Akribie, wie sie den Schwaben oft eigen ist. Wer ihn zum Vorsitzenden einer Kommission wählt, so hat Erhard Eppler einmal gesagt, der müsse wissen, wen er wählt - und dann hat er sich selbst beschrieben: Er sei einer, "der viel von Karl Marx gelernt hat, der aber versucht, vom Neuen Testament her zu leben, zu denken und zu handeln". Deshalb war er nicht nur ein wichtiger Mann in der SPD, sondern, zumal in den Zeiten, in denen er in der SPD nicht so gelitten war, ein prägender Mann in der Evangelischen Kirche, er war zweimal Kirchentagspräsident, von 1981 bis 1983 und von 1989 bis 1991: ein Mann auf der Suche nach Gerechtigkeit.

Er war das vierte von sieben Kindern eines Oberstudiendirektors aus Ulm, gelernter Philologe. Seine Mutter stammte aus einem protestantischen schwäbischen Pfarrhaus. "Der Aufbegehrende und der Verzweifelnde als Heldenfiguren der Elisabethanischen Tragödie" war der Titel seiner Doktorarbeit. Er passt auch zu seinem eigenen Leben. Greta Thunberg und der Bewegung "Fridays for future" stand Eppler so nahe, wie Heiner Geißler in seinen letzten Lebensjahren der globalisierungskritischen Bewegung "Attac" nahe stand.

Erhard Eppler war in der SPD das protestantische Pendant zum Katholiken Hans-Jochen Vogel. Beide sind 1926 geboren, beide gehören zum letzten Rest der Kriegsjahrgänge; Eppler war erst Flakhelfer, dann im Reichsarbeitsdienst, dann im Heer an der Front in Russland. Die Kriegserfahrung ließ sie in den vergangenen Jahren dafür werben, Russland nicht aus Europa zu verbannen. Adenauers Wiederaufrüstungspolitik hatte den jungen Eppler "fassungslos" gemacht und ihn in die Politik getrieben. Er schloss sich zunächst der Gesamtdeutschen Volkspartei des Gustav Heinemann an und wurde dann, wie dieser, Sozialdemokrat.

Eppler war kein Ehrgeizling; er war ein nachdenklicher, idealistischer linker Patriot, Sozialdemokrat alter Schule. Ein Star der Talkshows wurde er deshalb nicht. Das Gegockel vor Mikrofonen und Kameras war ihm zu albern. In vielen Büchern und Texten hat er den Marktradikalismus beklagt und den starken sozialen Staat gefordert. In der Bibel heißen Leute wie er Propheten. Wenn Habgier triumphierte, redeten sie der Gerechtigkeit das Wort. Das hat Erhard Eppler stets getan.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: