Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe genießt Weltruf. Das ist vielen Menschen in Deutschland bewusst, und man ist zu Recht stolz darauf. Dass auch ein einzelner deutscher Jurist, ein Rechtsgelehrter, Weltruf genießt – das weiß hierzulande kaum jemand. Der deutsche Universalgelehrte heißt, er hieß Peter Häberle. Er ist am Montagmorgen im Alter von 91 Jahren in München verstorben.
Häberle war ein juristischer Superstar. Die Universitäten in Granada, Madrid und Brasilia haben juristische Institute nach ihm benannt, die Verfassungsgerichte in Rom und in Lima zeichneten ihn mit ihrer Ehrenmedaille aus, die Republik Italien machte ihn zu ihrem Ehrenoffizier, die höchsten Gerichte in Lateinamerika haben ihn fortlaufend zitiert und seine Begriffsschöpfungen übernommen. Er hat eine „menschheitliche“ Verfassungslehre konzipiert und ein „Menschenrecht auf Kultur“ postuliert. Als erster ausländischer Staatsrechtslehrer wurde er in die italienische Staatsrechtslehrervereinigung gewählt – in geheimer Abstimmung, einstimmig. Er begleitete die Entwicklung neuer Verfassungen in Albanien, Polen, Estland und der Ukraine.
Das Plagiat von Guttenberg war für ihn eine Katastrophe
Seine Lehren werden von Verfassungsgerichten in Europa, Japan und Lateinamerika fast mit Ehrfurcht zitiert. Aber in Deutschland kennt man ihn, wenn überhaupt, vor allem als Doktorvater von Karl-Theodor zu Guttenberg an der Universität Bayreuth. Häberle hat sich nach der Aufdeckung des Plagiats, das am 1. März 2011 zum Rücktritt des damaligen CSU-Verteidigungsministers von all seinen Ämtern führte, längere Zeit beschämt vor der Öffentlichkeit versteckt.
Häberle war ein Adam Riese des internationalen Rechts; dass einem „seiner“ Leute, einem aus seiner universitären Familie, schon die Grundrechenarten des wissenschaftlichen Arbeitens egal sein könnten (und dass er das, wohl geblendet vom blendenden Auftritt Guttenbergs nicht bemerkt), das war für ihn unvorstellbar. Daher hatte er die ersten Vorwürfe gegen seinen Doktoranden noch als „absurd“ zurückgewiesen. Als das Plagiat dann aber schwarz auf weiß feststand, war das für ihn eine Katastrophe – eine Demütigung, eine Beleidigung seines Lebenswerkes. Guttenberg bat ihn in einem Schreiben um Entschuldigung, für das „Ungemach“, das er über ihn gebracht habe. Die „Causa Guttenberg“ blieb Häberles Lebenstrauma.
Er war viel mehr als dieser Doktorvater. Er war, so Andreas Vosskuhle, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der einst bei ihm Jura studierte, „einer der fünf größten Staatsrechtslehrer nach dem Zweiten Weltkrieg“. Häberle, in Göppingen als Sohn eines Mediziner-Ehepaars in einem hochmusikalischen Elternhaus geboren, war schon in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts ein Wunderkind des deutschen Rechts. Seine Dissertation über die „Wesensgehaltsgarantie“ des Grundgesetzes („In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden“) war in Fachkreisen eine Sensation. Seine Habilitation über das „Öffentliche Interesse“ galt und gilt als juristische Offenbarung.
Seine späteren Arbeiten sind dann nicht mehr rechtsdogmatisch, sondern kulturwissenschaftlich geprägt. Da rümpfen klassische Juristen die Nase; aber zumal in der lateinamerikanischen Welt ist er damit zur Berühmtheit aufgestiegen. Er schrieb über Nationalhymnen und Nationalflaggen als bürgerdemokratische Identitätselemente, er publizierte ein Alterswerk über „Die Kultur des Friedens“, er schrieb zuletzt ein afrikanisches und ein lateinamerikanisches Verfassungs-, Lese- und Lebensbuch. Häberle war nicht rechts, er war nicht links – er war ein großer Europäer. Die vielen Auflagen seiner Bücher zur Europäischen Verfassungslehre pflastern den Weg zum Haus Europa.
Bei wissenschaftlichen Tagungen hat Häberle bisweilen Konzerte gegeben und auf dem Flügel gespielt – besonders gern den „göttlichen Mozart“ und den „himmlischen Schubert“. Einer seiner Schüler wird ihm diesen letzten Gruß spielen.

