Nachruf:Der Widerständige

Wladyslaw Bartoszewski

Władysław Bartoszewski wurde 1922 in Warschau geboren. Der Einmarsch der Wehrmacht in Polen verhinderte, dass der spätere Diplomat sein Studium begann.

(Foto: Janek Skarzynski/AFP)

Polen und Europa nehmen Abschied von Władysław Bartoszewski. Der zweimalige polnische Außenminister war eine historisch-politische Instanz und gestaltete die deutsch-polnische Versöhnung.

Von Florian Hassel

Władysław Bartoszewski war schon 73 Jahre alt, als er 1995 Außenminister Polens wurde. Bevor der neue Minister im April 1995 als einziger ausländischer Gast bei einer Sitzung von Bundesrat und Bundestag zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Berlin sprach, musste er ein gewichtiges Problem lösen: Wie und wo er, zuvor erst Professor in München, dann polnischer Botschafter in Österreich, nach seiner Rückkehr nach Warschau die 3000 Bücher unterbringen sollte, die er in München und Wien gesammelt hatte.

Jedes dieser Elemente ist ein kleines Wunder: nicht nur der Aufstieg Bartoszewskis zum Oberdiplomaten, sondern schon die Tatsache, dass er sich Sorgen wegen einer übervollen Bibliothek machen konnte.

Als der Achtzehnjährige 1939 die Schule abschloss, besetzte die Wehrmacht Polen. SS-Führer Heinrich Himmler befahl, Polen dürften als "führerloses Arbeitsvolk" bestenfalls noch eine Volksschule besuchen. Im September 1940 wurde Bartoszewski festgenommen und Häftling Nr. 4427 im Konzentrationslager Auschwitz. Ein halbes Jahr später kam Bartoszewski auf Initiative des Roten Kreuzes frei - und kontaktierte sofort den polnischen Widerstand. Für diesen arbeitete Bartoszewski als Journalist, studierte an der im Untergrund organisierten Warschauer Universität und half im Warschauer Getto zusammengepferchten Juden - auch beim Aufstand von 1943.

Ein Jahr später nahm Bartoszewski am ebenfalls scheiternden polnischen Aufstand gegen Wehrmacht und SS teil. Ein Aufstand, der weit mehr als 150 000 Warschauer das Leben kostete; die Stadt wurde auf Befehl Hitlers in Schutt und Asche gelegt. Bartoszewski hielt den Aufstand, von manchen Polen wegen seiner Aussichtslosigkeit heute als Fehler bewertet, auch später für notwendig. Die demokratische Solidarność-Bewegung von 1980 war für ihn eine direkte Folge des beim Aufstand bekräftigten Widerstandswillens Polens.

Nicht einmal zwei Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes wurde Bartoszewski, nunmehr ein bekannter Journalist, Katholik und demokratischer Aktivist, von den Statthaltern Stalins als angeblicher Spion für fünf Jahre im Gefängnis gesteckt. Nach Stalins Tod wurde er zwar rehabilitiert, sein Verhältnis zum Regime aber blieb angespannt. Mal sollte er seine akademischen Weihen nachholen dürfen, dann wieder wurde er von der Universität verwiesen. Mal wurde der eifrige Buchautor mit hohen Orden dekoriert, vertrat Polen auch im Ausland und war Chefsekretär des polnischen Schriftstellerverbandes; dann wieder wurde er mit Veröffentlichungsverbot belegt, wie zu Beginn der Siebzigerjahre. Als Polen Ende 1981 das Kriegsrecht verhängte, landete das Solidarność-Mitglied Bartoszewski im Gefängnis, wurde aber bald freigelassen und ging nach Deutschland.

Als 1989 die Berliner Mauer fiel, hätte Bartoszewski, damals Dozent an der Münchener Universität, sich zurückziehen und seine schon damals Dutzende Bücher und Hunderte Aufsätze zählende Veröffentlichungsliste verlängern können. Stattdessen startete er eine Zweitkarriere in Warschau, die ihn erst zum Botschafter machte, später zweimal zum Außenminister und Brückenbauer nach Deutschland. Bartoszewski wurde zur historisch-moralischen Instanz - nicht nur in seiner Heimat. Anfang September 2014 mahnte er Frankreich und Deutschland im Aufruf "Von Danzig nach Donezk" vor einem Appeasement des "aggressiven Staates Russland" nach seiner Besetzung der Krim. Das Wichtigste, sagte Bartoszewski zu seinem 93. Geburtstag Ende Februar der Gazeta Wyborcza, sei es, Bücher schreiben zu können, die er keinem Zensor mehr vorlegen müsse.

Am Freitag vergangener Woche zwang ihn ein Schwächeanfall ins Krankenhaus. Dort starb Władysław Bartoszewski noch am gleichen Abend. Am 4. Mai nimmt Polen in einem Staatsbegräbnis Abschied von ihm.

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