Nachruf:Karlsruher Instanz

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"Schreibend denken, denkend schreiben": Rolf Lamprecht arbeitete bis zuletzt. (Foto: privat)

Der Rechtsjournalist Rolf Lamprecht war "über viele Jahrzehnte das Maß aller Dinge in der Bundesrepublik", wie der Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle einst sagte. Nun ist Lamprecht im Alter von 91 Jahren gestorben.

Von Helmut Kerscher, Karlsruhe

"Schreiben geht immer", antwortete Rolf Lamprecht im November auf warme Worte über zwei seiner schmissigen Rezensionen im "Politischen Buch" der Süddeutschen Zeitung. Schon länger war er wegen eines Augenleidens auf technische Hilfen beim Lesen angewiesen, aber Schreiben - kein Problem! Mehr noch: Schreiben sei Teil seiner geistigen Existenz, es fasziniere ihn "schreibend denken, denkend schreiben", schrieb (!) Lamprecht einmal. Dazu hatte er eine Fülle von Zitaten zum Schreibprozess parat, von Montaigne bis Max Frisch und Philip Roth.

Erst Ende Februar musste der seit seiner Jugend begeistert und begeisternd schreibende Journalist "die weiße Fahne hissen", weil ihn mit nun 91 Jahren die Lektüre eines 500-Seiten-Buchs überfordere. Der Verzicht fiel dem früheren Spiegel-Korrespondenten in Karlsruhe, Buchautor und langjährigen SZ-Mitarbeiter unendlich schwer. Am Donnerstag ist Lamprecht in seinem Zuhause im badischen Neusatz gestorben.

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Er musste noch die Bilder von den zerstörten Städten der Ukraine erleben, die ihn an die Ruinen seiner Heimatstadt Berlin erinnerten. Dort hatte Lamprecht seine pazifistische Grundhaltung, seine kritische Liberalität, seinen Witz und seine bilder- wie pointenreiche Sprache entwickelt. Gewalt in jeder Form blieb ihm ein Gräuel, den Diskurs mit Andersdenkenden genoss er. Für ihn und für die politische Kultur war es ein Glücksfall, dass die von Rudolf Augstein verfügte Suche nach einem Korrespondenten in Karlsruhe auf den scharfsinnigen, arbeitsfreudigen Lamprecht fiel.

Der war nach einem Studium an der Deutschen Hochschule für Politik und nach Stationen bei Berliner Tageszeitungen in den Sechzigerjahren zur neuen Satirezeitschrift Pardon in Frankfurt gegangen. Als Vize-Chef arbeitete er mit Legenden wie Robert Gernhardt, Chlodwig Poth, F. K. Waechter oder Gerhard Kromschröder. Letzterer gewann ihn noch im Herbst für einen Katalog zu einer Pardon-Ausstellung.

Rechtsstaat und Bürgerrechte waren seine Domäne

Seine Bestimmung fand der vielseitige Lamprecht 1968 als Beobachter des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der Bundesanwaltschaft. Als Gründungs- und Ehrenvorsitzender der Justizpressekonferenz wurde er zu einer Instanz eigener Art, zu einem Vorbild für Journalisten. Fast ein halbes Jahrhundert lang schrieb er zahlreiche Texte, Interviews und Essays über "Karlsruhe". Seine zentralen Anliegen "Rechtsstaat, Transparenz, Bürgerrechte" bündelte er 1992 in einer Dissertation über die "Abweichende Meinung" beim Bundesverfassungsgericht. Ein Urteil sei kein Akt höherer Gerechtigkeit, sondern die Problemlösung eines Falles, bestimmt "vom Zeitgeist oder von der Biographie einer Richtermehrheit". Mit seinen Büchern wurde der Justizkritiker auch ein gefragter Redner. Achtzigjährig erlebte er in Berlin die Präsentation seines Buchs "Ich gehe bis nach Karlsruhe", einer Geschichte des Bundesverfassungsgerichts. Dessen Präsident Andreas Voßkuhle sagte damals, Lamprecht sei "als Rechtsjournalist über viele Jahrzehnte das Maß aller Dinge in der Bundesrepublik" gewesen.

Rolf Lamprecht hätte Ende April mit seiner Frau Eva, den drei Töchtern und deren Familien den 70. Hochzeitstag feiern können.

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